Gute Nachrichten für die deutschen Rentner. Zum ersten Juli werden sie im Westen 3,22 Prozent mehr auf dem Konto vorfinden, im Osten 3,37 Prozent, womit sich der Renten-Gap in beiden Teilen der Republik minimal schließt. Für manchen Senior wird die Freude aber auch getrübt, denn je nachdem, ob er oder sie noch andere Transferleistungen wie etwa Wohngeld bezieht, kann es wie bei Rosemarie Wollatz vorkommen, dass am Ende netto weniger im Geldbeutel ist. Die alte Dame aus Röbel an der Müritz war darüber derart empört, dass es ihr Fall sogar in die lokale Presse schaffte.
Die anderen, die von einer minimalen Altersrente leben müssen, bleiben in der Regel unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Dass es vielen alten Menschen ökonomisch schlechter geht
chter geht als vor zehn Jahren, belegt die Tatsache, dass immer mehr Rentner zwischen 65 und 74 Jahren hinzuverdienen müssen. Waren es 2008 noch 5,1 Prozent, stieg diese Quote von 2010 an rasant auf 11,4 Prozent, so das Institut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden. Dabei suchen sich Männer fast doppelt so häufig einen Job wie Frauen. Diese allerdings erreichten aus eigenen Anwartschaften 2016 nur zwei Drittel des Alterseinkommens von Männern.Nichtsdestotrotz wird derzeit wieder einmal – zumindest theoretisch – an der Rentenschraube gedreht. Bekanntlich hatte sich die Union vor der Wahl weggeduckt und das Problem auf eine zu bestellende Kommission verschoben, im Koalitionsvertrag mit der SPD dann aber die sogenannte „doppelte Haltelinie“ vereinbart. Demnach soll das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken, der Beitragssatz aber auch nicht über 20 Prozent steigen. Das gilt zwar nur bis 2025 – einem Zeitpunkt also, zu dem Angela Merkel sicher nicht mehr Kanzlerin sein wird –, aber selbst bis dahin soll der Fehlbetrag in der Rentenkasse durch Steuermittel ausgeglichen werden. Dagegen laufen die Experten nun Sturm, gegen einen Hubertus Heil, der als SPD-Bundesarbeitsminister in die Fußstapfen von Norbert Blüm treten will: „Die Rente ist sicher“, akklamiert er dem Altvorderen der Union.Donnernde ProphetenEben das bringt die Experten nun auf die Palme. Was nämlich danach kommt, haben sie in verschiedenen Gutachten nun mehr oder minder düster ausgemalt. Das Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München rechnet vor, was diese „doppelte Haltelinie“ der Bundesregierung von 2023 an kosten wird. Soll das versprochene Sicherheitsnetz halten, müssten, so die Rechnungen, 2025 elf Millionen Euro mehr in die Rentenkasse fließen, und von 2030 an müsste sie sogar mit 45 Milliarden Euro gefüttert werden; bis 2048 kämen auf die Steuerzahler sogar 125 Milliarden zu. Unbezahlbar, so das Resümee. Bei diesen Berechnungen ist übrigens noch gar nicht berücksichtigt, dass die Erziehungszeiten für Kinder, die vor 1992 geboren sind, gerechter geregelt werden sollen, um die rententechnische Bevorzugung einer „späten Geburt“ zu mildern. Wie dies genau ausgestaltet wird, ist noch nicht klar.Bei solchen düsteren Szenarien sind die Propheten des donnernden Rentengottes immer schnell zur Stelle. Als probates Mittel gegen den „Alten-Gau“ wird der Öffentlichkeit regelmäßig die Erhöhung des Rentenalters angedient. Die Wirtschaftsforschungsinstitute haben in ihren Frühjahrsgutachten wieder einmal die Rente mit 70 ins Spiel gebracht, allen voran Ex-Ifo-Chef Hans-Werner Sinn, der besonders dramatische Bevölkerungsprognosen vorlegt.Gegen die zweite Alternative – die Erhöhung der Beitragssätze – machen selbst schon die Arbeitgeber mobil, weil dies auch sie treffen würde. Eine Absenkung des Rentenniveaus ist – zumindest derzeit – politisch nicht opportun. Dass die Erhöhung des Rentenalters denselben Effekt hat, weiß, wer einmal einen gutausgebildeten 58-jährigen IT-Experten bei der Arbeitssuche begleitet hat. Sie werden gesucht, wird überall behauptet. Doch der Malus des Alters ist fast unüberwindbar. Das Schicksal einer Frühverrentung bedeutet dann nichts anderes als eine Rentenkürzung und schlägt umso heftiger zu, je höher das Renteneintrittsalter ist.Die Annahmen der Experten stehen allerdings