Wenn Nachrichtenbilder ein Seismograf politischer Befindlichkeit sind, konfrontieren sie uns derzeit mit einer unangenehmen Wahrheit. Dominierten in den Herbstmonaten noch herzzerreißende Bilder von Flüchtlingsschlangen vor überfüllten Unterkünften, und überschlugen sich die Medien mit Berichten von engagierten Bürgerinnen und Bürgern als leibhaftigem Ausdruck deutscher Willkommenskultur, sind solche Szenen mittlerweile wieder in den Hintergrund getreten und haben dem gewohnten politischen Personal Platz gemacht.
Dieser Trend ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass Erregungstemperaturen in der Wiederholungsschleife fallen und dem Publikum nicht monatelang jeden Abend Flüchtlingselend zuzumuten ist. Wenn über Abschreckung oder Abschiebung, über Grenzzonen und Obergrenzen gestritten wird, dürfen diejenigen, die das am Ende trifft, nicht allzu konkret in Erscheinung treten. Und wenn doch von den Betroffenen die Rede sein soll, dann am Beispiel derer, die eine sogenannte Bleibeperspektive haben und als bald schon Integrierte unser Wohlgefühl bedienen.
An die Stelle der Flüchtlinge ist die Flüchtlingsdebatte getreten. Und die wird gar nicht so sehr zwischen Parteien ausgetragen, sondern innerhalb einer einzigen Partei, der Union, auch wenn eine zweite, die Alternative für Deutschland (AfD), im Ring den langen Schatten wirft. Deren Auftrieb in den Wahlabfragen befeuert die Zerlegungsenergie der Unionspolitiker so dramatisch, dass sich selbst ein Konkurrent wie SPD-Vize Olaf Scholz wünscht, die Union möge „in größerem Konsens miteinander regieren“. In den Möglichkeitshorizont rückt inzwischen sogar eine von ihrer bayrischen Schwester verlassene Rumpfpartei.
Dass beim Kanzlerinnen-Bashing Horst Seehofer den Scharfmacher gibt, ist nicht neu. Die von ihm als „historisches Thema“ ausgerufene Flüchtlingsdebatte liefert den Anlass, „signifikante Meinungsunterschiede“ der Bayern wider Berlin zu schleudern. Ohne Wiederholungsfurcht und unangefochten von verfassungsrechtlichen Bedenken klagt Seehofer Obergrenzen ein, droht mit Verfassungsklage und der „ernsten Lage“ der Koalition. Den fristsetzenden Sekretär mimt der Altvordere Edmund Stoiber, Merkel-Beißer der ersten Stunde. Das ist mehr als das übliche landsmannschaftliche Polittheater, zumal sich nun auch die bayrische Staatsregierung mit einem Drohbrief an Merkel einmischt. Für SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann ist das die Ankündigung des Koalitionsbruchs.
In der Union grassiert die Angst, dass die Sympathien für ihr einstiges Zugpferd Merkel schwinden und die AfD davon profitiert. Dabei gibt es, was die Umfragen betrifft, eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen der großen Zustimmung, die der Kanzlerin nach ihrer „Wir schaffen es“-Rede zuteil wurde und den derzeit sinkenden Sympathiewerten, was darauf hinweisen könnte, dass sich unter den Unzufriedenen eben auch solche befinden, denen der Zickzackkurs zwischen flüchtlingsfreundlicher Rhetorik und dem sich zuletzt tatsächlich verschärfenden Umgang mit Asylsuchenden missfällt.
Denn trotz aller Mahnungen vor „Belastungsgrenzen“ ist das ehrenamtliche Engagement ungebrochen. Freiwilligen Helfern ist aber kaum zu vermitteln, dass Menschen, deren Not sie kennengelernt und der sie vielleicht ein wenig abgeholfen haben, am Ende abgeschoben werden.
Das ist auch der Hintergrund der Auseinandersetzung über Transitzonen, die bei der rheinland-pfälzischen Regierungsanwärterin Julia Klöckner (CDU) nun zu „Grenzzonen“ mit tagesaktuell zu bestimmender Permeabilität mutiert sind. Die angedachte Internierung von Asylsuchenden im Niemandsland dient nicht nur der Kontrolle und schnellen Abschiebung, sondern verhindert auch Fraternisierungseffekte. Im Verein mit der „größten Asylrechtsverschärfung seit 20 Jahren“, wie CDU-Mann Armin Laschet vor laufender Kamera dankenswert offen zu Protokoll gab, hofft man, die Flüchtlingszahlen drastisch zu verringern und der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen. „Humanitätsgedusel“ ist dabei nur hinderlich.
