Berlin verweist gerne auf Superlative, wenn es um die Künste geht: 30.000 Besucher verzeichnete soeben das Gallery Weekend, zur Art Week im Herbst strömten gar 110.000 Kunstinteressierte, rund 1.000 Künstler nahmen teil. Neben Festivals wie „Tanz im August“ oder der Transmediale, die sich seit einigen Jahren schon zum wichtigsten Event für Medienkunst gemausert hat, gehört die Art Week zu den vielen Leuchtturmprojekten der Berliner Kreativwirtschaft, mit denen die Stadt sich stolz brüstet, seitdem sie ihre Rolle als Industriestandort verloren hat.
Ganz anders sieht oftmals die persönliche Bilanz der Kreativen aus, die Veranstaltungen wie diese zum Leuchten bringen oder auch einfach dafür sorgen, dass kleinere Lesungen, Konzerte, Bühnenprogramme und Ausstellungen das Leben in der Stadt bereichern. Zwar fließt die City Tax in die Kultur, neue Förderungsmodelle wurden aufgelegt, Ateliers subventioniert. Doch noch immer, beklagt Christophe Knoch, bis vor kurzem Sprecher der „Koalition der freien Szene“ in Berlin, „fließen 95 Prozent des Berliner Kulturetats in Institutionen“, der karge Rest in die freie Szene. Diese aber wird zwischen marktgängiger Erwartung, steigenden Mietpreisen und Lebenshaltungskosten sowie zunehmender Konkurrenz zerrieben, weil die Stadt nach wie vor als billiges Mekka gilt und nach New York – bezogen auf die Bevölkerung – inzwischen die meisten bildenden Künstler beherbergt, bei 3,7 Millionen Einwohnern geschätzte 8.000 bis 10.000.
Doch die Lage der meisten Kreativarbeiter ist prekär. Nach den neuesten Berechnungen der Künstlersozialkasse liegt das Einkommen der 185.000 freiberuflichen Künstler in Deutschland erheblich unter dem Mindestlohn. Demnach verdient ein darstellender Künstler rund 16.000 Euro im Jahr, in etwa so viel wie ein bildender Künstler. Richtig schlimm wird es bei Musikern, die sich im Schnitt mit 3.000 Euro weniger begnügen müssen. Leben kann man davon nicht. Im Bereich Wort ist die Lage etwas besser, es sind aber wohl vor allem die Journalisten, nicht die Schriftsteller, die das Jahreseinkommen auf rund 20.200 Euro „hochtreiben“. Knapp 1.700 Euro monatlich vor Steuern und Versicherung. Luxusleben sieht anders aus.
Diese Bestandsaufnahme deckt sich mit der kürzlich vom Institut für Strategieentwicklung im Auftrag des Bildungswerks des bbk durchgeführten repräsentativen Erhebung unter 1.745 in Berlin lebenden professionellen bildenden Künstlern. Lediglich 20 Prozent der Befragten konnten im Jahr 2017 ihre Ausgaben für ihre Arbeit decken, „für alle anderen“, so die Studie, „ist die künstlerische Tätigkeit ein Verlustgeschäft“. Für nicht einmal die Hälfte, nämlich 44 Prozent, ist das, was reinkommt, kostendeckend.
Entsprechend sind die Einkommensbefunde: In Berlin kommen bildende Künstler auf rund 20.000 Euro jährlich, doch nur 30 Prozent erwirtschaften mit ihrer künstlerischen Tätigkeit die Hälfte ihres Lebensunterhalts. 40 Prozent dagegen müssen sich in nicht kunstaffinen Feldern verdingen, um zu überleben, zehn Prozent leben überwiegend dauernd oder temporär von staatlicher Unterstützung (ALG I oder Hartz IV).
Und auch das Einkommensgefälle zwischen Männern und Frauen ist signifikant. Bildende Künstler erzielten 2017 mit ihrer künstlerischen Tätigkeit durchschnittlich 11.662 Euro jährlich, Künstlerinnen 8.390 Euro. Alleinerziehende Frauen haben es dabei besonders schwer, weil sie aufgrund ihrer Erziehungstätigkeit weniger Networking betreiben können, in der Kunstszene unabdingbar, weil hier viel über Beziehungen, Profilpflege und persönliche Präsenz läuft.
Ein Fall für den TÜV?
