Hohes C

Kommentar Die CDU in der biopolitischen Zerreißprobe

Es sind eigenartige Koalitionen, die sich in den letzten Wochen zusammenfinden: Die Grünen lassen durch Antje Vollmer ein Zweckbündnis mit der katholischen Kirche ankündigen, ein sozialdemokratischer Bundespräsident liest dem fortschrittstrunkenen Kanzler aus der Position christlicher Ethik die Leviten, während sich die Bischöfe von ihrer ureigensten politischen Vertretung, der CDU, im Stich gelassen fühlen und ihr das hochgesungene "C" im Namen absprechen.

Der Anlass, der den Wertetanker CDU derzeit in die Havarie treibt, ist ein erpresserisches Szenario, das medizinischen Heilungsauftrag gegen die Vernutzung menschlichen Lebens aufrechnet und das altbekannte politische Zweck-Mittel-Kalkül auf neue, groteske Höhen treibt. Da werden beispielsweise aus dem Munde eines ehemaligen "Zukunftsministers", der noch vor kurzen Inder gegen Kinder auszuspielen wusste, im Namen der "Barmherzigkeit" Embryonen im Reagenzglas verworfen oder, wie vom Ex-Pfarrer Peter Hintze, der "Kühlschrank", in dem sich die Reagenzgläser befinden, gegen die Kinderabteilung eines Krankenhauses aufgewogen; gar nicht zu reden von dem verständlichen Heilungswunsch schwerkranker Menschen, denen absehbare medizinische Hilfe versprochen wird - wenn, ja, wenn wir uns nur bereit fänden, über den Schatten ethischer Bedenken zu springen und das dazu notwendige "Material" bereit stellten.

Immerhin ist nun amtlich beglaubigt, dass in der Bundesrepublik Hunderte eingefrorene Embryonen auf ein ungewisses Schicksal warten - was hierzulande zwar verboten ist und noch im vergangenen Mai öffentlich und im Brustton der Überzeugung dementiert wurde. Und dem gerade zu Ende gegangenen Deutschen Ärztetag ist es zu verdanken, dass nachdrücklich auf den unlösbaren Zusammenhang von PID und embryonaler Stammzellenforschung hingewiesen wurde - was in den verrenkten Positionspapieren und Statements der CDU (und nicht nur dort!) nach Kräften verschleiert wird. PID klein zu reden auf "Grenzsituationen" widerspricht aller Erfahrung - nicht nur der im Ausland, sondern auch mit der Pränataldiagnostik: Ein bisschen PID wird es so wenig geben wie ein bisschen schwanger sein.

Verrückt jedoch ist vor allem, dass die biopolitische Debatte etwas zuwege gebracht hat, was den Christdemokraten noch vor zehn Jahren die Glückstränen in die Augen getrieben hätte: Den "Lebensschutz" auf die politische Agenda zu bringen. Eben dies holt die Partei, der schon damals vorgeworfen worden war, "das Leben" mit Füßen zu treten, nun wie ein böser Schatten ein. Sollte es ihr im Abtreibungsstreit doch mehr um die Bevormundung der Frauen gegangen sein, als um den Schutz des Embryo, den Teile der Partei nun durchaus bereit sind preiszugeben, wenn der Preis nur hoch genug ist? Freude sollte über den absehbaren moralischen Bankrott der Union indes nicht aufkommen, denn auf dem Spiel steht viel mehr als ein Parteitanker mit Schlagseite.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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