Politischer Katechismus

Atomgeschäft Von guter Kernkraft, bösen Nuklearwaffen und vorbildlichem "chinesischen Weg"

Kürzlich war den vermischten Nachrichten zu entnehmen, dass ausrangierte niedersächsische Lottoterminals nach Nigeria geliefert werden sollen, um in dem afrikanischen Staat einen legalen Lottobetrieb aufzubauen. Auf eine Beteiligung an dortigen Gewinnen verzichtete die Gesellschaft, nachdem einige Abgeordnete das Geschäft für sittenwidrig erklärt hatten.

An deutschem Maschinenwesen also soll die Welt genesen: Warum sollte, was hier zu Lande verschrottet wird, anderswo nicht gewinnbringend eingesetzt werden? Dass nun allerdings ausgerechnet die Hanauer Nuklearfabrik, eines der umstrittensten Projekte der deutschen Kernenergieindustrie, nach China exportiert werden soll, verstößt nicht nur gegen "die guten Sitten", sondern in mehrfacher Hinsicht gegen den politischen Katechismus. Denn erstens, sagt der, sollst du kein Land unterstützen, das permanent gegen Menschenrechte verstößt, sondern es - notfalls durch ein Embargo - auf den richtigen Weg bringen.

Zum zweiten darf man Anderen nicht zufügen, was man selbst nicht haben will, und Konsens ist, dass Atomenergie, auch friedlich genutzt, ein Abweg war, der auf zugegeben langen und mühsamem Umwegen nun endlich verlassen worden zu sein scheint. Dass nämliche Kernkraftwerke in China weniger gefährlich betrieben, weil vom Volk kontrolliert würden, behaupteten nur ein paar schlichte Gemüter in den siebziger Jahren (sie gehörten übrigens zur militanten Avantgarde hiesiger Bauplatzbesetzungen).

Und drittens weiß man überhaupt nicht, was die Chinesen mit der Atomfabrik anstellen werden: Als Wiederaufbereitungsanlage, sagen Experten, sei sie vorerst nutzlos, weil die acht laufenden Kernkraftwerke derzeit gar nicht genügend Brennelemente zur Wiederaufbereitung lieferten. Also ist es wahrscheinlich, dass man die Hanau-Anlage nutzen möchte, um Plutonium für atomare Sprengköpfe herzustellen. Das allerdings verstieße eindeutig gegen das deutsche Außenwirtschaftsgesetz und zudem auch gegen das EU-Waffenembargo gegen China.

Seitdem der Kanzler aus der Ferne seine Bereitschaft bekundete, das umstrittene Geschäft abzusegnen, rotieren die betroffenen Ministerien: Die grünen Minister, denen die Siemens-Anfrage schon seit Februar bekannt ist, schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu, die Linken um Winfried Hermann wittern den Ausverkauf grüner Grundsätze, und auch an der sozialdemokratischen Abgeordnetenbasis rumort es vernehmlich. Doch müßig wäre es, sich von diesen vergleichsweise lächerlichen innenpolitischen Zerwürfnissen ablenken zu lassen. Wie die Genossen an die Kandare zu nehmen sind, hat der Kanzler sattsam vorgeführt, und die Grünen werden, das ist bereits jetzt absehbar, auch in diesem neuralgischen Punkt mit sich dealen lassen: Das China-Geschäft gegen die geplante Exportbürgschaft für das ebenfalls von Siemens verantwortete Atomkraftwerk in Finnland. Darüber will der Kanzler mit sich reden lassen.

Dem geht es nämlich um anderes als um den Verkauf einiger atomarer Schrottanlagen, der, so er je realisiert wird, noch nicht einmal Geld in die Bundeskasse spülen wird. Der Geschäftsreisende Schröder allerdings ist begeistert vom Reich der Mitte: Ein Boom ohnegleichen präsentierte sich dem Mehrfachbesucher auch dieses Mal. Die in Deutschland unter chronischer Wachstumsschwäche leidenden "blühenden Landschaften" - an der Ostküste Chinas sind sie zu besichtigen. Dazu ein ordnungspolitisches Regiment, das anlässlich des Baus eines gigantischen Stausees schnell einmal einige Millionen Menschen "umzusiedeln" vermag; das protestierende Studenten mundtot macht und streikende Arbeiter gar nicht kennt, auch keine bissige Opposition und keinen renitenten Koalitionspartner - kurz, das nicht durch die Mühsal demokratischer Verfahren gehemmt wird: Auch hierin liegt das Geheimnis des chinesischen Wirtschaftsbooms.

Nicht das Nebengeschäft für Siemens und nicht die elegante Entsorgung einer ausgemusterten Atomfabrik sind das Ziel des Kanzlers. Vielmehr die Aufhebung des EU-Embargos und die dadurch bedingten Handelshemmungen. Doch ob nun innenpolitisches Reinheitsgebot oder außenpolitisches Marketing den Streit provozierte, das "dual-use"-Problem", die Tatsache, dass Technik und Güter - von der Kernenergie bis hin zu tödlichen Viren - auch militärisch nutzbar sind, bleibt uns erhalten. Wobei für "gute" chinesische Kernkraft wie für "böse" Atomsprengköpfe gilt: Nein, danke!


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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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