Das hilft nicht nur gegen Covid

Corona Der Impfstoff von Curevac galt früh als Hoffnungsträger. Dann wurde es still um ihn. Das könnte sich bald ändern
Ausgabe 16/2021
Wir werden mit diesem fiesen Möpp klarkommen, irgendwann
Wir werden mit diesem fiesen Möpp klarkommen, irgendwann

Foto: BSIP/Universal Images Group/Getty Images

Vor einem Jahr gaben sich die Journalist:innen im Tübinger Biotech-Unternehmen Curevac noch die Türe in die Hand. Welcher Wirbel um den dort entwickelten neuartigen Impfstoff, das Staunen vor dem kleinen RNA-Drucker, der das Wundermittel in kurzer Zeit in Millionen sparsamen Dosen ausspucken würde! Die Euphorie war so überwältigend, dass sich hartnäckige Gerüchte einer Übernahme seitens des damaligen US-Präsidenten Donald Trump hielten. Schließlich beteiligte sich – einmalig in der Corona-Ära – sogar der Bund mit 300 Millionen Euro an der Tübinger Firma, das Forschungsministerium schoss 240 Millionen nach. Dafür stellte Curevac in Aussicht, den Impfstoff bis zum Herbst 2020 marktreif zu entwickeln, was auch die europäische Einkaufspolitik beeinflusste.

Vorteil Verflüchtigung

Es ist anders gekommen. Nicht Curevac in Tübingen, sondern Biontech in Mainz machte das Rennen mit dem RNA-Impfstoff, der den Vorteil hat, dass keine Zellkulturen angelegt oder Eier bebrütet werden müssen wie bei herkömmlichen Verfahren. Auch die Zweifler, die mögliche Nebenwirkungen des genbasierten Serums befürchteten, sind mittlerweile weitgehend verstummt, denn bisher hat es sich als wirksam und gut verträglich erwiesen. Besser jedenfalls als die Impfstoffe, die mit Adenoviren hergestellt werden wie Astrazeneca oder Johnson & Johnson und durch das seltene Auftreten von Blutgerinnseln die weltweite Impfkampagne zum Stocken gebracht haben. Im Unterschied zu Vektorimpfstoffen, so Curevac-Mitbegründer Ingmar Hoerr, verflüchtigten sich RNA-basierte Impfstoffe nach kurzer Zeit im Körper, was sich nun als weiterer Vorteil herausstellt.

Hoerr, der schon vor 20 Jahren mit dem RNA-Molekül experimentierte und als Entdecker der Technologie gilt, hat den Hype selbst gar nicht mitbekommen, denn bei einer Reise gen Gesundheitsministerium nach Berlin erlitt er eine schwere Hirnblutung und lag in der Charité wochenlang im Koma. Den Gang an die Börse erlebte er als Rekonvaleszent, es folgten Partnerschaften mit den Pharmariesen GlaxoSmithKline (GSK) in Großbritannien und Bayer, das Produktion und Vertrieb des Impfstoffes übernehmen soll. Auch Novartis in der Schweiz, Wacker in Amsterdam und Rentschler in Laupheim stehen in den Startlöchern.

Nur gibt es noch wenig für sie zu tun. Erst im Februar hat Curevac den Hindernislauf wieder aufgenommen und bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) ein rollendes Zulassungsverfahren beantragt. In den kommenden Wochen sollen die Ergebnisse der Phase-3-Studie, die teilweise in Argentinien durchgeführt wurde, veröffentlicht werden. Angesichts des Teilausfalls von Astrazeneca und Johnson & Johnson werden nun die Stimmen lauter, nicht auf die Entscheidung der EMA zu warten, sondern den Curevac-Impfstoff – wie möglicherweise auch Sputnik – über eine nationale Notfallzulassung auf den Markt zu bringen. Prominentester Befürworter dieses Weges ist Karl Lauterbach (SPD). Gesundheitsminister Jens Spahn und der Chef des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, sehen das angesichts der Erfahrungen mit Astrazeneca skeptischer, es fehle derzeit noch an Daten für das Curevac-Produkt, so Spahn. Das Gesundheitsministerium geht davon aus, dass von den vereinbarten 3,5 Millionen Impfstoffdosen im zweiten Quartal höchstens 1,4 Millionen ankommen. Curevac will bis Ende 2021 300 Millionen Dosen produzieren.

Weshalb aber ist der einstige Hoffnungsträger überhaupt abgeschlagen von den Konkurrenten auf die Standspur geraten? Im Sommer fehlte dem Unternehmen schlicht das Geld, das dann über die Gates-Stiftung und Risikokapitalgeber eingesammelt wurde. Gleichzeitig musste die vergleichsweise kleine Forschungsfirma an der Spitze um- und an der Basis zu einem Produktionsunternehmen ausgebaut werden. Die Entscheidung, die Studien zunächst in Deutschland durchzuführen, kostete zusätzlich Zeit, weil im Sommer das Infektionsgeschehen fast zum Erliegen kam und abgewartet werden musste, wie die Probanden reagieren. Als klar war, dass Curevac die Spitze nicht halten würde, richtete sich der Forschungsehrgeiz auf die Mutationen. Tatsächlich soll Curevac gegen die gefährliche Südafrika-Variante von SARS-CoV-2 besonders gut schützen.

Gefragt, ob ihn die derzeitige Konkurrenzsituation beunruhige, gibt sich Hoerr in einem Interview – vielleicht auch unter dem Eindruck der überstandenen Krankheit – betont gelassen. Es werde global viel mehr Impfstoff benötigt als derzeit verfügbar sei, und Ziel seines Unternehmens sei es immer gewesen, nicht den schnellsten, sondern einen möglichst wirksamen, robusten und preiswerten Impfstoff auf den Markt zu bringen, der auch in Ländern des globalen Südens einsetzbar ist. Derzeit plant Curevac Studien mit 12–17-Jährigen in Peru und Panama, um den Anwendungskreis perspektivisch zu erhöhen.

Auch wenn Curevac noch Verluste schreibt und der Aktienkurs gegenüber Biontech, das derzeit das große Geld scheffelt, schwächelt, sehen einschlägige Analysten strategische Vorteile für das Tübinger Unternehmen. Die Zusammenarbeit mit dem Impfstoffhersteller GSK verspricht künftige Geschäfte mit anderen Impfstoffen auf RNA-Basis, Ähnliches gilt für Bayer, das an entsprechenden Krebsmedikamenten Interesse hat, deren Entwicklung, so Hoerr, allerdings komplizierter ist. Darüber hinaus punktet Curevac mit dem in Kooperation mit Tesla entwickelten RNA-Drucker, der lokal auf der ganzen Welt einsetzbar ist und Impfstoffe oder Medikamente herstellen kann. Schon nachvollziehbar, wie sehr sich Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer darüber ärgert, dass er bei der Curevac-Gründung nicht als Anteilseigner zum Zug gekommen ist. Aber vielleicht darf die Stadt irgendwann einen Nobelpreisträger ihr eigen nennen, nominiert soll Ingmar Hoerr dafür bereits sein.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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