Präventive Selbstkontrolle

Abtreibung Der Bundestag beschließt den strengeren Umgang mit Spätabtreibung, Renate Schmidt schlägt sich auf die Seite der Union, will aber alte Schlachten nicht wiederholen

Es war ihr letzter parlamentarischer Auftritt, und dass Renate Schmidt ihn einmal quasi auf der Seite der Union absolvieren würde, hätte sich die sympathischste Emanze der SPD wohl auch nicht träumen lassen. Hatte die ehemalige sozialdemokratische Familienministerin vor zehn Jahren noch den „bayrischen Irrweg“ in der Abtreibungspraxis gegeißelt, profilierte sie sich gestern in der Bundestagsdebatte als Unterstützerin eines strengeren Umgangs mit der Spätabtreibung und verhalf dem Unionsentwurf, zusammen mit einigen Fraktionskolleginnen und Stimmen der Grünen, zum Durchbruch.

Mit 326 gegen 234 Stimmen hat sich damit eine Initiative, die von CSU-Politiker Johannes Singhammer seit vier Jahren hartnäckig verfolgt wird, durchgesetzt. Das Gesetz sieht vor, dass Frauen, die nach der 12. Schwangerschaftswoche eine so genannte Spätabtreibung vornehmen wollen, sich nunmehr beraten und zwischen Beratung und Eingriff mindestens drei Tage Bedenkzeit verstreichen lassen müssen. Der Diagnose stellende Arzt ist zur Beratung verpflichtet, kommt er ihr nicht nach, muss er mit einem Bußgeld von bis zu 5.000 Euro rechnen.

Diskriminierende Praxis

In der Sache waren die konkurrierenden Anträge nicht so weit voneinander entfernt, denn Spätabtreibungen, die meist nach der 22. Schwangerschaftswoche nach einem auffälligen Befund in der Pränataldiagnostik erfolgen – also zu einem Zeitpunkt, wo der Fötus schon außerhalb des Mutterleibs lebensfähig ist –, sind in der ethischen Debatte schon lange ein heißes Eisen. Bestimmte Diagnosen – etwa ein Down Syndrom – führen mittlerweile fast automatisch zu einem Schwangerschaftsabbruch. Die Praxis wirkt diskriminierend, weil sie ein auf Vollkommenheit orientiertes Menschenbild kultiviert.

Doch statt das vorgelagerte Problem – nämlich den Sinn von pränatalen Untersuchungen – in den Mittelpunkt zu rücken, arbeiteten sich die Abgeordneten nur am ordnungspolitischen Regelwerk, etwa der obligatorischen dreitägigen Bedenkzeit und am Bußgeld für Ärzte, ab. Am Beratungskonzept, das auch den Kern des gerade verabschiedeten Gendiagnostikgesetzes bildet, nahm keine Fraktion ernsthaft Anstoß, im Gegenteil fordern sowohl die Linkspartei, die mehrheitlich beide Entwürfe ablehnte, als auch Verbände wie Pro Familia, den Ausbau der Beratungseinrichtungen.

Ein beratend flankierter Schwangerschaftsabbruch – und das Recht der Frau, diesen Weg zu gehen, ist nicht zu bestreiten – ändert aber nichts an den Unwägbarkeiten der pränatalen Diagnosen und mindert nicht den Konflikt, wie mit Krankheitsbildern bei Föten umzugehen ist, für die keine Therapie zur Verfügung steht; das gilt übrigens auch für das Gendiagnostikgesetz. Das Beratungsgeschäft erledigt also keinesfalls die Probleme, die die pränatale Diagnostik, die ursprünglich einmal nur als Ausnahme gedacht war, aufwirft, sondern federt sie höchstens ab. Gegen eine Pflichtberatung im Rahmen des §218 hatte sich einmal eine ganze Frauengeneration vehement gewehrt, weil sie die normierende Bevormundung fürchtete. Diese hat sich mittlerweile aber längst in die „objektive“ Sphäre des Technischen verlagert, und die Beratungsinstanzen legitimieren nur die Folgen.

Beraterisch abgesicherte Selbstnormierung

Dass Entscheidungen wie die über Spätabtreibung (und die demnächst anstehende zu Patientenverfügungen und Sterbehilfe) in aller Regel ohne Fraktionszwang gefällt werden, ist nicht in erster Linie Folge von ethisch disparaten Haltungen der Abgeordneten, sondern Ausdruck eines kollektiven Selbstkonzepts, das heißt, wie viel präventive Selbstkontrolle die Volksvertreter den Bürgern zutrauen. Dass nicht „Verbot“, sondern „Beratung“ bei all diesen gesellschaftlich kontroversen Knotenpunkten zu einem Schlüsselbegriff geworden ist, verweist auf den Grad dieser technisch gesteuerten, beraterisch abgesicherten Selbstnormierung.

Insofern muss man Renate Schmidt zustimmen, wenn sie vor versammeltem Haus gestern erklärte, dass die „Schlachten der achtziger Jahre Gott sei Dank nicht noch einmal geführt werden“ müssten. Ob Gott oder Gott Technik dafür Dank zu zollen ist, ist eine ganz andere Frage.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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