Gewöhnlich gehen wir achtlos vorbei, an den heroischen Athleten im Berliner Olympiapark zum Beispiel, der Säerin von Joseph Enseling (1934) am Essener Hauxplatz oder Hermannn Kaspars Mosaiken (ab 1935) im Deutschen Museum München. Gar nicht zu reden von den Skulpturen, die Hitlers Hofbildhauer Arno Breker in der Reichshauptstadt hinterlassen hat. Viele Künstler, die sich während des Nationalsozialismus in den Dienst der Staatskunst gestellt hatten, konnten nach 1945 ihre Karriere ungebrochen weiterverfolgen, ausgestattet mit üppigen Aufträgen für die „Kunst am Bau“ oder für Monumentalarbeiten wie Kaspars Gobelin Die Frau Musica (1970) in der Nürnberger Meistersingerhalle. Und lange Zeit hat das kaum jemanden interessiert.
Wie gehen wir um mit diesem materiellen Erbe? Wie konnte es sein, dass nicht nur vieles dieser kontaminierten Kunst in den Korpus der Bundesrepublik aufgesogen wurde, sondern sich die in ihr ausdrückende konservativ-figürliche Ästhetik weiterbehaupten konnte, trotz allem Modernismus, den die Documenta ab 1955 hervorgebracht hat? Vertreten von Leuten, die auf Hitlers „Liste der Gottbegnadeten“ standen und – nebenbei – dadurch auch dem Kriegsdienst entkommen konnten?
Verbandelt mit der Industrie
Diesen und anderen Fragen geht eine gleichnamige Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin (DHM) nach, die, darauf legen sein Leiter, Raphael Gross, und Kurator Wolfgang Brauneis Wert, den Blick nicht in erster Linie auf die Kunst im NS, sondern auf die Zeit nach 1945 richtet. 378 Künstler und Künstlerinnen aus allen Disziplinen landeten 1944 im Olymp des „Führers“, darunter 114 Bildhauer und Maler, im Unterschied zu anderen Bereichen ausnahmslos männlich. Schon dies wirft Fragen auf. Sie repräsentierten den Gegenpart zu den amtlich „Entarteten“, die ab 1933 aus den Akademien entlassen, mit Berufsverbot belegt und verfolgt wurden.
Am 19. Juli 1937 weihte Hitler mit der ersten „Großen Deutschen Kunstausstellung“ den „Tempel für wahre und ewig deutsche Kunst“ ein, nachdem sich Genehme wie Willy Meller, Josef Thorak, Josef Wackerle und natürlich auch Arno Breker ein Jahr zuvor schon auf dem Berliner Reichssportfeld hatten verewigen dürfen. Die ideologische Bedeutung der Kunst für den NS-Staat verschaffte Bildhauern und Malern Großaufträge in bisher nicht erreichtem Umfang, der Staat fungierte, wie Irith Dupon-Knebel in ihrem Gastbeitrag im informativen Begleitkatalog schreibt, als „absoluter Kurator“.
Die Ausstellung nimmt eingangs die spezifische NS-Kunstpolitik in den Blick und schließt, geografisch verortet, die lukrativen „Auftragsräume“ auf, die sich nach der Gründung der BRD für die Künstler eröffneten. Monumentale Hingucker sind der genannte Wandgobelin von Hermann Kaspar und Brekers Pallas Athene in Wuppertal. Bayern, das Rheinland und das Ruhrgebiet spielten bei der Rehabilitation der Staatskünstler eine besondere Rolle. Viele der meist nur als „Mitläufer“ aus den Spruchkammerverfahren Hervorgegangenen – Kaspar, die Bildhauer Josef Wackerle und Adolf Wamper oder Joseph Enseling an der Düsseldorfer Kunstakademie, der Joseph Beuys ausbildete – sahen sich bald wieder bestallt als Professoren.
Verbandelt waren sie nicht zuletzt mit der Industrie. Das Gespann Arno Breker und Willy Meller etwa konnte auf die Dienste von Friedrich Hetzelt, Mitarbeiter des NS-Star-Architekten Albert Speer, zurückgreifen, mit wohlwollender Unterstützung des Gerling-Konzerns. Josef Wackerle wurde vom Architekten Hans Hertlein beschäftigt, alimentiert von der Siemens AG Erlangen. Joseph Enseling führte Aufträge für die Ruhrkohle AG aus, unter anderem Bergarbeiterdenkmäler. Drei aufschlussreiche Karten liefern einen Überblick über die heutigen Standorte der vor und nach 1945 realisierten Kunstwerke.
