Mein Mann ist durchgebrannt. Schaffen Sie Ordnung, Herr Minister!“ Solche Forderungen waren es, die Franz-Josef Wuermeling, den ersten 1953 von Kanzler Konrad Adenauer installierten Familienminister der Bundesrepublik, erreichten. Ein Familienministerium galt damals als so überflüssig wie ein Kropf und kontaminiert von NS-Ideologie. Doch sei, hielt der erzkonservative Wuermeling seinen Kritikern entgegen, „die ganze Entwicklung der Zeit der Entwicklung einer gesunden Familie abträglich“. Vom sozialhygienischen Aspekt dieser Aussage einmal abgesehen, gilt der Satz trotz vieler Wuermeling-Nachfolger auch im 21. Jahrhundert noch. 2017 scheint die Institution sogar so gefährdet, dass sich die gesamte Parteienlandschaft zum Schutz der Familie aufgerufen sieht und ihren Bundestagswahlkampf an ihren Belangen orientieren will. Dabei hatten die Kritiker des Familienministeriums eigentlich Recht: Familie, sagten diese damals sinngemäß, sei eine Querschnittsaufgabe und von allen Ministerien im Auge zu behalten. Als Nukleus der Gesellschaft diene die Familie dem Erhalt der Nation und ihrer wirtschaftlichen Entwicklung und Blüte. Ebendiesen Zielen, auch daran hat sich wenig geändert, blieb die Familienpolitik, ungeachtet eines moderneren Anstrichs, zeit ihres Bestehens verpflichtet: Nie auf sie, die Familie selbst, zielten ihre Maßnahmen ab, vom Wuermeling-Pass (dem vergünstigten Bahnfahren für kinderreiche Familien) über die beliebte 7b-Abschreibung (Erwerb von Wohneigentum) bis hin zum Bafög zur Ausschöpfung der so genannten Bildungsreserve. Diese Historie ist im Blick zu behalten, wenn man die neuerliche Bemühung um die Familie beurteilen will.
Ehestandsdarlehen
An die Spitze der Bewegung hat Horst Seehofer seine CSU zu setzen versucht. Das Geschenkpaket für junge Familien – vom Kinderwagen bis zur Babyausstattung – erinnert zwar ein bisschen an das Ehestandsdarlehen der Nazis, setzt aber, das ist das Moderne daran, nicht voraus, dass junge Frauen ihre Arbeit aufgeben. Das Ausbildungskonto, auf das der Staat regelmäßig etwas zuschießt, kann als eine Art vorgezogenes, nicht zurückzuzahlendes Bafög betrachtet werden. Erstaunlich ist schon eher, dass die Partei, die das Betreuungsgeld erfunden hat, nun doch wieder umschwenkt auf die Kita-Erziehung und die Kita-Gebühren erlassen will. Man darf annehmen, dass es hier noch Diskussionsbedarf gibt.
Nicht wirklich innovativ ist der Vorschlag, nach dem Vorbild anderer europäischer Staaten ein Familiensplitting einzuführen und das Familieneinkommen nicht mehr durch zwei, sondern durch die Zahl der Familienangehörigen zu teilen. Davon würden immerhin auch Alleinerziehende profitieren. Doch solange das Ehegattensplitting, für dessen Abschaffung sich SPD, Grüne und Linkspartei einsetzen, nicht generell beerdigt wird, bleiben Paare, die keine Kinder haben, bevorzugt. Das aber steht nicht auf der Agenda der Union, die erst im Juli mit der Verabschiedung des Wahlprogramms endgültig über ihr familienpolitisches Maßnahmenbündel entscheidet. Es könnte sein, dass es, je nach steuerpolitischem Spielraum, auch zu einer Wiederauflage der Eigenheimzulage kommt.
Familienministerin Manuela Schwesig hat gemeinsam mit ihrer Ministerkollegin Andrea Nahles für die SPD einen anderen Schwerpunkt gewählt. Ganz auf der Linie ihrer Sachverständigenkommission schlägt sie ein Konzept der Familienarbeitszeit vor. Danach sollen Eltern oder pflegende Angehörige ihre Wochenarbeitszeit auf 26 bis 32 Stunden – die früher schon vorgeschlagene starre 32-Stunden-Regelung hat sie fallenlassen – begrenzen können und dafür maximal zwei Jahre lang pro Person 150 Euro Ausgleich erhalten. Verbunden ist damit das Recht, nach einer bestimmten Frist zum früheren Arbeitszeitmodell zurückkehren zu können. Die Regelung soll auch für getrennt lebende Ehepaare und Angehörige (zum Beispiel pflegende Geschwister) gelten. Der Staat zahlt den Zuschuss allerdings nur, wenn beide Elternteile (mit Kindern bis zu acht Jahren) reduziert arbeiten.
