Das Geld ist nie genug

Rücklagen Das Deutsche Historische Museum will eine der vermeintlichen nationalen Tugenden hinterfragen: das Sparen
Ausgabe 13/2018

Geld sei geprägte Freiheit, wusste der passionierte Spieler Fjordor M. Dostojewski, und dem „Geldsammler“ attestierte er, ihn leite ein „gewisser Stumpfsinn des Geistes“. So wären die Deutschen mit ihrer ungebrochenen Sparleidenschaft also erst einmal unter Verdacht gestellt. Denn in Zeiten von Null- oder gar Negativzinsen ist die Neigung, sein Geld auf die Bank zu tragen, nicht nur Ausdruck einer möglichen mentalen Deformierung, sondern schlicht irrational, denn das bienchenfleißige Sammeln lohnt sich schlicht nicht mehr. Das gilt insbesondere volkswirtschaftlich, wo sich das Spargebot geradezu kontraproduktiv auswirkt.

Das „German problem“ hat der Economist die Forderung des „Kaputtsparens“ einmal genannt. Verkörpert wird es durch die europäische „Sparkommissarin“ Angela Merkel, die sich mit ihrer Austeritätspolitik Ländern mit hedonistischerer Kultur als Hassfigur empfohlen hat. Nicht von ungefähr begrüßt sie virtuell die Besucher im Entree zu einer Ausstellung des Deutschen Historischen Museums (DHM), die das Sparen, eine in Deutschland seit Jahrhunderten kultivierte und wenig hinterfragte Tugend, in den Blick nimmt. Einen vergleichenden Blick auf andere Regionen hatte Kurator Robert Muschalla anlässlich einer Begleittagung im vergangenen Jahr angekündigt, die Schau bleibt, das sei vorweggenommen, aber doch auf deutsche Verhältnisse fokussiert.

Diese Konzentration muss kein Nachteil sein, wenn man der Frage nachgehen will, warum die Deutschen – allen katastrophalen Geldkrisen und Vermögensverlusten in den vergangenen 100 Jahren zum Trotz – nichts davon abhalten kann, ihren „Spargroschen“ zwar nicht mehr in den Rocksaum einzunähen wie im berühmten Gemälde von Wilhelm Leibl, aber doch einem Geldinstitut zu überantworten. 2016 betrug hier die durchschnittliche Sparquote – das ist der Anteil des Sparbetrags am verfügbaren Einkommen – fast zehn Prozent, übertroffen nur von der Schweiz mit 18,7 Prozent. In Spanien legen private Haushalte dagegen nur 1,7 Prozent auf die hohe Kante, Großbritannien weist sogar eine negative Sparquote von 1,1 Prozent auf.

Eine neue Lebensführung

Die Erziehung zum Sparen setzte in Deutschland sehr früh ein, und sie hatte, anders als heute, wenig mit dem Versprechen von Konsumglück zu tun. Das Sparen war zunächst ein Instrument, mit dem sich das Bürgertum von den Kosten der Armenfürsorge entlasten wollte. Das hört sich für heutige Ohren ziemlich modern an, wenn man an die Nötigungen zur privaten Altersvorsorge denkt. Bis in die Frühe Neuzeit sorgten Zünfte und andere Zusammenschlüsse für eine gewisse Daseinsvorsorge, wovon Zunftbüchsen und Rechnungsbücher Zeugnis ablegen. Doch mit der aufkommenden Industrialisierung und der zunehmenden Mobilität sahen sich die Begüterteren mit verarmenden Bevölkerungsschichten konfrontiert, die gegebenenfalls versorgt werden mussten. Auf der Suche nach einem Ausweg wurde 1778 die erste Sparkasse in Hamburg gegründet, in diese erste Welle kommunaler Gründungen fiel auch die Berliner Sparkasse (1818).

Die Vorstellung, einen Teil seines Arbeitslohns für Notzeiten zurückzulegen, bedeutete eine neue Form der Lebensführung und musste nicht nur historisch, sondern auch von Kindesbeinen an langsam antrainiert werden. Alte Menschen werden sich vielleicht noch an das erste Sparkassenbüchlein erinnern, in dem in akkurater Handschrift jede Ein- und Auszahlung und der jährliche Zins festgehalten wurden. Das erste noch erhaltene ist im DHM zu sehen. Mit dem 1924 eingerichteten Weltspartag Ende Oktober wurde das Spardenken institutionalisiert. Er animierte insbesondere Kinder und Jugendliche zum Sparen, nach der deutschen Teilung forciert von den Jungen Pionieren (Ost) oder von Schulsparaktionen (West).

Im 20. Jahrhundert rückten aber auch die mittlerweile geschäftsfähigen Frauen ins Zentrum pädagogischer Sparunterweisung. Kein moderner Haushaltsratgeber, in dem nicht vom Sparen die Rede wäre, unzählige Werbefilmchen, die es ihr schmackhaft machen sollten. An der „Frau als Konsumentin“, der neuen Marktmacht, entscheidet sich maßgeblich, ob das Volksvermögen in den schnellen Genuss rinnt oder gehortet wird.

