Die Amplitude studentischer Proteste beträgt ungefähr fünf bis sechs Jahre. Das ist nicht erstaunlich, weil in diesem Zeitraum normalerweise eine Studentengeneration wechselt. Während der UniMut-Streik 1988/89 vor allem noch für eine selbst bestimmte Lehre stritt, beginnen mit den Protesten von 1993, 1997, 2003 und 2008 die Abwehrkämpfe: Zuerst gegen Langzeitstudiengebühren, dann gegen Studiengebühren überhaupt, gegen die schlechte Ausstattung der Universitäten und schließlich gegen die Verschärfung der Studienbedingungen innerhalb des Bologna-Prozesses.
Insofern ist es schon bemerkenswert, dass der im vergangenen Sommer angezettelte studentische „Bildungsstreik“ in diesem Winter überhaupt wieder aufgenommen wird. Das deutet darauf hin, dass sich der Druck an den Hochschulen erhöht hat, nicht zuletzt durch rund 400.000 Erstsemester, die derzeit aus zwei Abitursjahrgängen an die Unis strömen. Die Umstellung der alten Studiengänge auf Bachelor- und Master-Abschlüsse, von oben dekretiert und an den Hochschulen oftmals zu bürokratisch oder dilettantisch umgesetzt, hat enorme Reibungsflächen erzeugt: berstende Stundenpläne und Seminarräume, Termin- und Notendruck, oft auch Geldnöte.
Gleichzeitig haben die Studierenden ein gutes Gefühl dafür, dass sie, wenn sie die Uni verlassen, auch als Konfektionsware nur geringe Abnahme finden. Dann hätten sie nicht einmal gehabt, was das Studium einst einmal attraktiv machte, intellektuellen Freiraum. Fürs Freistildenken, hat ihnen der Präsident der Freien Universität Berlin, Dieter Lenzen, einmal sinngemäß mit auf den Weg gegeben, sei die knappe Zeit im Bachelor-Studium nicht vorgesehen.
Nun halten die Studierenden mit ihren Schlafsäcken die Hörsäle besetzt, begleitet von den Krokodilstränen der Bildungsfunktionäre, die sich darin übertreffen, „Verständnis“ für die studentischen Forderungen zu bekunden und die Fehler aller Anderen einzuräumen. Nur richtig Hartgesottene wagen es, den bildungswilligen Nachwuchs mit Polizeiräumungen zu provozieren. Im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten sind die Streikenden nur locker vernetzt, verzichten auf Führung, und die aktiven Kerne sind noch kleiner als früher. Nicht selten laufen wie an der Berliner Humboldt-Uni Besetzung und Lehrbetrieb, die Wut gegen eine verkorkste Bildungspolitik und die Furcht, seine „Credits“ nicht zu schaffen, nebeneinander her. Auch die Hoffnung auf einen Job stirbt zuletzt. Und kein Trost ist es für sie, dass man sich um die nächste Generation einmal reißen wird.
An den Rand des Chaos gerieten die Hochschulen allerdings erst, wenn all die Nicht- oder Schlechtbezahlten aus dem akademischen Unterbau - die Lehrbeauftragten und brotlos Habilitierten, die die Lehre vielfach sichern -, in den Streik träten. Sie sind diejenigen, die die akademische Jugend qua Eventmanagement bei laune halten und konfliktfrei aufbewahren, bis dieses abgeufen wird. Möglicherweise, denn sicher können sich beide Seiten nicht sein.
Aber so, wie sich die Studentenschaft in „Exzellente“ und Fußvolk spaltet, so auch der überstrapazierte Lehrkörper, dessen verbeamteter Teil sich um studentische Evaluation nicht sorgen muss. Ein professoraler Demonstrationszug zum angekündigten Bildungsgipfel von Annette Schavan hätte vermutlich größere Wirkung als 50 Audimax-Besetzungen. Es geht schließlich auch um ihr „Bildungsprodukt“.
Ulrike Baureithel ist seit 1998 auch Lehrbeauftragte an der Humboldt-Universität zu Berlin
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