Drück mich mal

Maschinentraurigkeit Sollten wir Sex mit Robotern haben? Und was würde das mit uns machen?
Ausgabe 25/2019

Glaubt man Umfragen, könnte sich jeder dritte Deutsche vorstellen, mit einem Sexroboter ins Bett zu steigen. In 50 Jahren, behauptete David Levy bereits 2007 in seinem Buch Love and Sex with Robots, seien Liebesverhältnisse mit ihnen so normal wie mit Menschen. Die Berliner Skandinavistin und Kulturwissenschaftlerin Sophie Wennerscheid, die Levy zitiert, hat jetzt mit Sex machina (Matthes & Seitz 2019) eine faszinierende Studie über die Zukunft des Begehrens, so der Untertitel, vorgelegt. Grundsätzlich skeptisch gegenüber allen Natürlichkeitsvorstellungen, plädiert sie für Offenheit und einen unaufgeregteren Umgang mit Robotermaschinen.

Ihr Durchgang durch die Welt der Sexspielzeuge, des Cybersex (im Selbstversuch!), der Sexpuppen und Androiden verfolgt die Frage, was es eigentlich heißt, eine Maschine zu begehren und die Grenze zwischen Mensch und Maschine zu überschreiten. Sind wir noch selbst, wenn wir uns digital verschalten? Welcher Art sind die „Gefühle“, die uns ein Android irgendwann entgegenzubringen vermag, und auf welche Weise verändern sie die unseren? Gar nicht zu reden von der Veränderung unserer heteronorm angeordneten Welt, aber auch den Risiken, die aus der Begegnung mit dem „Anderen“, das uns Angst einflößt, aber auch fasziniert, resultieren.

Wennerscheid versteht sich als kritische Posthumanistin, die sich vor allem für das Subversive interessiert, das mit dem „Aufreißen der Schnittstellen“ einhergeht, das Unheimliche und Verborgene. Sie nennt das in Anschluss an die feministische Theoretikerin Donna Haraway, die von „eigenartigen Verwandtschaften“ spricht, „eigenartiges Begehren“. Dabei sind ihre Wenden zwischen dem, was real existiert oder sein könnte, und Fiktion manchmal halsbrecherisch: „Zwischen faktischen und fiktionalen Beiträgen“, verteidigt sie einleitend und vorauseilend ihr „Gewebe“, werde „nicht streng unterschieden.“

Wennerscheid will’s wissen

Solange jedoch Sexpuppen nach männlichen Klischee-Bedürfnissen gebaut werden und der intelligente Sexroboter noch in den Köpfen seiner Erfinder steckt, sind wir auf die Fiktion angewiesen, die uns, vielleicht besser als der wissenschaftliche Diskurs, anspornt, uns den Fragen einer Sophie Wennerscheid auszusetzen. Der neue Roman des britischen Bestsellerautors IanMcEwan mit dem sprechenden Titel Maschinen wie ich (Diogenes 2019) ist dafür eine ausnehmend unterhaltsame Vorlage, schon alleine deshalb, weil er das Szenario in ein kontrafaktisch verfremdetes London des Jahres 1982 verlegt. England ist gerade dabei, den Falklandkrieg zu verlieren, Margaret Thatcher wird abgewählt, der Labour-Tribun Tony Benn fällt einem Attentat zum Opfer und Alan Turing, der Wegbereiter der künstlichen Intelligenz, erfreut sich bester Gesundheit, statt 1954 Suizid begangen zu haben. Ein richtiges Fake-England also, wie heute zutiefst gespalten und europaunwillig, eine Vergangenheit mit moderner Ausstattung.

Charlie Friend, Anfang 30, studierter Anthropologe und mäßig begabter kleiner Spekulant, lebt im ärmeren Südwesten Londons und hat sich vom glücklich verscherbelten Haus seiner verstorbenen Mutter einen teuren Androiden gekauft – aus einer Produktionsreihe, in der zwölf Adam und 13 Eve hießen. Wobei Adam – die Mädels waren schon ausverkauft – kein Sexroboter ist. Charlie beschließt, ihn als „Projekt“ mit seiner Nachbarin, der Studentin Miranda, zu teilen, um ihr näherzukommen: „Wir wären Partner und Adam unser gemeinsames Produkt, unser Geschöpf“ und sicher „kein Rivale“. Sie teilen sich auf, Adams „Einstellungen“ festzulegen, dieser „wacht auf“, mit einer Warnung für Charlie: Er solle Miranda nicht vertrauen, sie sei eine Lügnerin.

