Ihre Partei sei nicht ihre Familie, erklärte kürzlich die 1991 geborene Jungunternehmerin Diana Kinnert, mit ihrem markanten schwarzen Schlapphut derzeit das jüngste weibliche Aushängeschild der CDU. Kürzer hätte man das gewandelte Verhältnis zwischen Mitglied und Partei kaum fassen können. Das Statement ist Ausdruck der schwindenden Bindekraft der Volksparteien, deren „Krise“ seit den Europawahlen und spätestens seit den Landtagswahlen in Ostdeutschland medialen Durchzug erzeugt. Diese seien zu vergangenheitsbezogen, in ihrem Profil ununterscheidbar und in ihren Kommunikationsformen abgehängt, so die Diagnosen. Nicht anschlussfähig an die Zukunft, behauptet der Soziologe Harald Welzer, befänden sich die Volksparteien in einem „Endgame“, bei dem die SPD ohnehin schon verloren habe. Die Zeiten jedenfalls, als CDU/CSU und SPD noch fast 90 Prozent der Wählerstimmen einheimsen konnten wie 1972 und zumindest jene Teile der Bevölkerung integrierten, die nicht auf eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft orientiert waren, scheinen endgültig vorbei.
40 Jahre Krisenstimmung
Dabei gab es schon Mitte der achtziger Jahre Befunde über die schwindende Parteienidentifikation, die, so die Prognose, sich zu einer generellen Legitimationskrise des Parteiensystems in der Bundesrepublik auswachsen könnte. Als Indizien wurden die zurückgehende Wahlbeteiligung und das Auftreten neuer kleiner Parteien auf der einen Seite und Funktionsdefizite der Volksparteien auf der anderen Seite ausgemacht. „In der Gesamtbevölkerung wächst die Skepsis“, heißt es etwa in einer Analyse aus dem Jahre 1987, „die Parteien seien in der Lage, die drängenden und schwierigen Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben zu lösen, das Vertrauen in die Parteien zeigt Brüche.“ Ein Satz, dessen Evidenz sich über 30 Jahre später hinreichend bestätigt, nur dass die beginnenden Rostschäden am Korpus der Volksparteien mittlerweile in eine wohl nicht mehr aufhaltbare Korrosion übergegangen sind. In dieser Zeit, um nur einen Indikator zu nennen, haben sich die Mitgliederzahlen von Union und SPD halbiert.
Besonders deutlich tritt die Erosion der Volksparteien im Osten hervor, weil die politischen Adhäsionskräfte generell geringer sind und das Wahlverhalten unberechenbarer ist als im Westen. Auch die Erinnerung an die Rolle der einstigen Blockparteien CDU und LDPD dürfte bei den Älteren noch eine Rolle spielen, was es umgekehrt für die Union undenkbar macht, mit der Linkspartei, wie in Thüringen möglich, einen „historischen Kompromiss“ einzugehen. Ohnehin schon als sozialdemokratisch imprägniert wahrgenommen, würde sie mit der Aufgabe ihres kompromisslosen Antikommunismus den letzten Markenkern aufgeben.
Problematischer aber für die Volksparteien ist, dass die alten Rollenverteilungen im Rahmen einer nationalstaatlich begrenzten Politik nicht mehr funktionieren. Die SPD ist unfähig, in einer klimatisch bedrohten und digital umgebauten Gesellschaft noch als Modernisierungsagentur zu fungieren, als die sie sich in den sechziger und siebziger Jahren und in gewisser Weise auch in den nuller Jahren profiliert hat. Hatte sie in der Ära der sozialliberalen Koalition Anstöße gegeben, das Demokratiedefizit (gebremst) abzubauen, Bildungsreserven zu mobilisieren und die gesellschaftspolitische Erneuerung voranzutreiben, fiel ihr später die Aufgabe zu, den Nationalstaat unter neoliberalem Vorzeichen fit zu machen für den internationalen Konkurrenzkampf. Sie setzte politisch und ökonomisch durch, was die Union niemals hätte erreichen können. Diese wiederum holte die breiten beharrenden Bevölkerungsteile (und sich selbst) aus den letzten Verkrustungen der Adenauer-Ära und führte sie vorsichtig an modernere Vorstellungen von Familie und Gesellschaft heran. Allerdings unter Verlust jenes nationalkonservativen Teils, der früher von einem Franz Josef Strauß oder Alfred Dregger repräsentiert wurde.
