Vertrauenskrebs

Skandal im Bio-Landbau Wenn Ökologie zum Business wird

Wem der Appetit nicht schon durch BSE, Fischmehl oder chinesische Giftkrabben vergangen war, und wer sich ohne Rücksicht auf seinen Geldbeutel in den Ökoladen nebenan flüchtete oder gar den gefeierten Biosiegeln der Verbraucherministerin vertraute, dürfte vergangene Woche unsanft aus grünen Schlemmerträumen erwacht sein. Mit Gift versetzte "Bio"-Eier von Hühnern, die dem baldigen Krebstod entgegen picken und dabei, nebenbei, noch den Konsumenten gefährden, sind kaum das, was Öko-Freunde unter artgerecht und gesundheitsfördernd betrachten würden.
Genau genommen sind es zwei verschiedene Skandale, die sich derzeit um die Öko-Landwirtschaft ranken. Das eine ist die Tatsache an sich: Rund 120 Biolandwirte in mehreren Bundesländern haben offenbar Futtermittel benutzt, das mit dem Krebs erregenden, Europa weit verbotenen Unkrautvernichtungsmittel Nitrofen verseucht war. Das andere ist der Umstand, dass die 100 Tonnen angeblich aus Brandenburg stammenden Öko-Weizen - obwohl Verunreinigungen aufgrund von Proben in Kindernahrung und durch Selbstanzeigen schon seit Januar bekannt waren - weiter verarbeitet wurden, und weder die privaten noch die staatlichen Kontrollbehörden Maßnahmen einleiteten.
Wie das Gift an die Hühner kam, ist derzeit noch ungewiss und vielleicht auch nicht mehr rekonstruierbar. Von Boden-Altlasten aus DDR-Zeiten, als Nitrofen noch unbedenklich benutzt wurde, bis hin zu gezielter Sabotage reichen die Theorien der Agrar-Fahnder. Ebenso wenig bekannt ist, ob und wie viele der vergifteten Lebensmittel bereits den Weg über die Nahrungskette zum Verbraucher genommen haben; die verzögerte Reaktion allerdings macht dies wahrscheinlich. Völlig im Dunkeln tappt Verbraucherministerin Renate Künast, an welcher Stelle die Melde-Pannen passiert sind; so denn von "Pannen" zu reden wäre, und nicht, wie sich allmählich verdichtet, gezielte Vertuschungsabsichten am Werk waren. Denn Grund für Vertuschung gibt es genug, nicht nur politischen. Seitdem mit ökologischer Landwirtschaft nicht nur Ansehen in der angeschlossenen Food-Coop zu gewinnen, sondern auch reichlich Geld zu verdienen ist - wodurch sie sich als ganz normaler Zweig der Agrarindustrie etablierte - steigt der Anreiz zur effizienten, sprich: gewinnmaximierenden Produktion. Es müssen nicht die Bio-Landwirte selbst sein, die bewusst Gift auf dem Acker verteilen oder verseuchtes Futter benutzen; es müssen auch keine Anti-Bio-Piraten aus der konventionellen Landwirtschaft sein, die dem Öko-Nachbarn eins auswischen wollen. Es reicht schon ein wenig Unaufmerksamkeit oder Gleichgültigkeit seitens der Produzenten und Nachlässigkeit seitens derer, die mit der Kontrolle der Öko-Betriebe beauftragt sind, um den Öko-Landbau in Verruf zu bringen.
Von der ökologischen Weltanschauung zum ökologischen Business war es ein weiter Weg, auf dem manche Produzententugend auf der Strecke geblieben ist. Dass der Giftweizen ausgerechnet aus einem ostdeutschen Bundesland kommen soll, ist bitter, insofern sich viele der wende-gebeutelten LPGs auf Biowirtschaft umzustellen bemühten und damit erfolgreich waren; vielleicht ist es aber auch kein völliger Zufall, wenn man bedenkt, dass viele Bauern, wie es der Geschäftsführer des in Verdacht stehenden Stegelitzer Betriebs erklärt, "nicht freiwillig", sondern unter Druck und weil das Geld für Düngemittel fehlte, auf Biolandbau umstellten. Beweise für ein Verschulden des LPG-Nachfolgebetriebes gibt es derzeit ohnehin nicht.
Doch auch seitens der Verbraucher wird es immer schwieriger, auf einem völlig unübersichtlich gewordenen Markt über die Qualität von Lebensmitteln zu urteilen. Die Food-Coop der siebziger und frühen achtziger Jahre, in der ProduzentInnen und VerbraucherInnen noch exklusiv und gemeinschaftlich operierten und das ökologische Wirtschaften auf persönlichen Vertrauensverhältnissen basierte, ist - zumindest hierzulande - kaum flächendeckend möglich. Wo Öko-Produkte massenweise und anonym in Supermärkten vertrieben werden, gibt es keine Messlatte persönlicher Verantwortung.
Die Verbraucherministerin versucht, mit Gütesiegeln solches Vertrauen staatlich zu stiften und durch ein sogenanntes Verbraucherinformationsgesetz, das frühzeitige Warnsysteme beinhaltet, abzusichern. Doch ob sich dadurch ökologisch nachhaltiges und kapitalistisches Wirtschaften versöhnen lassen, ist derzeit nicht abzusehen.

Vgl. auch Thomas A. Lyson: Gewinn- oder lösungsorientiert?

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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