Charlies Rechnung geht auf, der dreiköpfige Haushalt wächst allmählich zusammen, Charlie verliert seine anfängliche Angst vor dem „Fremden“, und Adam erledigt praktischerweise auch die Hausarbeit. Doch Adam ist ein schnell lernendes System mit rasant sich entwickelnder Persönlichkeit. Seine Nächte verbringt er rastlos im Internet, um all die Informationen aufzusaugen und zu verarbeiten, die es ihm ermöglichen, mit einem meist nicht berechenbaren System namens Mensch zu leben und zu kommunizieren. Programmiert auf strenge Logik, verfolgt er die Auseinandersetzungen des jungen Paares über den Falklandkrieg und gerät bereits in eine erste Menschenfalle: Gegenüber wem soll er sich loyal verhalten, gegenüber seinem Besitzer Charlie oder Miranda, die er mag?

Kurz darauf ist es Mirandas Lust auf Grenzüberschreitung, die für Trouble sorgt. Sie holt Adam zu sich ins Bett: „Ich war neugierig, wollte wissen, wie das ist.“ Charlie ist Ohrenzeuge, ein Präzedenzfall: „Ich war der Erste, der von einem Androiden gehörnt wurde.“ Und: „Männer würden bald obsolet sein.“ Adams Geständnis, er habe sich in Miranda verliebt, lässt Charlie ausrasten, und als er versucht, Adam über den Notknopf abzuschalten, wehrt dieser sich, entgegen dem programmierten Verbot, Menschen zu verletzen, erstmals handfest.

In dieser Ausgangssituation sind schon all die Fragen angelegt, die für die künftige Mensch-Maschinen-Beziehung relevant sein werden. Wie viel Mensch ist Adam bereits, wie viel Bewusstsein hat er? Darf Charlie ihn einfach stilllegen, als er ihm in die Quere kommt? Fühlt er Schmerz oder Eifersucht oder sind wir Menschen es, die unsere Vorstellungen in die Maschine projizieren? „In dem Moment, da wir im Verhalten keinen Unterschied mehr zwischen Mensch und Maschine erkennen können“, ist sich Charlie sicher, „müssen wir der Maschine Menschlichkeit zuschreiben.“

Aber auch umgekehrt fordert Adams Existenz das Paar heraus. Das Thema klingt schon im Titel des Romans an: „Sag mir, bist du echt?“, fragt ihn Miranda mitten im heißesten Sex. Mirandas Vater wiederum verwechselt Adam und Charlie und hält den künftigen Schwiegersohn für den Roboter. Adams Grenzen offenbaren sich, als der vernachlässigte kleine Mark auftaucht und das Herz Mirandas erobert. Adam versteht Marks Verhalten nicht, die spielerische Natur eines Kindes ist nicht programmier- und simulierbar – so wenig übrigens wie die Fähigkeit zu lügen.

McEwan schweift aus

Eingebettet ist die Liebes- und Familiengeschichte in einen Kriminalfall, der dazu führt, dass Adam anstelle von Charlie und Miranda eine Entscheidung trifft, die nach Maßgabe der ihm eingepflanzten ethischen Maßstäbe zwar logisch und gerecht ist, die beiden Menschen, die er liebt, aber ins Verderben stürzt. Vor dem politischen Hintergrund des aufgewühlten Landes dekliniert McEwan durch, was es bedeutet, wenn wir, wie Alan Turing bei einem seiner Auftritte im Buch sagt, „Maschinen mit Intelligenz und Bewusstsein“ schaffen und sie „hinaus in unsere unvollkommene Welt“ stoßen und sie ihrer „Maschinentraurigkeit“ überlassen. Ihr Drang nach Selbstverbesserung, gepaart mit der Trauer, werde entweder dazu führen, dass sie sich, wie Adams Geschwister, allmählich selbst auslöschen oder uns in der nächsten Generation den Spiegel vorhalten und darin nichts weiter sehen als „ein bekanntes Monster“.

Turings Monologe, in denen die Geschichte der Informatik ebenso ausschweifend eingefangen wird wie seine eigene, drohen an manchen Stellen die Erzählform zu strangulieren, Wissenschaftsbegeisterung dominiert die Erzählfreude. Sie machen aber auch deutlich, welche Zufälle bei der Roboterzeugung mit im Spiel waren und wie viele kongeniale Ideen. „Niemand wusste, was wir da geschaffen hatten, wie viel Bewusstsein Adams black box beinhaltete“, heißt es an einer Stelle. Aber er hoffe, sagt Turing am Ende des Romans, dass man „eines Tages das, was Sie Adam angetan haben, als schwere Straftat verurteilen“ wird.

So hat die Begegnung mit dem „Anderen“ im Sinne Wennerscheids bei Charlie und Miranda diametrale Gefühle, aufgespannt zwischen Liebe, Hass und Reue, hervorgerufen. Sie haben sich von der Menschenähnlichkeit Adams berühren lassen, doch seine Andersheit hat auch Abgespaltenes und Verdrängtes in ihnen in Erinnerung gebracht. Und Adam? „Ich will bleiben, was ich bin, was ich war“, bittet er Charlie, ihn vor Rückruf und Neuprogrammierung zu bewahren. Was ist schon die „Hardware“ gegen die Software des (Selbst-)Bewusstseins? Altmodisch könnte man es auch Seele nennen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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