Die Sparerziehung zielte aber nicht nur auf Armutsabwehr, sondern auch auf soziale Befriedung ab, denn wer etwas zu verlieren hat, revoltiert nicht. Das erkannte auch Karl Marx, der gegen den „Schatzbildner“ ätzte, der dem „Goldfetisch seine Fleischeslust“ opfere und aus der „Entsagung ein Evangelium“ mache. Doch das Sparen hatte keineswegs nur sozialhygienische Funktion, es bediente auch den Bedarf des wachsenden Kapitalmarkts.

Im ländlichen Raum war es die von Hermann Schulze-Delitzsch ins Leben gerufene Genossenschaftsbewegung, die für die „Verflüssigung“ des Geldes sorgte. Genossenschaftliche Raiffeisenbanken boten Landwirten Kredite für Aussaat und Maschinen mit der Aussicht auf die kommende Ernte. Im städtischen Umfeld entstanden Volksbanken für kleine Gewerbetreibende und Privatkunden.

Insbesondere aber profitierte der deutsche Staat von der sich durchsetzenden Sparbereitschaft seiner Bürger. Viele großformatige Werbeplakate für Kriegsanleihen erzählen davon, wie er die deutsche Bevölkerung zur Unterstützung eines eigentlich schon aussichtslosen Kriegs mobilisierte. Da hatte es ein Land wie Großbritannien, das keine Erfahrung mit Kriegswirtschaft hatte und wo die Spar-Ideologie bis dahin wenig verankert war, viel schwerer. Dort wirkte der Erste Weltkrieg als „Sparmotor“.

Doch das von den Deutschen in die Kriegsanleihen investierte Geld war ebenso verloren wie die Guthaben, die sich während der Inflation 1922/23 in Luft auflösten. Auf einer Waage mit montierter Zeitschiene kann man im Museum berechnen, wie viel Milliarden Mark ein Kilo Fleisch gekostet hat. Doch auch diese Lektion wird nicht gelernt. 1928 erreichte die Sparquote der Deutschen schon wieder 41 Prozent des Vorkriegsniveaus. Auch die Weltwirtschaftskrise tat dem keinen Abbruch.

Die Nationalsozialisten führten schließlich vor, wie man dem „raffenden Kapital“ eine jüdische Physiognomie geben, die sparenden Volksgenossen dagegen zur Volksgemeinschaft zusammenschweißen kann, mit Sonderprogrammen, die erstmals nicht die Vorsorge, sondern den Konsum in den Mittelpunkt stellten. Mit Slogans wie „Deutsche Art bewahrt, wer arbeitet und spart“ oder „Auch du kannst reisen“ spannte Robert Leys Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ rassistische Ideologie und Konsumversprechen zusammen. Zwar konnten sich von den zwei Mark monatlich nur wenige die versprochene Reise mit der Wilhelm Gustloff, die im Modell zu besichtigen ist, leisten, erfolgreicher war dagegen Porsches zum Massengut erhobener KdF-(Volks-)Wagen. Die Nazis setzten übrigens auch die Gleichstellung (und Gleichschaltung) der Kreditinstitute durch und ab 1941 mit den „Eisernen Sparkonten“ das Verbot von Barauszahlungen.

Lasst uns prassen

Doch trotz der Geldvernichtung durch zwei Weltkriege, Hyperinflation, Weltwirtschaftskrise, Währungsreform, Währungsunion und Bankenkrise: Die Lust am Sparen ist nicht totzukriegen. Ist es der verklemmte „anale Charakter“ der Deutschen, der sie zu leidenschaftlichen „Geldsammlern“ werden lässt? Ist es die lange antrainierte und protestantisch unterfütterte Eigenschaft, Bedürfnisse aufzuschieben? Antworten gibt die Ausstellung darauf nicht, höchstens sparsame Hinweise.

Einer ist in einem Exponat versteckt, in einem sogenannten „Bankautomat“: Für die Mark, die man oben reinwarf, bekam man eine aufklebbare Sparmarke. Billig bedrucktes Papier also, das seinen Wert nur über Vertrauen schöpft. Das Vertrauen ist die Sparwährung – und die höchste Währung, die Kreditinstitute zu verspielen haben. Als während der Bankenkrise die Bürger begannen, ihr Geld in Gold umzutauschen, bekam man eine Ahnung davon, was passiert, wenn diese Währung sinkt. „Das Geld der Sparer ist sicher“, versicherten Merkel und ihr Finanzchef Steinbrück damals.

In der Literatur ist das Sparen übrigens eher ein blinder Fleck, wie die Literaturwissenschaftlerin Heike Gfrereis herausgefunden hat, und das Geld ein zweischneidiges Ding. „Wer schreibt“, so resümiert sie, „möchte nicht noch an der Welt sparen, die er erfindet.“ Also prassen wir doch mit bestehenden und künftigen Welten!

Info

Sparen. Geschichte einer deutschen Tugend Deutsches Historisches Museum Berlin, bis 26. August

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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