Vorsicht, Seuchengefahr!

Armut und Viren Infektion als Meistermetapher der Globalisierung

Mit der Geflügelpest (verharmlosend auch Vogelgrippe genannt) ist es ein bisschen wie mit den Armen der Welt: Beides rückt uns bedrohlich auf den Pelz. Was vor zwei Jahren in Südostasien seinen Ausgang nahm und neben 65 Menschen viele Millionen Tiere durch vorsorgliches Keulen das Leben kostete, wird nun über die Route der Zugvögel nach Europa eingeschleppt, jeden Tag ein Stückchen näher, von Asien über den Ural nach Kalmückien, vergangene Woche dann in die Türkei und nach Rumänien. Mittlerweile hat das Virus mit dem klassifikatorischen Namen H5N1 auch die EU erreicht, auf der griechischen Ägäis-Insel Oinusses ist ein Erreger vom Stamm H5 aufgetreten.

Während jedoch die afrikanischen Migranten - um nur ein aktuelles Beispiel zu nennen - vor den spanischen Enklaven Ceutá und Melilla im NATO-Draht hängen bleiben, von Grenzsoldaten bedroht und in ihre armen Herkunftsländer zurückgeschickt werden, kümmern sich die Vögel um keine Grenzen, überwinden schwerelos die Festung Europa und bedrohen die hiesigen Massentierbestände, von denen wiederum unsere Ernährung abhängt. Möglich, dass das Virus auch hierzulande die Artengrenze überspringt und Menschen, die mit dem kranken Geflügel in Kontakt kommen, infiziert. Schlimmer noch wäre, wenn sich H5N1 mit menschlichen Grippeviren vermischt und eine neue Art ausbildet, die von Mensch zu Mensch übertragen wird.

Ob dieses Szenario, das bereits 2003 beschrieben und schon beim Ausbruch der Lungenseuche SARS beschworen wurde, jemals eintritt, kann niemand sagen. Die EU-Behörden und die Länder reagieren - derzeit noch wenig abgestimmt - mit schärferen Kontrollen an den Grenzen, teilweise Stallpflicht für Federvieh und Importbeschränkungen. Nicht von ungefähr erinnern diese Sicherheitsmaßnahmen an Einwanderungskontrollen, die darauf abzielen, Armut und Seuchen als von außen drohende "Infektionen" auszusperren.

Die Bevölkerung ihrerseits reagiert auf die Bedrohung mit Angstkäufen, obwohl alle derzeit verfügbaren Medikamente den Ausbruch der Seuche nicht verhindern, sondern den individuellen Krankheitsverlauf - wenn überhaupt - höchstens lindern könnten. Doch die Pille im Apothekerschränkchen scheint die Ansteckungsangst ebenso zu beruhigen wie die umfassende Versicherungspolice die Furcht vor sozialem Absturz mildert. Dass das Risiko, an Vogelgrippe zu erkranken, um ein Vielfaches geringer ist, als demnächst den Arbeitsplatz zu verlieren oder beim Gang über die Straße überfahren zu werden, blendet das aufgeklärte Bewusstsein dabei aus. Das Virus - unsichtbar, unkontrolliert, infektiös - steht vielmehr für das, was den Menschen in der globalisierten Welt Angst macht: Migrationsbewegungen, Austauschprozesse und Unordnung, die nur noch seuchenpolitisch zu kontrollieren sind.

Zwischen sozialen und medizinischen "Infektionen" gibt es allerdings auch entscheidende Unterschiede, und zumindest die Vogelgrippe ist leichter zu beherrschen als die globale Armut, wie der Welthungerbericht gerade wieder dokumentiert. Es bedürfte zunächst nur eines - bezahlbaren - Impfstoffs, der geeignet ist, kranke und geimpfte Tiere zu unterscheiden. Dann könnte die EU das Impfverbot aufheben, das hiesige Federvieh wäre gerettet (s. auch Freitag36). Damit verringerte sich aber auch das Risiko, dass das Virus vom Tier auf den Menschen überspringt und einen noch aggressiveren Mutanten kreiert. Dass ein solcher Impfstoff bis heute, zwei Jahre nach den ersten Krankheitsfällen, noch nicht zur Verfügung steht, ist nicht nachvollziehbar.

Unkalkulierbar dagegen bleibt das Szenario in den asiatischen Staaten, wo die Krankheit entstanden ist. Die eng mit dem Vieh zusammen lebenden Menschen, die hygienischen Bedingungen, die katastrophale Wasserversorgung und nicht zuletzt auch die chinesische Informationspolitik, die versucht, die Seuche zu ignorieren oder herunterzuspielen, werden das Thema Geflügelpest ganz oben auf der Agenda der WHO halten. Was andererseits darauf hindeutet, dass die Wiederkehr der Seuchen - und neben SARS oder Vogelgrippe müssen wir uns auch wieder auf alte, überwunden geglaubte Krankheiten wie Tuberkulose oder Syphilis einstellen - ein vordringlich soziales Problem ist, das medizinisch zwar flankiert und kontrolliert, aber nicht gelöst werden kann.


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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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