Karl Lauterbach erfüllt Träume von Apothekerlobby und Co.: Kölner Seilschaften
Gesundheit Lieferengpässe bei Arzneimitteln, eine verspätete Krankenhausreform und Kliniken vor der Insolvenz: Doch statt das Personal zu entlasten, erfüllt Karl Lauterbach lieber die Träume der Apothekerlobby
Von Entlastung des Personals steht nix in Lauterbachs Plänen
Foto: Anne Schönharting/Ostkreuz
Da wurde Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) von der heute-show überrascht: Beim Global Health Summit in Berlin drückte ihm ein Komiker der ZDF-Satiresendung eine Ibuprofen-Ananas-Mischung in die Hand – eine Anspielung auf die Lieferengpässe von Arzneimitteln. Man „prüfe“ die Rezeptur, verkündete Lauterbach augenzwinkernd. Dabei ist das Thema in der anstehenden Erkältungszeit ernst. Schon jetzt stehen Eltern in den Apotheken und fragen vergeblich Fiebersäfte für ihre Jüngsten nach.
Mit der Apothekerlobby verhandelt Lauterbach derzeit über Vorsorgeuntersuchungen. Blutdruck- oder Zuckerwertmessungen sollen zukünftig auch in der Apotheke durchgeführt werden, was wiederum den niedergelassenen Ärzten missf
Ärzten missfällt. Aber das „Teile-und-Herrsche“ gehörte schon immer zur Klaviatur im Gesundheitsministerium. Auch bei öffentlicher Gesundheitsvorsorge geht Lauterbach nicht zimperlich vor.Dem im Koalitionsvertrag verabredeten Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit wird die angeschlagene, weil in der Pandemie nicht wahrgenommene Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zum Opfer fallen. In den 1980ern hat sie in Sachen AIDS Gesundheitsgeschichte geschrieben, nun verschwindet sie im neu zu gründenden Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin, BIPAM. Es wird sich mit nicht übertragbaren Krankheiten befassen, also Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf, Schlaganfall, Krebs, Diabetes und außerdem die 400 Gesundheitsämter im Land koordinieren. Vor allem wird es dem Präventionsfuror des Ministers Rechnung tragen müssen.Das Robert-Koch-Institut (RKI) wiederum – seit der Pandemie die bekannteste Gesundheitsbehörde – soll sich fortan auf Infektionskrankheiten konzentrieren und verliert damit Kompetenz. Mit dem schon kommissarisch agierenden Lars Schaade hat Lauterbach einen konzilianteren Chef inthronisiert. Keine Bilder mehr wie mit Lothar Wieler, der mit seinen Ministern gar nicht immer „auf Spur“ war. Für die Errichtung des BIPAM ist der Leiter des Kölner Gesundheitsamts, Johannes Nießen, zuständig, eine Kölner Seilschaft sozusagen. Als Datensammelstelle zum Gesundheitszustand der Bevölkerung könnte dem BIPAM eine zentrale Rolle zuwachsen, denn der Minister weiß, dass Gesundheitsdaten das Gold der Zukunft sind.Vertrauliches Papier geleaktMit einer anderen, öffentlich viel präsenteren Großbaustelle, der Krankenhausreform, ist der Minister jedoch in Verzug. Nachdem die Bund-Länder-Runde im Sommer ihre Eckpunkte vorgestellt hatte, sollte eine Redaktionsgruppe bis Ende der Sommerpause eine Gesetzesvorlage schreiben. Das vertrauliche Arbeitspapier geriet an die Öffentlichkeit, noch bevor es den Ländern überhaupt zuging. Die Retourkutsche folgte, als vor allem die ostdeutschen Gesundheitsministerinnen den Zeitplan des Ministers immer lauter infrage stellten und Geld für den Übergang forderten. