Vergangene Woche hat die Firma Biontech gemeldet, ihr sei bei der Entwicklung eines Covid-19-Impfstoffs ein Durchbruch gelungen. Viele nahmen die Nachricht euphorisch auf – auch der unabhängige Impfstoffforscher Carlos A. Guzmán?
der Freitag: Herr Guzmán, wie haben Sie spontan auf die Biontech-Mitteilung reagiert?
Carlos A. Guzmán: Ich fand, dass das ermutigende Neuigkeiten sind, nicht nur in Bezug auf das Produkt von Biontech und Pfizer, sondern auch für die Zukunft der Impfstoff-Entwicklung. Hier wird dieser RNA-Impfstoff für die Entwicklung anderer Stoffe wegweisend sein. Bei jedem geht es ja darum, ein Antigen zu finden, das das Immunsystem zu einer Immunantwort stimuliert. Das von Biontech genutzte prästabilisierte Spike-Protein ist ein Antigen, das für viele andere Covid-19-Impfstoffe genutzt wird. Außerdem bedeutet dieser mRNA-Impfstoff gute Neuigkeiten für andere Impfstoff-Kandidaten gegen Covid-19, die auch auf dieser Technologie basieren. Die beeindruckenden vorläufigen Ergebnisse, die Moderna zuletzt gemeldet hat und die auf einen noch besseren Schutz, sogar in Individuen aus Risikogruppen, schließen lassen, sind sehr hoffnungerweckend. Dies ist gerade im Hinblick darauf interessant, dass der Impfstoff von Moderna, im Gegensatz zu dem von Biontech/Pfizer, für circa 30 Tage bei zwei bis acht Grad gelagert werden kann, sodass schon etablierte Kühlketten-Infrastrukturen genutzt werden können. Aber klar, es handelt sich nur um vorläufige Ergebnisse. Die Studiendaten konnten bislang nicht eingesehen werden. Die klinische Prüfung, an die die Zulassung normalerweise geknüpft ist, ist noch nicht abgeschlossen. Und Biontech/Pfizer wie Moderna streben eine vorläufige Zulassung an, für die in verschiedenen Ländern unterschiedliche Voraussetzungen gelten.
Das im russischen Gamaleja-Institut entwickelte Vakzin ist kritischer aufgenommen worden ...
Die Daten, die wir vom Gamaleja-Institut bekommen haben, waren relativ dünn und umfassten nur die Phase-I- und Phase-II-Studien mit sehr begrenzter Probandenzahl. Bei AstraZeneca oder Biontech/Pfizer, die mit viel mehr Probanden testen und den Zulassungsprozess nicht ohne Daten aus der Phase-III-Studie beginnen können, ist das völlig anders. Aber auch bei Biontech/Pfizer handelt es sich um Zwischenergebnisse, die keine abschließenden Auskünfte über die Wirksamkeit und die Sicherheit des Impfstoffs geben. Es wird bei allen Studien interessant sein, zu sehen, wie sich die Effizienz der Impfstoffkandidaten verändert, wenn in der untersuchten Kohorte mehr Covid-19-Fälle registriert wurden, besonders zu einem späteren Zeitpunkt nach der Impfung. Die endgültige Bewertung der Sicherheit und Wirksamkeit der Kandidaten wird erst nach endgültiger Beendigung der klinischen Studien möglich sein.
Bei Biontech geht es um einen genbasierten Impfstoff. Was unterscheidet ihn von einem konventionellen?
Bei konventionellen nutzt man inaktivierte Erreger, wie bei der Grippe, oder abgeschwächte Erreger, wie bei Masern, um eine Immunantwort zu provozieren. Bei einem mRNA-Impfstoff wird ein Teil der Erbsubstanz des Virus injiziert, der ein virales Protein codiert. Dieses wird dann vom Körper produziert und stimuliert anschließend eine entsprechende Immunantwort, die dann gegen eine Infektion mit SARS-CoV-2 schützen soll. Im Unterschied zu DNA-Impfstoffen wird die RNA aber nur in das Zytoplasma und nicht in den Zellkern eingeschleust, sodass die Gefahr, die Erbsubstanz zu verändern, nicht besteht.
Mit genbasierten Impfstoffen gibt es bisher keine Erfahrungen.