Die Selbstzerlegung der Union birgt allerdings einige unkalkulierbare Risiken. Nicht dass die Bayern abtrünnig werden könnten, ist das Problem, denn die Koalition wäre auch ohne die CSU regierungsfähig. Wenn aber das gesamte Merkel-System scheitert, weil sich Leute wie Wolfgang Bosbach als Rechtshüter aufspielen oder CDU-Kandidaten in den aktuellen Landtagswahlen um ihre Wähler fürchten und versuchen, die AfD rechts zu überholen, entsteht ein Machtvakuum, für das weder ein konservativer Plan A, A2 oder B bereitstünde und wohl auch keine rot-rot-grüne Mehrheit, wer immer die sich herbeiträumt.
Wenigstens wird die Wirtschaftslobby alles dafür tun, dass der Schengen-Raum erhalten bleibt, auch wenn momentan gegenteilige Kräfte wirksam sind. Dafür benötigt sie Merkel, so wie die Union derzeit noch nicht auf sie verzichten kann. So lange jedenfalls, bis ein Hardliner gefunden ist, der die Partei umbaut. Die ironische Pointe besteht darin, dass Flüchtlinge hoffen wünschen müssen, dass sich die Wirtschaftsinteressen durchsetzen, auch wenn ihnen von dieser Seite nur die Rolle der Lohndumper zugedacht ist.
Kommentare 4
"die Wirtschaftsinteressen"!
Die ökonomischen Verhältnisse einer gegebenen Gesellschaft stellen sich zunächst dar als Interessen.
Friedrich Engels
Die CDU als 'Volkspartei' ist zugleich ein Barometer für Stimmungstrends in der 'Mitte der Gesellschaft'. Ein Beispiel:
Ulrike Baureithel hält es für wahrscheinlich, "dass sich unter den Unzufriedenen [in der CDU] eben auch solche befinden, denen der Zickzackkurs zwischen flüchtlingsfreundlicher Rhetorik und dem sich zuletzt tatsächlich verschärfenden Umgang mit Asylsuchenden missfällt."
Genau dieses Phänomen sprach Christian Bommarius (Bln. Zeitg 29.10.15) in folgender Frage an: "Ist nicht die zunehmende Unsicherheit der Bürger eine Folge der Wortlosigkeit der Bundesregierung, die ihre Flüchtlingspolitik nicht erklärt, die mehr reagiert als agiert und im Hin und Her zwischen 'Willkommenskultur' und Asylrechtverschärfung selbst jede Orientierung verloren zu haben scheint?"
Insbesondere nach den aktuellen Entgleisungen in Sachsen und in Anbetracht der Umfragewerte zu den anstehenden Landtagswahlen ist die Not bei vielen Politikern groß. Der sächsische Ministerpräsident Tillich geht sogar soweit, die Zivilgesellschaft mit in die Haftung für die bisher verfolgte Flüchtlingspolitik und insbesondere für die von Rechts bedrohte Demokratie zu nehmen.
Nein, verehrte Politikerkaste! Diesen Schuh lassen wir uns so nicht anziehen!
Ihr habt es doch versäumt, rechtzeitig geeignete Verfahren und Infrastrukturen für die seit langem absehbaren Flüchtlingsströme aufzubauen! Ihr habt es doch versäumt, die Bevölkerung bei den notwendigen Maßnahmen zur Aufnahme und Integration der Flüchtlinge mitzunehmen, ihren berechtigten Vorbehalten und Ängsten entgegenzutreten!
Hat die Politik etwa Garantien für die einheimische Bevölkerung ausgesprochen, dass Flüchtlinge keine Arbeitsplätze, keine Wohnungen, keine Ausbildungsplätze wegnehmen?