auch auf schwankendem Fundament. Denn sie schreiben nicht nur einfach die Bevölkerungsentwicklung der vergangenen Jahrzehnte linear fort – ohne Berücksichtigung der jungen Menschen, die zunehmend wieder mehr Kinder bekommen und des Zustroms von überwiegend jungen Migranten –, sondern sie berufen sich auch immer nur auf den „Altenquotienten“, das heißt das Verhältnis zwischen den über 65-Jährigen und der erwerbstätigen Bevölkerung.Dagegen hat eine Forschergruppe der Hans-Böckler-Stiftung kürzlich darauf aufmerksam gemacht, dass diese sogenannte „demografische Abhängigkeitsquote“ das Bild völlig verfälscht. Zu berücksichtigen sei, dass es viele Menschen im erwerbstätigen Alter gibt, die offiziell als „unterbeschäftigt“ gelten, die also Transferleistungen erhalten. Lege man nicht die demografische, sondern die ökonomische Abhängigkeitsquote zugrunde, werde deutlich, dass nicht Rentenalter, Beitragssatz oder Rentenniveau, sondern der Arbeitsmarkt „die Schlüsselrolle“ für eine „sozial- und ökonomisch sinnvolle Bewältigung des demografischen Wandels“ spiele. Vor allem Frauen und Migranten, aber auch ältere Menschen, die relativ schwach in den Arbeitsmarkt integriert sind, stellten ein wichtiges Potential dar. Je nachdem, welches Szenario der Bevölkerungsentwicklung man zugrunde legt, sinkt nach diesen Berechnungen die Belastung durch die Alterung der Gesellschaft von angenommenen 55 Prozent im Jahre 2060 auf ein Drittel oder sogar nur ein Fünftel.In dasselbe Horn bläst auch das Prognos-Institut, das im Auftrag der Deutschen Versicherungswirtschaft berechnet hat, welche Auswirkungen die zunehmende Erwerbstätigkeit von Müttern auf das Rentensystem hätte. Zwei Szenarien wurden gegenübergestellt: Steigt die weibliche Erwerbsbeteiligung, die derzeit bei 66,9 Prozent liegt, bei gleichbleibenden Arbeitszeiten bis 2050 gleich an, würden 71,3 Prozent aller Mütter auf dem Arbeitsmarkt vertreten sein. Der Beitragssatz der Renten würde dann auf 24,1 Prozent steigen, das Rentenniveau auf 40,9 Prozent sinken. Könnte man den Anteil der erwerbstätigen Mütter aber auf 85,5 Prozent steigern, käme man rechnerisch auf einen Beitragssatz von „nur“ 23,6 Prozent bei einem Rentenniveau von 41,6 Prozent.Das ewige EhegattensplittingEinmal davon abgesehen, dass Mütter eine Rente erwirtschaften können sollten, die ihnen eine eigenständige Alterssicherung garantiert, erscheinen Frauen in diesen theoretischen Aufrissen wieder einmal nur Manövriermasse einer verfehlten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Die strukturellen Bedingungen, die Mütter an der Erwerbstätigkeit hindern, werden nicht zur Kenntnis genommen. Und obwohl es gerecht ist, dass die Erziehungszeiten der nach 1992 geborenen Kinder zumindest ansatzweise so berücksichtigt werden wie die ihrer jüngeren Geschwister oder Freunde, hindert die „Erziehungsrente“ viele Frauen, die im unteren Einkommenssegment tätig sind, auch an der Erwerbstätigkeit, weil sie besser fahren, wenn sie zu Hause bleiben.Um Mütter in den Arbeitsmarkt zu integrieren, muss aber an ganz anderen Stellschrauben gedreht werden: Es braucht kinderfreundliche Arbeitszeiten, qualitativ gut aufgestellte Betreuungseinrichtungen, ein Einkommen, das dem der Männer vergleichbar ist – und nicht zuletzt die Abschaffung des Ehegattensplittings, dieses überkommene Relikt des familialen Patriarchats.Fast alle gutachterlichen Szenarien sind dagegen angetan, mit ihren Horrorszenarien Stimmung zu machen und die Generationen sowie Einheimische gegen Menschen, die aus welchen Gründen auch immer nach Deutschland kommen, gegeneinander auszuspielen. Dass am Ende wieder einmal Frauen als Ausputzerinnen herhalten sollen, passt in die hilflos dahinlavierende Rentenpolitik.Was aber auch die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung schuldig bleibt, ist eine Antwort auf die Frage nach dem Wachstum. Ist das überhaupt wünschenswert? In welchen Bereichen sollen die „Unterbeschäftigten“ integriert werden und zu welchen Bedingungen? Von einer Rente aus Niedrig- oder Mindestlöhnen kann man bekanntlich nicht leben.
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