Der von beiden Volksparteien verfolgte, in der sozialen Marktwirtschaft inkarnierte Konsensualismus ist ihnen paradoxerweise nun zum Verhängnis geworden. Wobei auch daran erinnert werden muss, dass sie auf die seit den siebziger Jahren schwelenden ökologischen und sozialpolitischen Krisen so wenig eine Antwort hatten wie heutzutage und sich schon damals abzeichnete, dass die Sozialversprechen, die etwa mit einer immerwährenden Wachstumspolitik, der Atomkraft und anderem verbunden waren, in Konflikt geraten mit dem Schutz der gefährdeten Umwelt.
Einmal unterstellt, dass die Union derzeit noch stärkere Revitalisierungskräfte bereithält als die SPD, wäre also zu fragen, welche strategischen Optionen ihr offenstehen. Die sukzessive Rechtskurve, mit der die zur AfD abgewanderte Klientel wieder eingefangen werden sollte, ging ins Leere, weil die Motivation vieler Wähler, die AfD zu wählen – nicht Überzeugung, sondern Protest –, damit nicht aufgefangen werden kann. Andererseits ist die Zeit noch nicht reif für ein Bündnis mit den Rechtspopulisten, so lange jedenfalls, bis diese ihr Verhältnis zur nationalsozialistischen Sturmtruppe nicht geklärt haben. Selbst ein Friedrich Merz, sollte er wider Erwarten von der Parteibasis doch noch auf den Schild gehoben werden, wird ein solches Experiment nicht eingehen wollen.
Einen anderen Weg geht gerade Markus Söder mit seiner moderaten ökologischen Öffnung (Artensterben) und für die CSU ungewohnten gesellschaftspolitischen Akzenten (Frauenquote), allerdings mit deutlichen Distanzgesten nicht nur zur AfD, sondern auch zu den Grünen. Es gehe nicht um Schwarz und Grün, dekretierte der CSU-Chef auf dem Parteitag, sondern um Schwarz oder Grün, also die Besetzung grüner Felder vom schwarzen Raben. Interessant wird sein, wie er sein Angebot an den schöpfungssensiblen Flügel seiner Partei den immer unruhiger werdenden Bauern und der Industrie schmackhaft macht.
Immerhin hat Söder kapiert, dass die früher so erfolgreiche Abwehr jedes ökologischen Anliegens durch Angstmache (Arbeitsplätze!) nicht mehr funktioniert. Aber verstehen er – und die Union insgesamt – es auch, dass weder der Beifall zu einem Artenschutzbegehren noch ein Klimapaket, das etwa den Individualverkehr unverdrossen forciert, oder eine Grundrente, die den Namen nicht verdient, keine Antworten sind auf das, was die Bevölkerung umtreibt? Die jeden Tag in den Betrieben Zeuge davon wird, wie die Produktivität steigt, und gleichzeitig feststellt, dass die Arbeitsbedingungen schlechter werden und es im Alter nicht zum Leben reicht? Der vor dem nächsten Hitzesommer graut und die mit ansehen muss, wie ganze Wälder sterben?
Die Union – und auch die SPD, sollte sie sich erholen – müssen neue Rollen finden, jenseits der Grünen, die voraussichtlich als die überzeugendsten Modernisierungsplayer vom Platz gehen werden, es sei denn, das Söder-Modell reüssiert. Der Job der Grünen wird sein, den digitalen und ökologischen Umbau der Gesellschaft zu flankieren mit Maßnahmen, die entgegen allen anderslautenden Parteitagsbeteuerungen wehtun und für die sie einen hohen politischen Preis bezahlen werden. Wer aber übernimmt es, die sozialen Folgekosten abzufedern, die dieser Umbau mit sich bringt?
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