Für die Betroffenen hat das verheerende Auswirkungen. Sie lavieren zwischen Brotjob und Kunst, das eine ultimativ überlebenswichtig, die andere Beruf und Berufung, der nur eingeschränkt gefolgt werden kann. Wenn wie in Berlin dann noch steigende Atelierpreise (plus 10 Prozent) dazukommen und eine, wie sich dem Bericht entnehmen lässt, dramatisch zunehmende Konkurrenz um Förderungen aller Art, spitzt sich die Lage zu, insbesondere für die allmählich das Rentenalter erreichende Generation. Die Rentenanwartschaften liegen durchschnittlich bei 357 Euro, bei Frauen noch niedriger. „90 Prozent der Künstler*innen“, so der Bericht, „sind von Altersarmut betroffen oder werden es sein.“
Und all dies gilt nicht nur für die bildende Kunst, sondern auch für darstellende Künstler, Autoren, Komponisten, Dramaturgen, Kostümbildner und was die Kreativwirtschaft in ihrer Vielfalt noch zu bieten hat. Doch es gibt auch Bewegung. Neben der „Koalition der freien Szene“, die sich 2012 in Berlin gründete, hat sich insbesondere für den Bereich der darstellenden Künste der Verein „art but fair“ konstituiert, der unter anderem in einer von der Hans-Böckler-Stiftung unterstützten Studie die Lage der Kunstschaffenden ausgeleuchtet hat.
Die Initiative macht sich stark für transparente Vertragsabschlüsse und einen sogenannten Kultur-TÜV, durch den Institutionen zertifiziert werden sollen, die Mindeststandards einhalten, und der die öffentliche Kulturförderung an die Einhaltung fairer Arbeitsbedingungen knüpft. Ob ein Qualitätssiegel das Publikum veranlasst, das eine oder andere Haus zu meiden, bliebe abzuwarten.
Kommentare 8
Kann es sein das der Begriff Kunst eine Erneuerung bedarf. Kunst ist nichts anderes als das bereitstellen einer erdachten und erbrachten Dienstleistung, die man sehr teuer verkaufen will. Also ist jemand der scheinbar ein Produkt (Kunst) über kreative Impulse erstellt ein Dienstleister seiner erdachten und erbrachten Arbeit.
Wie ist das dann mit Handwerkern? Die müssen, sollen auch ständig flexibel mit Kreativtät auf immer neu auftretende nicht bedachten Impulse bei Ihrer Arbeit, die daruch entstehenden Probleme lösen. Das ist auch Kunst und ist im Gehalt Ihrer ausübenden Tätigkeit, als kostenlose Serviceleistung mit inbegriffen. Ich finde eh den ganzen Status von Kunst überbewertet.
die heutige fülle der kunst-gewerblichen produktion ist erschlagend.
oder?
Während einer Podiumsdiskussion zum Gallery Weekend stellte ein junger UdK Student Monika Grütters die Frage, wie es sein könne, dass in Deutschland nur 3 Prozent der Kunsthochschul - Absolventen von ihrem erwählten Beruf auch später leben könnten und was genau der Koalitionsvetrag vorsieht das zu ändern. Sinngemäße Antwort: Wer eine Kunsthochschule absolviert, geht immer ein wirtschaftliches Risiko ein. Sie riet ihm, nebenher noch eine Ausbildung zu machen.
Nicht nur disqualiviziert sich eine so antwortetende für ihren Posten - es zeigt auch eine Art gesellschaftliche Verachtung, die Künstler°innen gerade in Berlin und nicht nur dort entgegenschlägt. Die sie nun kanibalisierenden Struckturen, haben sie zum Teil selbst mit gestaltet. Konzepte zum Überleben wurden kaum bis garnicht entwickelt. Die Selbstverständlichkeit, mit der künstlerische Arbeit unentgeldlich konsumiert und beschäftigt wird ist teils schockierend.
Jedes Theater, jedes Festival - vor allem in Berlin - würde ohne die Selbstausbeutung von Mitarbeitern und Heerscharen unbezahlter Praktikanten augenblicklich zusammenbrechen. Politik und Verwaltung wissen das. Und tun nichts. Eine grundlegende Reform der gegenwärtigen Verteilung, des Arbeitsrechtes, sowie des künstlerischen Zusammenhalts muss drigend her.
