Missverständliches Signal

Kommentar Klonforscher erhält höchsten deutschen Wissenschaftspreis

Nein, Ian Wilmut, der Schöpfer des englischen Klonschafs Dolly, ist kein Severino Antinori, der vor ein paar Jahren behauptet hatte, das erste Klonbaby geschaffen zu haben. Wer Ian Wilmut je persönlich erlebt hat, weiß, dass er nicht müde wird, die von ihm geschaffene Technik gegen Missbrauch zu verteidigen und das Menschenklonen zu verurteilen. Wenn er seit Herbst 2001 an der Reprogrammierung von menschlichen Zellen forscht, dann, so betont er, ausschließlich zu therapeutischen Zwecken.

Die Technik, die dabei in Anwendung kommt, ist umstritten und in Deutschland verboten. Deshalb hat die Verleihung des höchsten deutschen, teilweise aus Steuergeldern finanzierten Wissenschaftspreises an den englischen Forscher in Politik und Öffentlichkeit Proteste ausgelöst. Daraufhin beeilte sich Wilmut mit einer Erklärung, er wolle das Preisgeld von 100.000 Euro gar nicht für sein Klonvorhaben, sondern für ein ethisch weniger umstrittenes Projekt mit Mäusen einsetzen.

Damit scheint die Landschaft erst einmal wieder befriedet. Kein Mensch fragt mehr danach, warum Wilmut ein Unternehmen verfolgt, das, sollte es je erfolgreich sein, nur einer sehr, sehr kleinen Zahl von Kranken helfen würde: Denn die genetisch bedingte Amytrophe Lateralsklerose (ALS) ist außerordentlich selten, und Wilmut selbst räumt ein, dass bislang nur für zwei Prozent der ALS-Fälle das Verursachergen bekannt ist und durch ein "reprogrammiertes" Gen - möglicherweise! - ersetzt werden könnte. Ebenfalls geht er nicht davon aus, dass die Technik jemals klinische Reife erfahren wird, nicht zuletzt, weil die vielen Millionen Eizellen, die beim groß angelegten therapeutischen Klonen notwendig wären, kaum aufzutreiben sind. Woher sie für sein derzeitiges Projekt kommen sollen, ist ebenfalls unklar, denn noch steht die Genehmigung aus, Eizellen aus Kliniken für künstliche Befruchtung zu verwenden. Vielleicht hat Wilmut deshalb in Roslin, seiner bisherigen Wirkungsstätte, gekündigt und trägt sich mit dem Gedanken, Großbritannien zu verlassen: Irgendwo auf der Welt, zum Beispiel in Korea, wird das "Material" schon aufzutreiben sein.

Insofern ist es völlig gleichgültig, ob Wilmut das Preisgeld nun für seine Klonexperimente einsetzt oder nicht. Dass der Paul-Ehrlich-Preis an einen Wissenschaftler geht, dessen zentrale Forschungsleistung vergangene Woche von der Mehrheit der UN-Mitglieder missbilligt wurde, ist ein missverständliches Signal an die Weltgesellschaft. Um so mehr, als die Verleihung in die Woche fällt, wo die Max-Planck-Gesellschaft nach sechs Jahren ein Resümee ihrer "Verstricktheit" in die Verbrechen des Nationalsozialismus zieht und sich daraus lernen ließe, dass auch "seriöse" Forscher nicht davor gefeit sind, auf den "slippery slope", die abschüssige Bahn der Wissenschaft zu geraten.


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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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