Wa(h)re Liebe

Prostitution Der Bundestag operiert an einer offenen Wunde der bürgerlichen Gesellschaft

Wer sich als Nana verkauft und dennoch als Florence Nightingale gelten möchte, trifft auch heutzutage auf Abwehr-Allianzen, die ob ihrer politischen Elastik verwundern: Das musste die Berliner Bordellwirtin Weigand am Sonntagabend beim Christiansen-Talk erleben, als die ehemalige Krankenschwester behauptete, in ihrem Beruf als Prostituierte ähnliche Dienstleistungen zu erbringen wie früher im Krankenzimmer, als sie ihren Patienten "die Kacke abputzte". Da wackelte nicht nur der Pöltener Bischof bedenklich mit dem Kopf, sondern auch die aus Köln angereiste Berufsfeministin fand das degoutant, obgleich die doch in den siebziger Jahren noch erklärt hatte, Ehe sei nur eine andere Form der Prostitution. Dass der Dienstvertrag zwischen Hure und Freier nicht nur "fairer" sein könnte als so manches "Normalarbeitsverhältnis", wo frau sich sexuell belästigen und mobben lassen muss, sondern dass Frauen aus freien Stücken zu diesem Job greifen und ihn auch noch ambitioniert ausüben, zur "Berufung" machen, mochten schon Schwarzers Vorgängerinnen aus der Abolitionsbewegung nicht wahr haben.

Ein Problem war die Prostitution für die bürgerliche Gesellschaft geworden, als sie sich massenhaft und unkontrolliert in die Stadt verbreitete und die auch für dieses Gewerbe geltenden "zünftigen" Verhältnisse untergrub: Auf den Straßen, in den Cafés, auf den Rennplätzen und Märkten, überall tauchten die Dirnen auf und mischten sich unter das "ordentliche" Publikum. Je stärker der "öffentliche Sex" die bürgerlichen Sittlichkeitsnormen zu bedrohen schien, desto massiver reagierte der Staat mit Sperrbezirken und ordnungspolitischen Maßnahmen, insbesondere mit polizeilich überwachten Gesundheitskontrollen, als sei der "Schmutz" auf diese Weise aus der bürgerlichen Welt zu bannen.

Viel scheint sich - trotz sexueller Revolution und radikaler Frauen- und Hurenbewegung - an der Einstellung zur Prostitution nicht geändert zu haben: Die Ware Liebe hat in der öffentlichen Debatte mit der wahren Liebe so wenig zu tun wie eben Nana mit Florence Nightingale. Nach wie vor wirken Frauen, die vorgeben, an "reinem" Sex Spaß zu haben und dafür auch noch Geld nehmen, bedrohlich: Unheimlich sind sie den Männern (auch den "Kunden"), weil die Huren auf den Liebeskitt verzichten, der die intime Beziehung zusammenzuhalten scheint; die Frauen begegnen den "halbseidenen Damen" schon deshalb mit Reserve, weil unter den 1,2 Millionen Freiern, von denen sie täglich besucht werden, - statistisch gesehen - auch der eigene Liebste sein könnte.

Sexuelle Freizügigkeit, Kampf der Doppelmoral, unternehmerische Gleichbehandlung: Unter welcher berechtigten Parole auch immer der Kampf der Huren seine Schleifen ziehen mag, die bürgerliche Gesellschaft zeigt sich weiterhin wehrhaft: Als Gewerbe anerkannt und damit deklariert zu einem ordinären Tauschgeschäft, bei dem der Liebeslohn einzuklagen und die Leistung sozialversicherbar ist, weiß die "gute" Gesellschaft den erotischen Glamour der Luden zu entzaubern, dem "Milieu" seinen verkommenen Reiz zu nehmen. Nichts erinnert mehr an die Orsini oder an Zola, sondern nur noch an das krämerselige Soll und Haben: Liebesdienste ohne Surplus.

Auf diese Weise wird die gebeutelte Sexualmoral der bürgerlichen Welt wieder zurecht gerüttelt, zumal, wo es heute verstärkt um Familie und Werte geht und, wie man dieser Tage lesen konnte, um "mangelnde Grenzerfahrung" der Kids, die vom Bumsfernsehen nach Mitternacht in die herrschende Sexualmoral eingeführt werden und dabei lernen, dass die Allpräsenz des Sex das Schweigen nährt, aus dem das Tabu treibt.

Der städtische Sperrbezirk bleibt die offene Wunde in der Moral der bürgerlichen Gesellschaft, der in der Prostitution, wie die Historikerin Regina Schulte einmal schrieb, nur ihr eigener entstellter Sexus entgegentritt. An dieser Wunde operieren Gesundheitspolizisten und Feministinnen, Bischöfe und Bundestagsabgeordnete. Doch alle bescheinigte Versicherungstauglichkeit bricht nicht das Tabu: Die die bürgerliche Gesellschaft fundierende "Arbeit aus Liebe" in eine entlohnbare Liebesarbeit überführt zu haben.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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