Aber ihr wart ja nicht untätig. Ihr habt keine Woche, keinen Tag verstreichen lassen, untereinander unabgestimmte, untaugliche, unmenschliche, nicht konsensfähige, mehr dem Populismus geschuldete Vorschläge hinauszuposaunen, euch gegenseitig größte Fehler, Staatsversagen, Verfassungs- und Gesetzesbrüche, Verzögerung, Blockade um die Ohren zu hauen ( ich verzichte auf die Nennung derer, die sich durch ihre permanenten medialen Absonderungen hier besonders hervorgetan haben, da sie hinlänglich bekannt sind, ja sein wollen). Schon gar nicht habt ihr den Versuch unternommen, einen gesellschaftlichen Konsens über diese anstehenden Herausforderungen herbeizuführen. Kein Wunder, dass sich Teile der Bevölkerung verwundert, angewiedert, angestachelt, aufgehetzt abwendet.
Und jetzt habt ihr, nein schlimmer: haben wir, den Schlamassel!
Noch ist es nicht zu spät. Aber welche dieser Politiknasen trauen sich und welchen trauen wir noch eine nötige Umsteuerung und einen derartigen Kraftakt zu?
Fangt doch einfach mal an! Rauft euch im Wahlkampf zusammen! Erklärt den Wählern unisono, dass Vorgänge wie in Sachsen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Wirken der AfD, der PEGIDA stehen und stellt eure sonstigen gegenseitigen Vorwürfe ein!
Oder habt ihr schon die Errungenschaften der vorherigen Politikerkaste ( die übrigens zu Recht in unsere Geschichte eingegangen sind) abgeschrieben, wie insbesondere unser Grundgesetz, unser grenzenloses Europa?
"Der Bundestag glaubt noch
Volksrepräsentant zu sein.
Tatsächlich sind Nichtwähler bald die größte der Parteien."
http://youtu.be/QGOx8I0COYg
Viel Spaß beim Anhören!
Rock-Blogger, Blog-Rocker und Roll'n Rocker Sigismund Rüstig posted auf multimediale Weise Meinungen und Kommentare zu aktuellen Reiz-Themen in Form von Texten und Liedern.
Ein Gespenst geht um in diesem reichen Deutschland. Flüchtling wird es genannt. Sein Kosename ist Asylant. Es reist durch die Medien Tag für Tag. Kein Journalist, der nicht dem braven Bürger erklären will, wie dieses Gespenst aussieht, was es bewirkt in diesem Lande und wie gefährlich es sein könnte, ist , oder sein wird. Jeder dieser Belehrer sieht in diesem fremden, heimlichen, unheimlichen Wesen seine eigenen Ängste verwirklicht. Schreckensbilder der Gegenwart und der nahen und fernen Zukunft erreichen uns täglich. Deutschland vor dem Abgrund… Deutschland deine Zukunft, die schaffen wir…
Politiker zerfleischen sich in ihren eigenen Wahrheiten. Haut drauf und nehmt keine Rücksicht. Viele, zu viele ihrer Zunft beschwören ihre einzige Wahrheit. Ihre Worte werden zur Waffe und fachen eine neue Glut des Hasses, der Fremdenfeindlichkeit, der Intoleranz, des Fürchten vor dem Fremden an. Längst ist die Glut zur Flamme geworden. Sie brennt in den Herbergen der geflüchteten Menschen. Es sind Menschen die unsere Hilfe benötigen! Sie brauchen uns, uns alle! Es sind keine Aliens, fremde Wesen von einem fremden Land, gleich einem fernen Stern. Letztlich sind es Menschen, Menschen wie du und ich1 Mit anderer Hautfarbe, fremder Religion, andere Sitten und Bräuche. Sie tragen in ihren Herzen die Ängste und Hoffnungen aller Menschen. Fühlen den Schmerz der Heimatlosigkeit und die Sehnsucht nach Frieden.
Dafür müssen wir sie Hassen? Für ihr Leid verdienen sie unsere Verachtung? Was machte viele unserer Landsleuten zu solchen Monstern der Mitleidlosigkeit? Fehlt diesen erbarmungslosen Landsleuten ein Stück Brot? Missen dieser Minderheit des Schreckens jede Moral, jeder Anstand? Ich befürchte, es ist so! Mit ihrem Fremdenhass disqualifizieren sie sich selbst aus der Gemeinschaft der Helfenden, der großen Mehrheit unserer Bürger. Ich warne alle selbsternannten Mitläufer. Wer dem Schreihals das Feuerzeug gibt, dessen Fackel hält und ihm die Wurfsteine aufhebt, ist Täter. Auch Worte und Beifall kann töten. Zum Mittäter wird jeder Politiker, jeder Journalist, jeder Parteifreund aller Parteien, wenn ihre Worte zum Feuerzeug der Täter werden.