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) tat ein Übriges: Er wollte nicht als Klinikabräumer in den Wahlkampf ziehen. Im Mittelpunkt des künftigen Gesetzes, einer noch eher unvollständigen Stichwortsammlung, steht an erster Stelle die Ausgestaltung der sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen. Jener Kliniken also, die einmal als sogenannte Level-1i-Häuser firmierten, was die unterste stationäre Versorgungsstufe darstellt. Von solchen „Levels“ ist vorerst nicht mehr die Rede, ein Erfolg der Länderchefs, die um den Ruf ihrer Kliniken fürchteten. Für diese Einrichtungen wird eine ärztliche Mindestleistung festgelegt, die auch pflegerische Aufgaben umfasst. Abgerechnet wird über Tagessätze. Absehbar ist, dass viele kleinere Häuser (kolportiert werden 400 bis 500 der 1.700 Krankenhausstandorte) in dieses Versorgungssystem fallen. In der Regel halten sie keine Notfallversorgung bereit.Die übrigen Krankenhäuser sollen sich, wie schon im Eckpunktepapier angekündigt, über einen Mix aus Vorhaltepauschale und Fallpauschalen finanzieren, im Verhältnis von 40 zu 40 Prozent, die restlichen 20 Prozent stammen aus dem Pflegebudget. Allerdings berechnen sich auch die Vorhaltepauschalen aus einem komplizierten Mix aus Leistung und Fallzahl und -schwere, werden also nicht kostendeckend kalkuliert. Die unzureichenden verfügbaren Mittel werden nur neu verteilt. Das hilft den Krankenhäusern gar nicht in der derzeitigen, von Inflation und Kostendruck getriebenen Situation, und vielen nicht perspektivisch. Darauf machten im September – in ungewöhnlicher Einmütigkeit – Verbände, Betreiber und Beschäftigte bei einem Protesttag aufmerksam. Wenn der Bund nämlich kurzfristig kein Geld lockermacht, um die Kliniken über die Durststrecke zu bringen, könnte es sein, dass viele die Reform gar nicht mehr erleben, sondern vorher in Insolvenz gehen müssen.Für die Krankenhäuser geht es deshalb vor allem darum, mit möglichst vielen Leistungsgruppen in den Wettbewerb zu gehen. Leistungsgruppen bedeuten (fach-)ärztliche Angebote, die eine Klinik vorhält – innere Medizin, Kardiologie, Unfallchirurgie und so weiter. Diese sollen ihnen nach Willen der Vorlage von den Landesbehörden zugewiesen werden, nach streng vorgegebenen, auch mengenmäßigen Qualitätskriterien, die regelmäßig vom Medizinischen Dienst überprüft werden. Weil die Vorhaltepauschalen länderweit jedoch gedeckelt sind, müssen die Krankenhäuser ein Interesse daran haben, dass eine bestimmte Leistung nur von wenigen Einrichtungen angeboten wird, damit genug für sie abfällt. „Die Bundesländer“, erklärt das Bündnis Klinikrettung im Gespräch mit dem Freitag, „können sich also zwischen Pest und Cholera entscheiden. Verteilen sie die Leistungsgruppen auf möglichst wenige Krankenhäuser, müssen die anderen ihr Behandlungsangebot einschränken. Verteilen sie es an viele, gibt es pro Haus zu wenig Geld – und die Schließungen sind vorprogrammiert.“ Die kleinen Grundversorger werden dabei das Nachsehen haben, auch wenn die Länder Öffnungsklauseln für unterversorgte Gebiete durchsetzen konnten.Ausführlich lässt sich die Vorlage auch über die Überprüfung der Qualitätskriterien aus, und vielfach wird befürchtet, dass hier ein neues Bürokratiemonster auf die Einrichtungen zukommt. Mit dem Transparenzgesetz, das Lauterbach der Reform einfach vorgeschaltet hat und das kürzlich in erster Lesung durch den Bundestag ging, hat sich der Minister sowohl bei den Ländern als auch bei den Krankenhausbetreibern unbeliebt gemacht.Das Register, das Patient:innen Auskunft über die Qualität einer Klinik geben soll, ist heftig umstritten, weil es, wie die Deutsche Krankenhausgesellschaft befürchtet, die „Levels“ durch die Hintertür wieder einführt. Das könnte dafür sorgen, dass Einrichtungen trotz hoher Qualität und Erfahrungen einer niedrigeren Stufe zugeordnet werden, weil sie weniger Leistungsgruppen aufweisen.Von Entlastung des Personals und anderen qualitätssteigernden Maßnahmen ist bisher aber nirgendwo zu lesen. Mit einem Referentenentwurf wird frühestens Anfang November gerechnet – wohl zu spät, um die Reform noch zum 1. Januar in Kraft zu setzen. Zeit genug, um noch einmal deutlich zu machen, dass hier schon wieder der Markt, die Finanzen und nicht die Bedürfnisse eine Reform treiben.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.