Für lumpige 1.500 Dollar kann man in Kanada künftig erfahren, ob man irgendwann in seinem Leben an Brustkrebs, Alzheimer oder Corea Huntington erkranken wird. Dies jedenfalls verspricht die Firma Genometrics, die in Kanada das erste kommerzielle Gen-Test-Zentrum eröffnet hat. An die 1.700 Krankheiten oder entsprechende Dispositionen soll der genetische Wundermarker aufspüren. Während Patienten auf Tests, die unter bestimmten Umständen im Rahmen des Staatlichen Gesundheitsprogramms durchgeführt werden, bis zu einem Jahr warten müssen, bietet Genometrics den "genetischen Pass" schon nach vier bis acht Wochen an. "Genprofile", prophezeit Genometric-Präsident Nicolas Grimaldi, "werden im nächsten Jahrzehnt allgemein werden". Die an Blutproben vorgenommenen Tests seien "absolut sicher".
Doch eben dies bezweifeln, so berichtete jedenfalls die National Post im Oktober, kanadische Spezialisten, die Genometrics vor allem Profitinteressen unterstellen. Mit dem Motto, die Gesundheit zu schützen, indem man über die eigenen Risiken Bescheid wisse, streue das Unternehmen den Patienten Sand in die Augen. Denn erstens seien die Tests nicht so sicher, wie Grimaldi behaupt; darüber hinaus sind die meisten von ihnen überflüssig beziehungsweise von nur sehr begrenzter Aussagekraft. Und selbst wenn eine sogenannte Disposition für eine Krankheit erkannt wird, heißt dies noch lange nicht, dass die Krankheit irgendwann auch ausbricht. Die Patienten hingegen, so die Kritiker, müssen sich ein Leben lang mit der Angst davor auseinandersetzen und bekommen unter Umständen auch noch Probleme mit ihrer Versicherung oder ihrem Arbeitgeber.
Ökonomische Interessen mögen auch jene neun amerikanischen Reproduktionszentren bewogen haben, Paaren, die Präimplantationsdiagnostik (PID) in Anspruch nehmen, künftig auch die Geschlechtswahl ihres zukünftigen Kindes anzubieten. Es gebe, so Dr. Gleicher, Vorsitzender der amerikanischen Vereinigung für Reproduktionsmedizin, immer mehr Paare, die dies nachfragten. Er befürwortet deshalb nachdrücklich die Möglichkeit der vorgeburtlichen Geschlechtswahl und hat dies zusammen mit anderen Kollegen auch gegenüber der zuständigen Ethikkommission kundgetan. Während sich die Vereinigung 1999 in einer vorläufigen Stellungnahme noch gegen die Geschlechtswahl aussprach, erklärte der Vorsitzende der Kommission, John Robertson, gegenüber der New York Times nun, dass er sich dies mittlerweile vorstellen kann, wenn die betroffenen Paare umfassend über die Risiken informiert sind und wissen, dass sich aus der Geschlechtswahl keine Verhaltensvoraussagen ableiten lassen.
"Unethisch", erklärt dagegen James Grifo, Reproduktionsmediziner am New Yorker University Medical Center, dieses Angebot. Wenn auf der Straße ein Kind Hilfe benötige, so sein Vergleich, frage man vorher auch nicht, ob es sich um ein Mädchen oder um einen Jungen handele. Bislang ist die Geschlechtswahl nur Paaren vorbehalten, wenn eine genetische Krankheit, die sich entweder nur auf ein männliches oder ein weibliches Kind weiter vererbt, vermutet wird.
In der Freigabe der Geschlechtswahl sehen selbst viele Repro-Mediziner ein Einfallstor für weitere pränatale Selektionsmaßnahmen. Demnächst werden Eltern die Farbe der Augen oder den Intelligenzquotienten ihres künftigen Nachwuchses bestimmen wollen. Bislang verhinderte das "harte" ethische Argument, dass nämlich durch PID gezielt Embryonen ausgewählt oder vernichtet werden müssen, die vorgeburtliche Wahl des Geschlechts. Doch wie steht es damit, wenn bereits der Samen nach Geschlecht sortiert und im Rahmen der IVF gezielt mit dem Ei verschmolzen werden kann, wie es eine Reproduktionsklinik in Fairfax (Virginia) bereits anbietet?
Das Beispiel zeigt nicht nur, dass sich der Geltungsbereich der PID, wie begrenzt die Indikationen ursprünglich auch sein mögen, ganz rasch ausweiten kann; deutlich wird auch, dass die ethische, auf die Rechte der Embryonen bezogene Argumentation in einer Sackgasse enden kann. Auch wenn "nur" Samen ausgewählt wird, um das künftige Geschlecht des Nachwuchses zu bestimmen, ist die Praxis in ihrem Effekt nicht weniger diskriminierend. Da dabei wahrscheinlich eher Mädchen auf der Strecke bleiben, sollte wieder einmal mehr über den frauenpolitischen Aspekt der Repro-Medizin nachgedacht werden.
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