Sie wurden bereits in der Veterinärmedizin sowie in Menschen in klinischen Studien getestet. Wie bei jeder neuen Technologie muss man jedoch immer mit unerwarteten Folgen rechnen. Wenn man am Ende der klinischen Prüfung 30.000 Menschen mit dem Impfstoff immunisiert hat, liefert das zunächst eine gute Grundlage für die weitere Risikoabschätzung. Je stärker die Immunstimulation, desto größer die möglichen lokalen oder systemischen nicht gravierenden Nebenwirkungen, wie schon für Vektor- oder RNA-basierte Impfstoffe gezeigt wurde. Wie auch bei konventionellen Covid-19-Impfstoffen werden wir aber nicht wissen, wie lange die Immunität anhält, bedingt durch die kurze Testphase, oder welche seltenen Nebenwirkungen auftreten können. Momentan ist auch wenig darüber bekannt, wie Menschen mit Vorerkrankungen reagieren. Zudem müssen wir abwarten, ob dieser Impfstoff nur die symptomatischen Fälle reduziert oder auch schwere Verläufe verhindert. Die Dimension klinischer Studien erlaubt keine Rückschlüsse auf das Immunisierungsgeschehen insgesamt, das wird erst in Studien nach der Zulassung abschätzbar sein.
Zur Person
Carlos A. Guzmán, 61, ist Leiter der Abteilung Vakzinologie und Angewandte Mikrobiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. Er promovierte in Medizin, Chirurgie und Mikrobiologischen Wissenschaften und lehrt heute an der Medizinischen Hochschule Hannover
Die Impfstoffversuche wurden an gesunden Menschen durchgeführt. Ist es dann überhaupt zu rechtfertigen, ihn Menschen aus Risikogruppen zu verabreichen?
Das Problem mit Covid-19 besteht nicht in den milden Fällen, die hauptsächlich junge und gesunde Menschen betreffen, sondern in Infektionen bei Menschen, die zu entsprechenden Risikogruppen gehören, welche in manchen Fällen eine medizinische Betreuung benötigen. Diese Bevölkerungsgruppe braucht hier einen besonderen Schutz, der durch einen entsprechenden Impfstoff gewährleistet werden könnte. Aber erst wenn ein Impfstoffkandidat in jungen und gesunden Menschen zufriedenstellende Ergebnisse bezüglich der Sicherheit liefern konnte, werden auch entsprechende Risikogruppen wie Ältere eingeschlossen. Dies ist besonders entscheidend, da deren Immunantwort generell schwächer ausfällt als bei jungen Erwachsenen. Dies ist auch für andere Impfstoffe bekannt. Das Problem ist, dass klinische Impfstoffstudien normalerweise über viele Jahre durchgeführt werden und danach sowohl langfristige Nebenwirkungen als auch die langfristige Wirksamkeit besser abgeschätzt werden können. Wahrscheinlich werden auch nicht alle zurzeit in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe eine vorläufige oder volle Zulassung erhalten. Aber was wäre die Alternative in der gegenwärtigen Situation? Sollen wir warten? Wir müssen die negativen Effekte der Pandemie gegenüber den Risiken abwägen, die mit der Impfstoffentwicklung einhergehen. Uns muss klar sein, dass ein Impfstoff nur eines von vielen Werkzeugen gegen die Pandemie ist. Außerdem benötigen wir idealerweise mehrere unterschiedliche Impfstoffe, um am Ende deren Wirksamkeit und Risiken für bestimmte Gruppen bilanzieren und den weltweiten Bedarf decken zu können. Wir wissen schon jetzt, dass leichte Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Fieber oder grippeähnliche Symptome bei manchen Covid-19-Impfstoffen wohl stärker ausfallen werden als bei anderen zugelassenen wie der Grippe-Impfung. Im Laufe der Zeit wird man herausfinden, welcher Impfstoff für welche Gruppe am vorteilhaftesten ist, und auch, ob die Impfung immer wieder aufgefrischt werden muss.
Es ist zu lesen, dass auch Geimpfte weiterhin ansteckend sein können. Wie ist das zu erklären?
Nicht jeder Impfstoff schützt vollständig gegen eine Infektion, sondern er kann zum Beispiel nur die Symptome der Krankheit bekämpfen. Dann wird eine Infektion mit dem Erreger gar nicht erkannt, und der Virenträger kann andere Menschen anstecken. Wenn im Moment also ein Impfstoff zugelassen wird, kann man nicht immer sicher sein, ob er nur die Zahl der symptomatischen Fälle reduziert oder tatsächlich auch die Ansteckungsfälle. Eine Reduktion von symptomatischen Fällen, die unser Gesundheitssystem belasten, kann schon ein großer Erfolg sein.
