Lieb-o-Meter

Erschautes Erschauern Die Sichtspuren romantischer Liebe

Der Gott der Liebe ist der Bedürftigkeit Genosse - wer möchte diesem klugen Satz des Sokrates nicht beipflichten, egal, ob wir gerade glücklich beziehungsweise unglücklich verliebt sind, eine große Liebe verloren haben oder bestrebt sind, diese irgendwie auf Dauer zu stellen, im Wissen, dass dieser "Wahnsinn der Götter" so flüchtig ist wie der Schlag des Schmetterlings, der einem lieblich das Zwerchfell erschauern lässt. Erschauern, wohlgemerkt, nicht erschauen. Doch die Menschenkinder können sich mit dem Erschauern nicht genießend begnügen, weshalb sie allerhand Apparate erfinden, um noch dem zartesten, intimsten Geheimnis sehend auf die Spur zu kommen, es erfassen, fassen, festhalten wollen.

So ist die amerikanische Anthropologin Helen Fisher seit Jahren der Liebe auf der Spur. Nicht dem Sex oder der Bindung, den beiden Flügeladjutanten der Liebe, sondern dem einen wahren Gefühl, das uns umtreibt, quält, warten, hoffen, verrückt werden lässt, uns abhängig macht und in symbiotisch-eifersüchtige Ekstasen treibt. Romantische Liebe, sagt sie, ist wie Drogen oder Alkohol etwas, das süchtig macht.

Verliebte Gefühle, das wussten wir schon, haben etwas mit Chemie zu tun, die stimmt oder eben nicht stimmt. Das lässt sich schon bei Mäuseweibchen zeigen: Spritzt man ihnen Dopamin, kriegen sie einen Rappel auf den gerade greifbaren Mäuserich. Auch Biber, Löwen, Affen und selbst Kakerlaken sind "chemiegesteuert" und empfinden spezifisch "romantisch": "Liebe auf den ersten Blick ist das Werk der Natur", resümiert Fisher den Durchgang durch die Ethologie.

Auch bei Menschen korreliert ein erhöhter Dopamin- oder Norepinephrin-Spiegel mit Verliebtheitsgefühlen und bringt den "Lieb-o-Meter" dramatisch zum Ausschlag. Mit dem "Lieb-o-Meter" (eine Art Liebes-EEG) und dem Computertomographen werden die Hirnströme frisch Verliebter gemessen. Den 40 Versuchsteilnehmern wurden Fotografien ihrer Geliebten gezeigt und ihre Hirnreaktion mit den Antworten eines konventionell erhobenen Fragebogen verglichen. Die Liebes-Röhre, schwärmt die Autorin, lieferte ganz "wundervolle Bilder des ›verliebten Gehirns‹". Dabei flackert der "Nucleus caudatus", das Belohnungszentrum im Hirn, übrigens auch dann alarmierend rot, wenn die Liebe in der Realität aussichtslos ist.

Endlich! Liebe ist mehr als ein Gefühl, nicht irgendetwas, das wir uns nur einbilden. Man kann es als Computerbild verifizieren. Aber warum ausgerechnet "sie" oder "er"? Weil die körperliche Symmetrie stimmt, weiß die anthropologisch beschlagene Autorin, und "weil es für eine Mutter einfacher ist, ein Kind auszutragen, das eine ähnliche chemische Zusammensetzung hat". Deshalb, folgert sie, wählt man einen Partner aus dem eigenen Kulturkreis, mit vergleichbarem sozialen und intellektuellen Horizont. Denn der "große Preis des Lebens" besteht darin, "einen Partner zu finden, mit dessen Hilfe man die eigene DNS an die Nachwelt weiterreichen kann". Die romantische Liebe ist ein "grundlegender Liebestrieb". Sie diene - wie übrigens auch die Kultur, Gesänge, Bilder, Poesie - nur dazu, "den Partner in eine langfristige Beziehung zu locken." Denn "der Punktestand im Liebesspiel" ist an der "Zahl der Nachkommen" bemessbar.

Nachdem Helen Fisher zielsicher durch mehrere Millionen Jahre romantischer Evolution mit ihren "doppelten Fortpflanzungsstrategien" geführt und nebenbei Freud widerlegt hat, stellt sie die Frage aller Fragen: Kann man Liebe heraufbeschwören? Wie hält man sie lebendig? Und was ist zu tun, wenn trotz aller "Tänze" das geliebte Objekt verlustig geht und auf neuem Terrain wildert? Anpassung. Umwerbung. Und Loslassen, wenn "er" oder "sie" einfach nicht mehr mag. Vor voreiligen Dopamingaben und anderen chemischen Liebestränken immerhin warnt die vor lauter verliebten Hirnbildern auf glitschiges Psycho-Geschwätz geratene Wissenschaftlerin. Ihr absurder Spagat zwischen Anthropologie und Hirnforschung wird entschädigt mit einem vergnüglichen Streifzug durch die liebesromantische Weltliteratur (mit Ausnahme der reichhaltigen deutschen). Dabei hatte der Dichterfürst Goethe doch eine der tröstendsten Weisheiten für unglücklich Verliebte parat: "Wir lieben die Fliehenden und fliehen die Liebenden", wusste er und goss diese Einsicht in erschauernde Herzensbilder.

Helen Fisher: Warum wir lieben. Die Chemie der Leidenschaft. Aus dem Amerikanischen von Maren Klostermann. 310 Seiten, Walter-Verlag, Düsseldorf und Zürich 2005.


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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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