Wissenschaftlicher Erfolg, medizinisch fragwürdig

Stammzellforschung Der neuerliche „Durchbruch“ in der Stammzellforschung wirft viele Fragen auf. Nicht zuletzt die, wer den therapeutischen Einsatz von Stammzellen später bezahlen soll

Wenn von einem Durchbruch in der Stammzellforschung die Rede ist, werden Beobachter der Szene hellhörig: Solche Meldungen kursieren in vierteljährlichem Abstand und erweisen sich am Ende entweder als übertrieben oder als Fälschung. Wenn dann auch noch der „Vater“ des inzwischen in den Tierhimmel eingegangenen Klonschafs Dolly, Ian Wilmut, den Pressewirbel forciert, legt sich die Stirn in besonders dichte Falten, zu gut erinnert man sich noch an Verjüngungs- und Gesundungsversprechen, die wahllos Tier und Mensch beglücken sollten.

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Britischen und kanadischen Wissenschaftlern ist es gelungen, eine sehr große Menge von Stammzellen herzustellen, ohne dafür menschliche Embryonen zerstören zu müssen

Doch in diesem Fall ist Wilmut nur Senior-Sponsor einer Forschungsgruppe, die offenbar tatsächlich einen entscheidenden Schritt in der Stammzellforschung gemacht hat: Einem kanadisch-britischen Team ist es gelungen, Zellen, die aus menschlichem Hautgewebe von Erwachsenen stammen zu reprogrammieren,ohne für den Gentransfer Viren zur Hilfe zu nehmen. Diese so genannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) könnten, wenn sich die Forscherträume erfüllen, als Ausgangsmaterial für die Züchtung von Gewebe und vielleicht sogar Organen aller Art genutzt werden. Damit stünden Therapien für bislang unheilbare Krankheiten oder Behinderungen zur Verfügung: Parkinson, Querschnittslähmung oder Alzheimer. Eine optimistische Perspektive, die vielen Kranken Hoffnung gibt. Aber wie realistisch ist sie?

Zunächst weisen sowohl die wissenschaftlichen Protagonisten selbst als auch überzeugte Stammzellforscher wie der Bonner Forscher Oliver Brüstle darauf hin, dass das gelungene Experiment noch nichts darüber aussagt, ob iPS-Zellen tatsächlich die gleichen Fähigkeiten haben wie embryonale Stammzellen und daraus erfolgreich Gewebe gezüchtet und implantiert werden kann. Der Erfolg, sagt die Ethikrätin und Expertin Regine Kollek dem Freitag, sollte nicht klein geredet werden: „Was diese Forscher geleistet haben, verdient Anerkennung und ist wissenschaftlich hoch interessant“. Doch die grundsätzlichen Probleme der embryonalen Stammzellforschung, ist sie sich sicher, wären dadurch nicht gelöst. Zwar wird durch die neue Transfer-Methode das durch virale Genfähren verursachte Krebsrisiko ausgeschlossen, virulent bleibt aber, dass sich iPS-Zellen ähnlich verhalten wie embryonale Stammzellen; das ist möglicherweise gut für die Züchtung von Gewebe, aber mit Risiken verbunden, wenn die Zellen einem Menschen transplantiert werden.

Was das im Alltag eines Kranken bedeuten kann, wurde kürzlich in Israel deutlich: 2001 wurden dort einem Jungen, der an dem seltenen Louis-Bar-Syndrom leidet – eine Krankheit, die dazu führt, dass die Bewegungen nicht mehr koordiniert werden können und mit einer eingeschränkten Lebenserwartung verbunden ist –, in Russland fötale neuronale Stammzellen gespritzt: gegen den ausdrücklichen Rat der israelischen Ärzte. Der 13-Jährige bekam Kopfschmerzen und schließlich wurden Tumore im Hirn und im Rückenmark diagnostiziert: Eindeutig Folge der Transplantation, denn die Ärzte fanden männliche und weibliche Zellen bei der Chromosomenanalyse. Der ursprünglichen Krankheit konnte dieses Menschenexperiment nichts entgegensetzen, sie schreitet fort.

Alles nur zu früh? Vielleicht. Was an solchen traurigen Fällen aber deutlich wird, ist die Unberechenbarkeit von embryonalen wie auch den ihnen verwandten iPS-Zellen. Auch wenn das ethische Dilemma mit iPS-Zellen erledigt scheine und die Reprogrammierung perspektivisch dazu führen könne, dass für diese Art von Forschung keine Embryonen mehr verbraucht würden, habe sich das medizinische Risiko deshalb noch nicht erledigt, da ist sich Regine Kollek sicher.

Einmal ganz abgesehen davon, wer eigentlich von dieser Art von Forschung profitieren wird: Momentan sind es verzweifelte Menschen, die zum letzten Strohhalm greifen, um dem Krankheitsschicksal ein Schnippchen zu schlagen. Das ist nur zu verständlich. Sollten Stammzellen aber tatsächlich einmal therapeutisch zum Einsatz kommen, sollte auch die Frage erlaubt sein, ob sie allen zugute kommen. Man muss gar keine krisenhaften Untergangsszenarien beschwören, um zu sehen, dass die Sozialkassen für derart massenhaften teuren Therapien nicht ausgestattet sein werden: Cui bono also?

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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