Biontech geht davon aus, dass im Sommer 2021 70 Prozent aller Bundesbürger geimpft sein werden und wir bis Ende 2021 die Pandemie überwunden haben. Teilen Sie diese Einschätzung?
Das hängt schlicht von der Masse des produzierbaren Impfstoffs ab. Ich bin nicht in die EU-Absprachen eingeweiht, wie viele Dosen am Ende zur Verfügung stehen werden. Aber grundsätzlich würde ich diese Kalkulation ohnehin nicht nur auf Grundlage der Impfdosen von Biontech machen, es gibt ja viel mehr Hersteller, die an entsprechenden Produkten arbeiten. Zudem gibt es erfolgversprechende Ergebnisse zu Kandidaten, die auf Proteinen, Vektoren oder inaktivierten Viren basieren, wie etwa von Novavax, AstraZeneca oder Sinopharm. Auch große Hersteller wie Sanofi Pasteur entwickeln weitere Impfstoffkandidaten. Selbst wenn nicht alle in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe die Phase III erfolgreich abschließen werden, wird es bald ein größeres Angebot geben. Das wird uns in die Lage versetzen, Impfstoffe zu vergleichen und auf ihre Einsetzbarkeit für bestimmte Gruppen zu prüfen.
Sie selbst arbeiten an einer nicht mit der Industrie assoziierten Einrichtung: Geht es eigentlich an, dass ein solch wichtiges Gut privat vermarktet werden darf?
Viele Hersteller haben für die Entwicklung und Produktion von Impfstoffen gegen eine Infektion mit SARS-CoV-2 tatsächlich öffentliche Zuwendungen erhalten, um deren schnelle Entwicklung voranzutreiben. Die Verträge der EU mit den verschiedenen Firmen sind geheim, wir wissen nichts über Preise und darüber, wie etwa mit Zivilklagen umgegangen werden soll, wenn es zu Impfschäden kommt. Es wäre natürlich wünschenswert, dass eine Kommission überprüft, ob sich die Subventionen in der Qualität der Produkte, den Preisen, der Verfügbarkeit und der Produkthaftung widerspiegeln.
Angenommen, wir hätten genügend Impfstoff, würden Sie eine Impfpflicht befürworten?
Wenn wir über einen Impfstoff wie etwa den gegen Masern verfügen, sehr wirksam und gut verträglich, kann man über eine Impfpflicht nachdenken. Im Zusammenhang mit Covid-19 sind aber noch nicht alle potenziellen Risiken für alle Bevölkerungsgruppen abschätzbar. Es ist sinnvoll, die Impfung zunächst Personen anzubieten, die zu Risikogruppen gehören, sowie bestimmte systemrelevante Berufsgruppen zu impfen. Eine verpflichtende Impfung für alle würde ich heute nicht befürworten, zumal das Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken, für bestimmte Bevölkerungsgruppen wie etwa Kinder sehr klein ist. Für diese Gruppen braucht es zunächst eine sorgfältige Kosten-Nutzen-Abwägung, um potenzielle Nebenwirkungen rechtfertigen zu können.
Über globale Ungerechtigkeiten bei der Impfstoffverteilung haben wir noch nicht gesprochen ...
Ja, nicht jedes Land kann es sich leisten, Hochleistungskühlschränke anzuschaffen, um den Impfstoff von Biontech bei minus 70 Grad zu lagern. Dieses Problem könnte durch Produkte anderer Hersteller, die auf anderen Technologien beruhen, umgangen werden. Zudem ist die Bandbreite der Preise immens: Moderna hat mit stolzen 50 Dollar pro Dosis angefangen, nun wird diskutiert, Impfstoffe durch niedrigere Preise besser zugänglich zu machen. Einige Hersteller planen den Preis pro Dosis auf bis zu drei Dollar zu senken. Neben Kosten und potenziellen organisatorischen Schwierigkeiten weise ich aber darauf hin, dass aufgrund des Lockdowns Covid-19-unabhängige Impfprogramme ausgesetzt wurden. Dies hat dazu geführt, dass 80 Millionen Kinder reguläre Impfungen nicht erhalten haben. In ein paar Jahren könnten wir also wieder mit Ausbrüchen von Kinderlähmung oder Masern konfrontiert werden. Dies ist ein Rückschlag, da die WHO im August den Wildtyp des Poliovirus, Auslöser der Kinderlähmung in Afrika, für ausgerottet erklärt hatte.
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