E- oder S-Klasse?

Echt gefühlskalt Wir werden eben doch als Jungen und Mädchen geboren

Haben wir es nicht schon immer gewusst? Entspricht es nicht unserer tagtäglichen Erfahrung, auch wenn wir es nie wahrhaben wollten? Nun ist es wieder einmal wissenschaftlich bestätigt: Männer sind nicht nur unfähig, Gefühle zu zeigen, schlimmer, sie haben gar keine! Und Frauen? Na, die sind natürlich viel besser darin, sich in andere hineinzuversetzen und die Gefühlssau rauszulassen. Können ihre Mitmenschen verstehen, während das männliche Pendant der Spezies gefühlsblind und -taub durchs Leben wankt. "Alexythymie" nennt sich das korrekt wissenschaftlich, und es hat auch gar keinen Zweck, sich dagegen zu wehren: Das ist nämlich im Gehirn verankert, sagen die Hirnforscher, und denen flötete es der Spiegel kürzlich nach.

Was haben wir uns doch abgeschunden! Wiesen nach, dass Jungs die Bauklötze kriegen, während Mädchen mit Puppen aufs häusliche Glück trainiert werden; argumentierten, dass das alles gar nicht so sein muss; polemisierten gegen die männliche Gefühlskälte. Diese Sisyphosarbeit am weiblichen Selbst und männlichen Ego - alles Quatsch! Hätten wir uns schenken können: Das weibliche Gehirn, so lese ich in der neuesten Auflage über die Annahmen weiblichen Schwachsinns, nämlich "ist so ›verdrahtet‹, dass es überwiegend auf Empathie ausgerichtet ist. Das männliche dagegen auf das Begreifen und den Aufbau von Systemen." Sagt Simon Baron-Cohen. Der ist nicht einmal Hirnforscher, sondern Psychologie-Prof im englischen Cambridge, aber wie die Kollegen vom harten Fach bestätigt er, dass Männer und Frauen "vom ersten Tag an anders" sind. Alles angelegt, pardon, verdrahtet! Schon bei Babys nachweisbar: Die kleinen Jungs schauen nämlich länger auf ein Mobile, während sich Mädchen mehr von einem Gesicht angezogen fühlen.

Also, lerne ich, habe ich ein E-Hirn. E für Empathie. Männer haben ein S-Hirn, die denken in Systemen: Bauklötzchen, Mathe, Schlacht- und Mordpläne, Sie wissen schon. Wir Frauen dagegen quasseln ständig mit der Freundin, haben nah am Wasser gebaut und sind viel anteilnehmender. Verstehen wir den Herrn nicht falsch, das ist kein Nachteil, ganz im Gegenteil! Denn im Unterschied zu den bedauernswerten Männern sind wir, die wir vom limbischen System (also dem Hirnareal, das für die Gefühle zuständig ist) gesteuert werden, viel weniger gefährdet, in die riskanten Zonen des Autismus zu geraten. Männer dagegen surfen mit ihrem S-Hirn gefährlich nahe in autistischen Grenzbereichen.

Autisten, wissen wir, sind überhaupt nicht in der Lage, mit ihrer Umwelt zu kommunizieren, sie neigen zu Wiederholungshandlungen (System!) und verhalten sich merkwürdig. Seit Rain Man wissen wir allerdings auch, dass sich unter ihnen die großen Genies befinden. Einstein soll ein bisschen so gewesen sein, behauptet unser Gewährsmann, Isaac Newton und der berühmte Code-Knacker Michael Ventris. Und wer wollte ernsthaft auf Einstein oder Newton verzichten? Also, sagt Baron-Cohen, sollen wir mal schön die Finger von den Genie-Autisten lassen und ihnen nicht ins Hirn pfuschen. Dass wir sie mit Respekt behandeln sollten, da ist dem Psychologen ja nun wirklich zuzustimmen.

Nun denken Sie nicht, der Autor hätte sich gegen die Frauen verschworen und wolle ihre Diskriminierung zementieren. Diesen Sündenfall weist er wiederholt von sich und lässt sogar all die Feministinnen in seinem Bekanntenkreis aufmarschieren. Und bezeugt, dass sich die Physik- oder Mathe-Profs in Cambridge lieber die begabten jungen Studentinnen ranholen. Natürlich sind das nur wenige, von wegen E- und S-Hirn. Wobei, räumt er ein, das alles nur typologisch sei, es gäbe durchaus auch Frauen in der S- und Männer in der E-Klasse.

Ach, eigentlich müssten wir Limbischen den Hirnforschern und ihren psychologischen Adepten doch dankbar sein. So brauchen wir uns nicht mehr an unserem gefühlskalten Konterpart abzuarbeiten, sondern können unsere ganze Empathie darauf verwenden, sie zu bedauern. Sie können ja nichts dafür. So wenig, wie der geschwätzige Professor aus Cambridge. Der sagt von sich, dass er auf E-Klasse fährt. Tja, keine Regel ohne Ausnahme.

Simon Baron-Cohen: Vom ersten Tag an anders. Das weibliche und das männliche Gehirn. 331 Seiten. Walter-Verlag 2004.


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden