Arzneimittelmarkt unter Druck

Gesundheitswesen Ein Jahr ist das Spargesetz AMNOG in Kraft. Es hat den Arzneimittelmarkt in Bewegung gebracht, für Streit sorgen aber die Nutzenbewertung und geheime Preisverhandlungen

Es war das Vorzeigeprojekt des ehemaligen Gesundheitsminister Philipp Rösler und versprach, den Patienten möglichst zeitnah die „besten und wirksamsten Medikamente“ zur Verfügung zu stellen und dabei gleichzeitig „kosteneffizient“ zu wirken und die Krankenkassen zu entlasten: Seit gut einem Jahr ist das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) nun in Kraft. Tatsächlich hat dieses Sparpaket den Markt für Medikamente, die die Krankenkassen und Patienten jährlich Milliarden kosten, in Bewegung gebracht. Und es hat, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, auch für Ärger gesorgt.

Zum einen geht es um die Frage des Zusatznutzens. Denn nur wenn ein neues Medikament einen solchen aufweist, wird es künftig von den Krankenkassen erstattet. Was ein Zusatznutzen ist und wie man dies ermittelt, ist jedoch umstritten. Zuständig ist das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) in Köln. Dort muss ein Pharmaunternehmen, das ein neues Medikament auf den Markt und in die Erstattung durch die Krankenkassen bringen will, ein umfangreiches Dossier einreichen, um den Zusatznutzen zu belegen. Das Institut prüft diese Unterlagen innerhalb von drei Monaten. Am Ende beurteilt es, wie gut das neue Mittel ist – in einem Bewertungsrahmen von sechs Stufen wird festgestellt, ob ein „beträchtlicher“ oder „überhaupt kein Zusatznutzen“ nachweisbar ist. Insgesamt zehn solcher Gutachten hat das Institut mittlerweile vorgelegt. Drei Wirkstoffen wurden nach dessen Angaben „beträchtlicher“, einem „geringer“, zwei weiteren vorhandener, aber nicht quantifizierbarer Nutzen bescheinigt. Institutsleiter Jürgen Windeler versichert, das Bewertungsverfahren sei Verfahren transparent.

Suche nach dem Schlupfloch

Über die Bewertungen jedoch gibt es Streit – etwa in Zusammenhang mit neuen Krebsmedikamenten. Zum einen wird dem Institut vorgeworfen, die Studien statistisch so zu manipulieren, bis kein Zusatznutzen mehr nachweisbar sei; zum anderen wird kritisiert, dass einige Arzneimittel für seltene Krankheiten (Orphan Drugs), die grundsätzlich erst ab einem Umsatz von 50 Millionen Euro bewertet werden müssen, doch in den Beurteilungssprozess einbezogen würden. Um die Orphan Drugs hatte es von Anfang an Debatten gegeben. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hatte schon vor der Verabschiedung des AMNOG prophezeit, dass sich hier ein Schlupfloch für die Pharmaindustrie auftun könnte: Die Hersteller könnten neue Mittel als Orphan Drugs deklarieren, um sich der frühen Bewertung zu entziehen. Und später könnten die Arzneien dann doch bei einer viel größeren Patientengruppe Anwendung finden.

Passiert ein Wirkstoff erfolgreich die IQWIG-Schleuse, müssen die Hersteller mit den Vertretern des Spitzenverbandes der Krankenkassen innerhalb von sechs Monaten darüber verhandeln, wie sich der Zusatznutzen in Euro und Cent niederschlägt und nach welchen Kriterien dies geschieht. Bislang waren diese Preisverhandlungen und das Ergebnis geheim. Mittlerweile wird der Preis veröffentlicht, sodass das bisher übliche Herstellerdiktat ein Ende hat. Das war vom Gesetzgeber auch so beabsichtigt.

Umsatzeinbußen für die Industrie

Seit einem Jahr dealt die Pharmaindustrie aber nun schon mit den Kassen um die Regeln, nach denen die Preise mit andern europäischen Ländern verglichen werden, und darum, welche Länder als Orientierung gelten sollen. Nachvollziehbar wünschen sich die Hersteller nur Länder mit hohen Medikamentenpreisen als Maßstab; die Krankenkassen wollen hingegen einen europäischen Durchschnitt anvisieren. Da sich die Kontrahenten nicht einigen konnten, muss nun die im AMNOG vorgesehene Schiedsstelle entscheiden.

Die Referenzländer sind deshalb von Bedeutung, weil sie direkt oder indirekt den Preis eines Produkts hierzulande beeinflussen; umgekehrt orientieren sich andere Länder an den Preisen in Deutschland. Sinken sie, bedeutet das für die Pharmakonzerne auf dem europäischen Markt insgesamt Umsatzeinbußen. Deshalb versuchen sie mit allen Mitteln, ausgehandelte Rabatte geheim zu halten. Sie machen zudem Stimmung bei Patienten mit der Unterstellung, angeblich notwendige Therapien würden vorenthalten.

Bei allen Inkonsequenzen, die das AMNOG auch haben mag, ist der Druck, der nun auf dem Pharmamarkt liegt, also spürbarer. Die Ausgaben für Arzneimittel sind im Jahr 2011 erstmals seit Jahren wieder gesunken – um 2,1 Prozent. Auch das hat dem Gesundheitsfonds und den Kassen ein hübsches Polster verschafft.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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