Welcher Wettbewerb siegt?

Kommentar Embryonenforschung - EU bricht nationales Recht

In einer Woche, die der modernen Medizin deutlich ihre Grenzen aufwies - zum einen endete ein Menschenexperiment, die Trennung siamesischer Zwillinge, mit deren Tod, zum anderen erwachte ein aus medizinischer Sicht längst aufgegebener Patient nach 19 Jahren aus dem Wachkoma - schickten sich die EU-Kommissare an, einmal wieder über Leben und Tod zu entscheiden. Diesmal ging es um die höchst umstrittene Vorlage des EU-Forschungskommissars Philippe Busquin, der Europa zu einem auf diesem Feld ernst zu nehmenden Forschungskonkurrenten der USA machen will. Geht es nach seinem Willen, dann stehen die zweieinhalb Milliarden Euro aus dem EU-Forschungs-Sonderbereich "Biowissenschaft, Genomik und Biotechnologie im Dienst der Gesundheit" nach Ablauf des Moratoriums Ende 2003 auch Wissenschaftlern offen, die an so genannten überzähligen Embryonen arbeiten.

Allerdings nicht allen. Die deutschen Forscher zum Beispiel werden nicht in den Nutznieß der Gelder kommen, weil das nationale Recht mit der EU-Vorlage nicht vereinbar ist - das gilt übrigens auch für Wissenschaftler aus Österreich, Dänemark, Frankreich, Irland oder Spanien, wo Embryonenforschung nur unter starken Einschränkungen erlaubt ist. Deshalb warfen die Gegner - in Deutschland immerhin 170 Parlamentarier (fast) aller Fraktionen - diesmal nicht ihre ethischen Bedenken in die Waagschale, sondern monierten die daraus entstehende "Wettbewerbsverzerrung" für die Forscher in den verschiedenen Ländern; ein im wettbewerbssensiblen Europa politisch zwar kluger, wenn auch bioethisch bedenklicher Schachzug - denn was passiert, wenn der Wissenschaftswettbewerb gesichert ist?

Dass es dennoch nichts genützt hat und Busquins Vorschlag mit einigen Modifikationen - der Stichtag für die in Betracht kommenden Embryonen liegt nun auf dem 27. Juni 2002, dem Beginn des EU-Rahmenprogramms - durchgewunken wurde, hängt unter anderem auch mit der schwankenden Haltung mancher nationalen Regierung zusammen. Es ist kein großes Geheimnis, dass beispielsweise Forschungsministerin Edelgard Bulmahn (und mit ihr der Kanzler) auf die Hintertür Europa hofft, um der Embryonenforschung am Ende doch noch den Weg zu ebnen.

Das ist nicht ohne Belang, denn wenn am 1. Oktober der Ministerrat letztendlich über die Vorlage entscheidet, könnten Deutschland, Italien und Spanien ihre Mehrheit dazu nutzen, das umstrittene Projekt in letzter Minute zu stoppen. Der Rat könnte sich bei dieser Gelegenheit auch Gedanken darüber machen, ob für Europa ein Forschungskommissar tragbar ist, der die Gegner der Embryonenforschung vor noch nicht allzu langer Zeit in einen Topf mit den afghanischen Taliban warf.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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