Nach der Spaltung ist vor der Spaltung. Zerwürfnisse an der Spitze rechter Parteien sind zwar nicht ungewöhnlich, aber was die AfD in den letzten Jahren an Spaltungsenergie freigesetzt hat, übersteigt alle Maßstäbe. Schon totgesagt, erlebte sie begünstigt von der Flüchtlingsbewegung einen fulminanten Wiederaufstieg, um wieder einmal in den Abgrund zu schauen.
Als Stein des Anstoßes fungierte dieses Mal der baden-württembergische Abgeordnete Wolfgang Gedeon, der weder von seinen antisemitischen Überzeugungen abrücken noch die Landtagsfraktion verlassen wollte. Immerhin 9 der 23 Abgeordneten im Stuttgarter Landtag stärkten ihm den Rücken. Zu viele, befand das einsam gewordene wirtschaftsliberale Aushängeschild der Partei, Jörg Meuthen. Der Fraktionschef sammelte seine Truppen, erklärte den Austritt aus der Fraktion und rief eine „Alternative für Baden-Württemberg“ aus.
Erfolg schwächt
Als nach monatelangem parteiinternem Gezänk auch von der AfD beauftragte Gutachten Gedeons antisemitische Grundhaltung bestätigt hatten, betrieb Meuthen erfolglos dessen Ausschluss. Am Tag, an dem er mit seinem Tross der Fraktion den Rücken kehrte, war Parteichefin Frauke Petry – ohne Mandat des Bundesvorstands, der sich mehrheitlich hinter Meuthen gestellt hatte – nach Stuttgart gereist, um sich als Friedensengel anzubieten.
Sie brachte Gedeon zwar dazu, die Fraktion dann doch zu verlassen, die Spaltung allerdings konnte sie nicht mehr rückgängig machen. Petry hinterließ nicht nur in Baden-Württemberg einen Scherbenhaufen. Mit ihrem Alleingang hatte sie darauf gesetzt, ihre Parteikontrahenten Alexander Gauland und Björn Höcke abzuschütteln. Noch ist nicht ausgemacht, wer als Gewinner aus dieser Parteischlacht hervorgeht. Doch einige Lehren lassen sich aus dem chaotischen Drama der vergangenen Woche schon jetzt ziehen.
Erstens: Erfolg schwächt. Im Unterschied etwa zu den Grünen, die in jahrzehntelanger Kärrnerarbeit ihren parlamentarischen Platz eroberten, die in langen Aushandlungs- und Ausscheidungskämpfen in die Mitte der Gesellschaft vorgestoßen sind, sodass inzwischen Bündnisse mit der Union möglich sind, wurde die AfD von einem nicht von ihr verantworteten politischen Drift in die Höhe katapultiert. Das gilt schon für die Lucke-Ära, aber insbesondere für ihren Wiederaufstieg seit 2015.
Doch während die Schwäche der Volksparteien dem Reüssieren der AfD sekundierte, schwächt der rasche kometenhafte Erfolg die Rechtspopulisten auch. Am deutlichsten wird das am hektisch zusammengebastelten Programm, das Wirtschaftsliberalismus und Protektionismus, Isolationismus und Bündnistreue unter dem Dach einer chauvinistischen, sozial konservativen und rassistischen Politik zu vermählen versucht. „In der Wirtschafts- und Sozialpolitik“, räumt der AfD-Vize Alexander Gauland ein, „ist bei uns noch Luft nach oben“.
Zweitens: Arrondierung und Druckausgleich. Nicht nur sachlich, auch personell muss die AfD bemüht sein, das ideologische Gelände zu arrondieren und gleichzeitig Ventile für die gestaute Wut der AfD-Wähler zu erhalten. Das gilt insbesondere für den hierzulande politisch tödlichen Antisemitismusverdacht. Der Bundesvorstand wird nicht müde zu betonen, dass „der Antisemitismus in der AfD keine Heimat“ habe. Der saarländische Landesverband steht wegen Kontakten zur rechten Szene gerade vor der Auflösung.
Allerdings fühlt sich mancher Funktionär wie der Freiburger Rechtsanwalt Dubravko Mandic bei der „Patriotischen Plattform“ oder der „Identitären Bewegung“, die vom Verfassungsschutz als extremistisch und antisemitisch eingestuft werden, offenbar durchaus heimisch. Die parteiinterne Gruppierung „Der Flügel“ um Björn Hocke in Thüringen und André Poggenburg in Sachsen-Anhalt versteht es, die Kränkungen, die die Wende bei den DDR-Bürgern hinterlassen hat, zu bündeln und auf die Mühlen einer AfD zu lenken, die frei ist von feinsinnigen Differenzierungen und auch schon mal Sprünge über den Verfassungsrahmen wagt. Fraglich ist, ob und wie lange die Bundespartei diese Rollenverteilungen durchhält.
Drittens: Männer und Frauen auf dem Markt der politischen Eitelkeiten. Die AfD hat Erfahrung mit Selbstzerlegung, der Schock über den würdelosen Abgang des Musterschülers Bernd Lucke dürfte noch gut in Erinnerung sein. Dass auf Lucke eine politische Pop-Figur wie Frauke Petry gefolgt ist, die, wie diese vermutet, nun ihrerseits wieder „verbrannt“ werden soll, hat auch eine genderpolitische Komponente. Mit Gauland, Höcke, Meuthen und Kollegen steht ihr eine Phalanx von Männern gegenüber, die, wie einst im Fall Merkel die CDU-Mannen, mit dieser Durchmarschiererin zwar ausgesprochene Probleme haben, gleichzeitig aber auch auf ihr Gesicht angewiesen sind. Die öffentlich auf „Führungsstil“ heruntergespielten Rosenkriege werden mit dem Fall Meuthen jedenfalls nicht erledigt sein. Und ein möglicher Mitgliederentscheid über die Parteispitze dürfte die Grabenkämpfe noch vertiefen.
Der rechte Bodensatz bleibt
Gemessen an der Wählergunst haben sie der AfD bereits geschadet, sie rutschte seit langer Zeit in Umfragen erstmals auf zehn Prozentpunkte ab, wovon bislang nur die Volksparteien profitieren. FDP-Chef Christian Lindner, der sich von der Zerlegung der AfD die Rückkehr enttäuschter Wähler erhofft, sagt: Wer AfD wähle, wähle Fremdenfeindlichkeit und Judenhass.
Ob sich die Wähler das zu Herzen nehmen? Werden sie sich, wie der Politologe Wolfgang Seibel prophezeit, desillusioniert abwenden? Der baden-württembergische Verfassungsschutz hat den Vorstoß des Innenministers Thomas Strobl (CDU), die Partei als Ganzes unter Beobachtung zu stellen, vorerst abgelehnt. Der Geheimdienst beschränkt sich auf Einzelpersonen. Diejenigen, die dem Verfassungsschutz ohnehin unterstellen, auf dem rechten Auge blind zu sein, finden das nur folgerichtig. Andere befürchten, die AfD könnte dadurch dämonisiert werden. Es gibt aber auch Politiker wie den SPD-Bundesvize Ralf Stegner, die die AfD für einen Fall für den Staatsschutz halten. Wie auch immer sich die AfD entwickelt: Der rechte Bodensatz, den die Partei zum Vorschein gebracht hat, bleibt und wird sich gegebenenfalls andere Kanäle suchen.
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