Zwölf biografische Schlaglichter hat Kurator Brauneis für sein Projekt ausgewählt, um das Netzwerk zwischen Künstlern, Auftraggebern, Werk und Rezeption – aufbereitet mittels vieler Textdokumente und mit spannendem Filmmaterial – aufzuspannen. Sicher hätte man auch andere Namen wählen können, aber „die Bildhauer passten besonders in unser Beuteschema“, erklärt Brauneis. Eine bislang relativ unbekannte Figur ist Hans Breker, der jüngere Bruder Arnos, der nach Kriegsende an die Bauhaus-Hochschule in Weimar berufen wurde und dort, um seine Identität zu verschleiern, als Hans van Breek auftrat. Außer der Gestaltung von Büsten von Marx und Käthe Kollwitz bewarb er sich auch für das Denkmal des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald. Wie im Fall Richard Scheibe, der das 1953 eingeweihte „Ehrendenkmal der Opfer des 20. Juli“ im Berliner Bendlerblock entwarf, offenbar unbeleckt von jeglicher Schuld. 1954 kehrte er der DDR in Richtung Düsseldorf den Rücken, dort unter anderem ebenfalls mit einem Mahnmal für die Opfer des Zweiten Weltkriegs beschäftigt.
Stunde null? Gab es nicht
Eine „Stunde null“, wie es das kunstgeschichtliche Narrativ kolportiert, gab es also nicht, wovon übrigens auch die parallel gezeigte Schau des DHM zur Documenta zeugt. Ursprünglich war geplant, „zwei Pole des Kunstbetriebs“ auszustellen, erklärte Museumschef Gross zur Eröffnung, „doch wir haben im Verlauf der Recherche gelernt, dass es nicht nur bei den ‚Gottbegnadeten‘ Kontinuitäten vor und nach 1945 gab, sondern auch bei der Documenta.“
Es gebe gute Gründe, warum eine solche Ausstellung in einem historischen Museum gezeigt werde, so Gross, denn „es geht um uns selber“. Was macht es mit uns, wenn wir heute diese Kunstwerke sehen, was übernehmen wir davon? Das ist eine Frage, die den engen Kunstdiskurs sprengt.
„Die Liste der Gottbegnadeten“. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutsches Historisches Museum, Berlin, bis 5. Dezember 2021
Kommentare 4
Vielen Dank, Ulrike Baureithel, für die Beleuchtung dieses Themas.
In Singapur wird die Geschichte erzählt, dass die Stadt von dem ‚Merlion‘ Seelöwen gegründet wurde, einer mystischen Gestalt mit dem Kopf eines Löwen und dem Körper eines Fisches.
In Deutschland ist der Gründungsmythos der BRD gestützt auf die berühmt - berüchtigte ‚Stunde Null‘, die ‚Väter des Grundgesetzes‘ und die ‚FDGO‘.
Es schien, als ob damals Zauberhände wirkten. Gestern noch Faschisten, heute Musterdemokraten.
Die Nazis waren die Anderen.
In realitas was das natürlich weit weniger der Fall.
Durch viele Berufsgruppen lassen sich Traditionslinien aufzeigen, die viel, viel weiter zurückreichen als zur ‚Stunde Null‘.
Das kann auch niemanden überraschen, wie sollte das praktisch auch anders sein?
Das eigentliche Problem ist das mangelnde Bewusstsein über diese Geschichte, ihre Soziologie, ihre Psychologie, die daraus resultierende Selbstüberschätzung und damit vieler gesamtgesellschaftlichen Fehleinschätzungen.
In dieser Dynamik, besser Statik, dem Gleichgewicht des eigentlich ‚Haltlosen‘, liegt m.E. eine Grundursache für das uns bekannte „weiter so“.
‚Jetzt sind wir wieder Nummer Eins.‘
Denkste.
-
Solange die ‚Gottbegnadeten’ weiter in der Öffentlichkeit - einfach so - präsent sind, fehlt hier die notwendige kritische Reflexion. (Man mag in diesem Zusammenhang auch an die viel älteren steingewordenen Judenbeleidigungen an kirchlichen Gebäuden denken.)
@man.f.red
Zitat: "... Es schien, als ob damals Zauberhände wirkten. Gestern noch Faschisten, heute Musterdemokraten. Die Nazis waren die Anderen. ... Durch viele Berufsgruppen lassen sich Traditionslinien aufzeigen, die viel, viel weiter zurückreichen als zur ‚Stunde Null‘."
