Nicht nur Griechenland wird diese Woche die Rechnung für jahrelanges politisches Missmanagement aufgemacht. Auch Patienten und Krankenkassen haben eine Bilanzwahrheit aufgetischt bekommen: Der Gesetzlichen Krankenversicherung werden 2010 voraussichtlich 3,1 Milliarden Euro fehlen. Den erwarteten Ausgaben von 173,4 Milliarden Euro stünden Einnahmen des Gesundheitsfonds von 172,3 Milliarden Euro gegenüber – so die Prognose des Schätzerkreises. Doch im Unterschied zu früheren Zeiten, als die Kassen wie aus einem Munde entweder Beitragserhöhungen oder Zuschüsse forderten, reagieren die Vorstände sehr unterschiedlich. Ein Indiz dafür, dass der Wettbewerb bei den Kassen angekommen ist und die harten Ausscheidungskämpfe beginnen.
Während die Kassen, die Anfang des Jahres mit dem unpopulären Zusatzbeitrag rund eine halbe Million ihrer Versicherten ins Lager der Konkurrenz getrieben haben, fein stillschweigen, haben die Barmer Ersatzkasse und auch erste Ortskrankenkassen gerade angekündigt, im Laufe des Jahres ebenfalls über den Zusatzbeitrag entscheiden zu müssen, manche AOKen stehen kurz davor. Weil aber gerade die Barmer, neben der Technikerkrankenkasse, Hauptprofiteur der Wanderung ist, scheut sie diese Maßnahme besonders: Die vollmundigen Versprechungen könnten ihr nun als Kundenbetrug ausgelegt werden. Deshalb fordert sie zusammen mit der AOK Bayern die baldige Erhöhung des Beitragssatzes von derzeit 14,9 Prozent. Seit Einführung des Gesundheitsfonds wird der Beitrag einheitlich festgesetzt.
Es ist, trotz der Unkenrufe der SPD, jedoch nicht zu erwarten, dass Gesundheitsminister Phillipp Rösler die Beiträge kurzfristig erhöht. Nichts spült so viel Wasser auf seine politischen Mühlen wie Kassendefizite und drohende Leistungseinschränkungen, ganz zu schweigen von Zusatzbeiträgen, die immer noch auf das Konto seiner Vorgängerin Ulla Schmidt verbucht werden. Auch wird er die gerade gewonnene Aura nicht verspielen wollen, als er öffentlichkeitswirksam den gordischen Knoten bei der Pharmaindustrie zumindest etwas angeritzt hat. Und selbst wenn er Beitragserhöhungen erwägen sollte, werden ihn seine liberalen Kollegen zurückpfeifen, die mit dem Versprechen, die Lohnnebenkosten zu senken, bei ihrer Arbeitgeberklientel in der Schuld stehen. Je unpopulärer die Maßnahmen der Kassen, desto reifer für den Abschuss ist das ganze System, und der Weg wird frei für die Kopfpauschale.
Kalkulation mit Risiken
Diese Kalkulation birgt jedoch auch Risiken: Zum einen könnte nach den NRW-Wahlen die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat verloren sein und den Systemwechsel verhindern. Unwägbar sind auch die starken Wanderungen der Versicherten, die einige Kassen ins Desaster treiben könnten. Wenn diese nicht wie bislang durch Fusion am Bankrott vorbeischrammen, müssten sie in Insolvenz gehen, und dann sind die übrigen Kassen gesetzlich verpflichtet einzuspringen, mit nicht absehbaren Dominoeffekten. Was als reine Marktbereinigung gedacht war, könnte ganz schnell auch politisch brisant werden.
Dass die Kopfpauschale, auch wenn sie von manchen Medien mittlerweile zu einer Form der „Bürgerversicherung“ kostümiert wird, inmitten eines Kassenfloatings gut vom Start kommt, ist kaum zu erwarten. Insofern ist der Gesundheitsminister in der Bredouille. So sehr instabile Verhältnisse seinen Plänen nützen, muss er sie doch gleichzeitig verhindern. Eine paradoxe Situation.
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