Das Recht zur Rückkehr auf eine Vollzeitstelle für alle Beschäftigten hatte Arbeitsministerin Andrea Nahles bereits in ihrem Referentenentwurf für ein „Teilzeit- und Befristungsgesetz“ vorgestellt, allerdings nur für Betriebe mit mehr als 15 Beschäftigten. Schwesig weitet dieses Modell nun durch staatliche Anreize aus, wobei eine Ersatzleistung in Höhe von 150 Euro (für eine Familie maximal 300 Euro) nur für diejenigen interessant ist, die relativ wenig verdienen. Für Bezieher von mittleren Einkommen würde es jedoch deutliche Verluste nach sich ziehen, gar nicht zu reden von den ausfallenden Sozialversicherungsleistungen und den späteren Rentenanwartschaften. Das ist übrigens auch ein Problem beim Vorschlag der CSU, die Sozialversicherungsleistungen für Geringverdiener abzusenken.
Ganz offensichtlich verfolgt Schwesig dabei nicht nur die Absicht, dass auch Männer mehr Zeit mit der Familie verbringen und Frauen bei der Pflege von Angehörigen unterstützen, sondern auch die, dass die Möglichkeit häuslicher Pflege überhaupt erhalten bleibt und die Familien den Hauptteil dabei übernehmen. Die Ministerin rechnet das sogar explizit vor: Der Zuschuss zur Kinderbetreuung würde eine Milliarde Euro kosten, für die Pflege fünf Milliarden. Allerdings beteuert sie, dass der Staat nicht nur mehr Steuern einnehmen würde, weil Frauen im Schnitt mehr arbeiten, sondern damit auch die Kosten für die ambulante und stationäre Pflege – sie spricht von 5,5 Milliarden Euro – gesenkt würden. Es geht in diesem Fall also durchaus auch um eine Umverteilung der pflegerischen Last von öffentlichen Diensten auf die Familie. Selbst das nach dem Modell des Elterngeldes einzuführende Pflegegeld von 65 Prozent des letzten Nettoverdiensts (maximal 1.800 Euro, drei Monate) dürfte weniger kosten, als wenn Pflegebedürftige von professionellen Kräften versorgt werden müssten.
Zweckgemeinschaft
Es ist allen familienpolitischen Maßnahmen nicht abzusprechen, dass sie Familien in der einen oder anderen Weise entlasten. Soweit es sich um Vorschläge der SPD handelt, wird auch deutlich, dass sich ein neues Familienbild – Familie ist dort, wo Menschen betreut und versorgt werden müssen – durchzusetzen beginnt. Das ist notwendig, um überhaupt noch zu gewährleisten, dass Kinder, Alte und Schwache auch zukünftig von den Familien – im weitesten Sinne – aufgefangen werden. Gleichzeitig ist der Wirtschaft an weiblichen Arbeitskräften gelegen, die nicht völlig ausfallen, wenn die häusliche Pflicht ruft. Ihr Interesse an der Berufsfähigkeit der Frauen und an der vernünftigen Betreuung und Ausbildung der nächsten Arbeitskräftegeneration ist elementar, und die Zweckgemeinschaft Familie – egal wie sie zusammengesetzt ist – verrichtet diesen Job immer noch am besten und am billigsten.
Letztendlich ist es also nichts weiter als eine – bisher noch gar nicht durchkalkulierte – Grenznutzenrechnung, wie viel die Gesellschaft dafür aufwenden will, dass dieses System weiter funktioniert. Dem dürften sich auch die solchen Kalkulationen ja nicht abgeneigten Arbeitgeber beugen. Selbst wenn sie derzeit weder von Seehofers teuren Plänen noch von Schwesigs angeblichen Eingriffen in die Betriebsautonomie entzückt sind.
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