Nein, nein, das waren keine "Zauberhände". Das war ein ganz bestimmte Form von Alzheimer mit dem Namen "Morbus politicum Alzheimer". Diese spezielle Form von Alzheimer gab es auch schon früher und ist weit verbreiteter als man denkt, denn es trifft nicht nur "ältere" Menschen über 60 Jahre.
Viele "gebildete" Juristen, Ärzte, Lehrer, Journalisten, Ingenieure, Verwaltungsangestellte und konservative Bürgerinnen und Bürger sind damals in den 1930er Jahren nur in die Mittelschichtspartei NSDAP eingetreten, um dort Karriere zu machen.
Mit der Gleichschaltung der Gewerkschaften, der Aufrüstung von Armee/Wehrmacht, Zwangsarbeit, den sogenannten "Nürnberger Rassegesetzen", dem Hollocaust bzw. der Deportation und Ermordung von Juden, Sinti und Roma, der Euthanasie an Behinderten und Kranken, dem Überfall auf Polen, Frankreich und Russland usw. hatten diese anständigen, aufrechten, fleißigen und ordentlichen Bürger aus der Mitte der Gesellschaft überhaupt nichts zu tun. Das hat dieser kleine, aber hinterhältige in Osterlitsch geborene Nazi mit dem großen Schnauzbart aka Adolf Hitler alles ganz alleine gemacht.
Vielen deutschen Bürgerinnen und deutschen Bürgern ist nach der offiziellen Kapitulation am 8. Mai 1945 das NS-Parteibuch von Außerirdischen gestohlen worden oder kurz vor dem Kriegsende auf unerklärbare Weise abhanden gekommen. Wer unter "Morbus politicum Alzheimer" leidet, kann sich nicht mehr an seinen eigenen Parteieintritt erinnern und auch nicht daran, die Mittelschichtspartei NSDAP in der Weimarer Republik auch nur ein einziges Mal gewählt zu haben.
Dabei stellt sich immer die Frage, wer oder was schlimmer ist:
Die rückgratlosen Mitläufer, die zum Beispiel damals als Gerichtsvollzieher ein ausführliches Inventar des vorhandenen Hausrats aufstellen mussten, wenn die jüdischen Mitbürger "umgesiedelt" wurden. (Auf die simple Frage, warum die jüdischen Bürger nur einen einzigen Koffer mitnehmen durften, wenn sie "umgesiedelt" wurden, ist wahrscheinlich keiner dieser Gerichtsvollzieher gekommen. Wer umzieht, schmeißt sicherlich auch ein paar Sachen weg, aber er nimmt doch mehr mit als das, was in einen kleinen Koffer passt.)
Oder die bürgerlichen Täter, die am Schreibtisch mit dem niedlichen Hakenkreuz-Fähnchen mit ihrer Unterschrift die Entscheidungen getroffen haben, um zum Beispiel Behinderte und Schwerkranke aus Kostengründen umzubringen, damit es mit der Wirtschaft in Deutschland wieder aufwärts geht.
Danke, Christian Brecht, für diese klare Ausarbeitung.
Ich denke, dass weder der Geist des Mitläufers noch der des Schreibtischtäters tatsächlich verschwunden sind.
https://www.staatenlos.info/images/viertes_reich/02/Liste_politisch_aktiver_NSDAP_Mitglieder_in_der_BRD.pdf
Wir können dem 'Frieden' leider nicht recht trauen.
Es besteht auch die Gefahr, dass dieser Geist langsam die EU-Bürokratie penetriert.
Problematisch finde ich, dass Ulrike Baureithel die Nazikunst mit "konservativ-figürlicher Ästhetik" in einen Topf wirft und dem Abstraktheitsgebot der Documenta 1955 entgegenstellt. Bei figürlicher Ästhetik fallen mir zuerst die Werke von Käthe Kollwitz und Ernst Barlach ein, die ich bewundere. Die haben mit Nazikunst nichts zu tun. Nicht das Figürliche ist konservativ-faschistisch, sondern ein bestimmter emotionaler Blickwinkel auf die Figuren, ein bestimmter Ausdruck, z. B. das Heroische. Ich wünsche mir sehr, dass Kurt Eisner, Hugo Haase, Carl von Ossietzky, Libertas Schulze-Boysen und andere Kämpferinnen und Kämpfer gegen Krieg und Faschismus mit figürlichen Denkmälern geehrt werden, die es den Nachgeborenen ermöglichen, zwischenmenschlich mit diesen mutigen und lebensbejahenden Menschen zu kommunizieren. Und dass das 70 Jahre alte Figurenverbot endlich fällt. Es war wahrscheinlich ein schwerer Fehler, die figürliche Darstellung komplett den konservativen und faschistischen Künstlern zu überlassen.