Die RAF ist immer noch bühnentauglich

Terrorismus Verena Becker im Ermittlungsfokus. Es gibt viele Wahrheiten, die das Drama um die Rote Armee Fraktion am Laufen halten. Und am Ende sind alle Rollen vertauscht.

Nachdem es um den unter großem öffentlichen Trommelschlag und in das politische back stage entlassenen Christian Klar (vorerst) ruhig geworden ist, übernimmt nun Verena Becker den Schurkinnen-Part in dem nimmer endenden deutschen Polit-Drama namens RAF. In serienreifer Endlosschleife gesellen sich dem Hauptpersonal (RAF-Täter, Nachkommen-Opfer, Rächer-Staat) immer wechselnde Chargen hinzu, die neue Spuren legen und für Verwicklungen sorgen: Stasi-Leute, ehemalige Verfassungsschützer, Polizisten, Augenzeugen – Nebenpersonal, das am und in der Nachfolge mit den Schüssen an jenem kalten Gründonnerstag 1977 in Karlsruhe, die Bundesanwalt Siegfried Buback und seinen Fahrer Wolfgang Göbel niederstreckten, am Rande zu tun hatte.

Wie in jedem modernen Drama werden auch der RAF-Inszenierung die Zeit und die multiplen Perspektiven zum Problem. Die Frage „Wer schoss?“ hatte 1977 eine völlig andere Bedeutung als 2009, und die erzählten Geschichten stammen aus anderen Federn. Das offizielle Drehbuch, von den Ermittlungsbehörden erstellt, schien abgeschlossen: Danach waren Günter Sonnenberg, Christian Klar und Knut Folkerts an der Tat beteiligt. Zweifel daran gab es immer.

Die nun in Buchform gegossene Verschwörungstheorie von Michael Buback, dem Sohn des erschossenen Bundesanwalts, besagt, dass Verena Becker, RAF-Aktivistin und mit Sonnenberg im Mai 1977 in Singen verhaftet, an der Erschießung beteiligt gewesen, aber von den Ermittlungsbehörden gedeckt worden sein könnte, weil Becker schon seit 1972 als Informantin für den Verfassungsschutz arbeitete. Dafür spricht ein plötzlich aufgetauchter kurzer Aktenvermerk des Stasi-Majors Siegfried J., der davon handelt, Verena Becker sei von „westdeutschen Abwehrorganen unter Kontrolle gehalten“ und „bearbeitet“ worden. Für diese Zusammenarbeit soll sie mit 100.000 Mark alimentiert worden sein.

Der Staat im Visier

Dass Becker in die Tat verwickelt ist, wusste man spätestens seit 1982, als sie gegenüber den Ermittlungsbehörden Stefan Wisniewski als Todesschützen benannte, ebenfalls belastet von dem in der RAF-Connection als geschwätzig geltenden Peter Jürgen Boock. Dieses Drehbuch favorisiert auch die heute Abend ad hoc angesetzte Dokumentation in der ARD von Egmont R. Koch (23.30 Uhr), der glaubt, Buback habe sich zu sehr auf Verena Becker eingeschossen. Würde sich indessen bestätigen, dass Becker von den Behörden gedeckt und bezahlt worden war, säßen nicht mehr die versprengten ehemaligen RAFler, sondern der Staat auf der Anklagebank.

Unterdessen hat Verena Becker, von der „intuitive“ Tagebuchaufzeichnungen aus den vergangenen Jahren gerade kriminalistisch ausgewertet werden, angekündigt, selbst eine Enthüllung über die Ereignisse am 7. April 1977 zu schreiben. Wie brisant dies für die staatlichen Organe werden könnte, lässt sich an der Tatsache erahnen, dass Innenminister Wolfgang Schäuble, wie heute bekannt wurde, erwägt, die bisher unter Verschluss gehaltene Verfassungsschutzakte Verena Becker freizugeben.

Doch auch die wird nur eine Teilwahrheit zu Tage fördern. Wer die siebziger Jahre im linken Spektrum erlebt hat, weiß um den Wahrheitsgehalt von Verfassungschutzakten. Wahrheit ist, sagt Jürgen Habermas, der Konsens aller vernünftigen Sprecher. Darauf wird man lange warten müssen.

Was das RAF-Drama aber am Laufen hält, ist nicht die allerorts eingeforderte „Wahrheit“, sondern die Spannung des Publikums, wer von den überlebenden RAF-Akteurinnen und Akteuren zuerst das Schweigen brechen wird. So politisch verfehlt und verirrt das RAF-Programm war, so gegen alle Erfahrung bemerkenswert ist das bisherige Schweigen. Als militärische Formation war die RAF ein Desaster; als eingeschworene Gruppe transportiert sie ein Angebot, das die Jüngeren, von politischen Inhalten gereinigt, offenbar annehmen. Eben das macht die RAF immer noch bühnentauglich.

Bubacks Mörder Auf der Spur eines ungeklärten Verbrechens, heute, 2. September um 23.30 Uhr auf ARD.

In diesem vom SWR produzierten Film geht der Autor Egmont R. Koch den vielen offenen Fragen dieses Falles nach. Im Zentrum der 45-minütigen Dokumentation steht die Frage nach den Tätern, die auch heute - mehr als 30 Jahre nach der Tat - unbeantwortet ist.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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