Spreu und Weizen

Krebstherapien Sozial Schwache künftig ausgeschlossen?

Aufgescheucht reagierte die Öffentlichkeit vergangene Woche auf eine Meldung der Deutschen Krankenhausgesellschaft: Wegweisende Krebstherapien, so warnte sie, könnten künftig nicht mehr von der Krankenkasse übernommen werden, wenn ihr Nutzen in einem ungünstigen Verhältnis zum Preis stehe. Bislang entschied der Gemeinsame Bundesausschuss, der verantwortlich dafür ist, was die gesetzlichen Kassen übernehmen und was nicht, ausschließlich danach, was Patienten nützt. Ein Krebsmedikament zum Beispiel, das zwar ähnliche Wirkungen hat wie eine Alternativtherapie, von manchen Patienten aber besser vertragen wird, wurde in der Regel erstattet. Bei der ab 2009 anstehenden Kosten-Nutzen-Analyse geht es aber in erster Linie um den objektiven Nutzen von Wirkstoffen. Steht also ein Krebsmedikament zur Verfügung, das eine ähnliche Wirkung hat wie ein anderes, aber teureres, das keinen signifikant höheren Nutzen bringt, wird die Kasse künftig nur noch einen Höchstbetrag erstatten. Alles, was darüber liegt, muss von den Patienten selbst übernommen werden.

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), dem die undankbare Aufgabe obliegt, medizinische Spreu vom Weizen zu trennen und die Effizienz von Arzneimitteln zu bewerten, ist zur Zeit damit befasst, transparente Verfahren zu entwickeln, nach dem Kosten und Nutzen verglichen werden (Effizienzgrenznutzen). Daraus soll sich der erstattungsfähige Höchstbetrag ableiten. Das ist sehr kompliziert und wird - das ist abzusehen - der breiten Öffentlichkeit kaum zu vermitteln sein. Da bislang jedoch ein Arzneimittel sofort nach seiner Zulassung von den Kassen in voller Höhe erstattet wird, Patienten also in seinen Genuss kommen, obwohl es möglicherweise gar nicht wirksamer ist als das eventuell billigere Alternativpräparat, haben diese nicht zu Unrecht das Gefühl, es würde ihnen etwas weggenommen.

Das wirkt besonderes bei lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Krebs alarmierend, weshalb sich Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sofort zu einen Dementi entschloss: Die Patienten würden auch weiterhin nach den neuesten Erkenntnissen der Forschung versorgt werden, und die Kassenversicherten hätten weiterhin Zugang zu innovativen Arzneimitteln. Die Pharmaindustrie solle durch die Festsetzung von Höchstpreisen aber dazu gebracht werden, dass Therapien "zu fairen Preisen" zugänglich blieben. Und auf der Homepage des Ministeriums ist zu lesen, dass nicht erst die Kosten-Nutzen-Analyse abgewartet werden müsse. Nach gegenwärtiger Rechtslage sei ein Arzneimittel sofort zu erstatten, zumindest so lange keine Alternativtherapie verfügbar ist. Der Zusatz, dass "dies in Europa übrigens ausschließlich in Deutschland" so gehandhabt würde, lässt allerdings aufhorchen: Was, wenn die europäische Praxis demnächst auch auf Deutschland durchschlägt und Medikamente erst bezahlt werden, wenn das IQWiG grünes Licht gibt?

Streit um Nutzenbewertung dessen hatte es schon in der Vergangenheit gegeben, etwa als es um die Insulinanaloga Glargin und Detemir oder um die Transplantation von Blutstammzellen ging. Bislang war dem Kölner Institut aber nur aufgegeben, den Nutzen von Therapien zu bewerten - unabhängig von den Kosten. Umstritten ist, wie letztere in ein vernünftiges Verhältnis zu Gesundheit und möglicherweise Lebensverlängerung zu stellen sind.

Dass künftig trotz aller Beruhigungspillen dennoch Patientengruppen von bestimmen Therapien ausgeschlossen werden könnten, ist einer Äußerung von IQWiG-Chef Peter Sawicki zu entnehmen: Es sei schon möglich, sagte er in einem Interview, dass einkommensschwachen Patienten ein bestimmtes Medikament nicht mehr verordnet wird, soweit es Alternativen gibt - schlicht deshalb, weil sozial Schwache die Zuzahlung nicht werden leisten können.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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