Die Interessen der Schlichter

Pflege-TÜV Der Pflege-TÜV bietet Schlupflöcher, um schlechte Noten im Kernbereich Pflege aufzupeppen. Die neue Schiedsstelle wird kaum Abhilfe schaffen, denn sie ist nicht neutral

Bekam man früher in Physik eine Fünf, konnte man das mit einem „weichen“ Fach wie Religion oder Sport ausgleichen. So ähnlich sah das ursprünglich auch der Pflege-TÜV vor, der die Qualität von Pflegeeinrichtungen bemisst und Angehörigen bei der Heimsuche helfen soll. Schlechte Noten im Kernbereich Pflege waren mit Wohlfühlpunkten zu einer guten oder sehr guten Gesamtbeurteilung aufzupeppen. Wundgelegene Körperteile wurden quasi durch den gut les­baren Speiseplan wettgemacht. Diesen „Webfehler“ in der letzten Pflegereform zu korrigieren und das Benotungssystem aussagekräftiger und transparenter zu gestalten, bemüht sich die Selbstverwaltung aus Pflegekassen, Pflegeanbietern und Sozialhilfeträgern seit Monaten. Allerdings ohne Erfolg, weil sich zwei kleine Verbände sperrten.

Dem Dauerstreit hat Gesundheitsminister Philipp Rösler nun ein Ende gesetzt. Das Kabinett beschloss, eine Schieds­stelle einzurichten, der außer der Selbstverwaltung auch die Private Krankenversicherung angehören wird. Die Schiedsstelle soll auch in anderen Streitfällen rings um die Pflegeversicherung tätig werden. Ob sie die auflaufenden Probleme zur Zufriedenheit von Heim­bewohnern und Angehörigen lösen wird, ist jedoch fraglich.

Denn die Schiedsstelle ist so wenig neutral wie der Medizi­nische Dienst, dem bislang die Beurteilung von Pflegeheimen obliegt. Als diejenigen, die Pflegeleistungen anbieten oder finanzieren, verfolgen die Vertreter der Schlichtungsstelle Eigeninteressen. Seit langem fordern Verbraucherverbände deshalb, den Medizinischen Dienst der Oberhoheit der Krankenkassen zu entziehen und ihn in eine unabhängige öffentliche Körperschaft umzuwandeln. Eine neutrale Begutachtungsstelle könnte unter Umständen auch neue Qualitätskriterien in den Pflege-TÜV einarbeiten und die Heimbewohner stärker in die Beurteilung einbeziehen als bisher. Aufschlussreich ist das „Machtwort“ Röslers in anderer Hinsicht: Hatte die FDP die Selbstverwaltung ursprünglich stärken wollen, greift er mit dem Schlichtungsverfahren unmittelbar in ihre Kompetenzen ein. Der Streit um den Pflege-TÜV hat die Selbstverwaltung geschwächt. Kein gutes Omen im Jahr der Sozialwahlen

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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