Und was sagt mir die Antwort von Frau Grütters? Augen auf bei der Berufs- und Studienwahl. Niemand verbietet mir, neben einem Broterwerb, einem Beruf, Kunst zu betreiben. Und wenn der dann Erträge abwirft, kann man sich der künstlerischen Laufbahn ganz widmen. Es gibt übrigens in keinem erlernten oder studierten Abschluss eine staatlich, gesellschaftliche Existenzversicherung.
>>Es gibt übrigens in keinem erlernten oder studierten Abschluss eine staatlich, gesellschaftliche Existenzversicherung.<<
So isses. Die Garantie hab ich in meinem erlernten Beruf (Chemielaborantin) auch nie erhalten. Es ging ziemlich lange gut, aber 2005 war Schluss, und weil ich mit Hartz4 auch nicht besser zurecht kam als ein berliner Bohèmien hab ich verschiedene, nicht gelernte Dinge gemacht.
C'est la vie en le capitalisme
Story eines Freiberuflers
Das Einkommen von 4 Jahren Berlin war so niedrig auf den Monat gerechnet, daß selbst das Finanzamt sich nicht genötigt sah auch nur einmal etwas zu prüfen. Den Laden sah er einmal, zu Beginn, dann nie mehr wieder. Der Monatsalär entsprach nichtmal dem Hartz4-Niveau. Eine Wohnung bekam er auch nur deswegen, weil er BESCHISSEN hatte bei den Angaben für den Vermieter, beim Gespräch mit der Maklerpraktikantin und wohl wegen des feinen Zwirns - Big Business wa? Der Beschiss ist ein zentraler Baustein des Kapitalismus und der neoliberalen Selbstoptimierung, das "als ob", der Mummenschanz, die "feinen Unterschiede". Die Charaktermaske. Von den Durchschnittszahlen im Artikel konnte er nur träumen. Das Bild ist irreführend, denn es geht hier nicht nur um minderbegabte Randexistenzen und sich selber therapierende Autodidakten aus dem Obskurantentum, sondern durchaus um veritable literarische, musikalische und künstlerische Talente und Qualitäten, die in dieser Saugesellschaft untergehen oder untergegangen werden (zur Not mit dem Knüppel). Jonas Burgert sprach mal in der 3Sat Sendung "Geld oder Leben, brotlose Kunst" darüber, daß er Schwein gehabt hätte "statistisch" hätte er es "eigentlich nicht packen" dürfen. Er hats gepackt und so darf die nächste Saugesellschaft in 50 oder 100 Jahren sich wieder u.a. mit ihm brüsten, welch tolle Talente in Literatur, Sport, Musik und Kunst sie hervorgebracht HAT und noch hervorbringen wird.
Mit statistischen Wahrscheinlichkeiten, prekärem Lohn und "Schwein gehabt".
Die Saugesellschaft, die keinen Begriff oder eine Vorstellung von dem hat, was Kunst ist kann man ja in den Kommentaren weiter oben durchlesen. Eine Gesellschaft kann sich darauf einigen, dass alle, die einen Beruf gelernt haben, davon auch leben können ... sollen. Für Künstler gilt aber schon diese Selbstverständichkeit selbstverständlich nicht.
Ich habe in Berlin und auch sonstwo bisher eher keine Bohèmiens getroffen. Eher Leute die nach 12 Stunden Schichten zusammenbrechen und am Ende des Monats kein Geld mehr auf dem Konto haben. Wir können sagen, dass wir diese Leute nicht brauchen. Das mag sein. Ich denke das nicht. Der Zustand einer Gesellschaft aber misst sich am Grad der Solidarität. Ob jemand Künstler oder Fleischer. Egal. Er sollte davon leben können. Für mich ist das selbstverständlich. Für andere offenbar nicht.
Sie können mit mir schon deutsch reden und sagen Sie einfach "Kulturbanause"!
Unsere Gesellschaft unterstützt Kultur und Kunst mit nicht unerheblichen Mitteln, Steuermitteln von den "Kulturbanausen" erarbeitet. So, das Kultur und Kunst auch im profitorientierten Kapitalismus, Marktwirtschaft zu beider Seiten - Künstler und Kulturbanause - Nutzen, bestehen kann.
Ein Anspruch daraus, dass jeder, der irgendwie meint, Kunst zu können und machen zu müssen, abgesichert leben zu können, ergibt sich hieraus nicht.