Ja, er hätte sich auch vorstellen können, Journalist zu werden, verriet er mir einmal zu weinselig-fortgeschrittener Stunde, als er an den Berg akademischer Arbeiten dachte, die seiner Begutachtung harrten. Gewonnen hätte die Hauptstadtpresse mit dem stets gut gekleideten Mann alleine schon vestimentär; ob er aber umgekehrt mit deren Oberflächlichkeit und Wetterwendigkeit glücklich geworden wäre?
Wie dem auch sei, Erhard Schütz wurde weder Biologe (wie ursprünglich geplant) noch Journalist, sondern ein bestallter Literaturprofessor, der sich, wie er gerne erzählt, nach absolvierten Gutachten damit belohnt, eine Literaturkritik für den Freitag zu schreiben. Seit gut 25 Jahren flattern mit präziser Regelmäßigkeit so nicht nur die zahllosen Besprechungsminiaturen auf den Schreibtisch der wechselnden Literaturredakteure, sondern auch Rezensionsessays, die einen ganzen Kosmos umfassen und vom neuesten Philip Roth über Betrachtungen über das Ruhrgebiet und so genannte Berlin-Romane bis hin zur literaturhistorischen Vermessung des Bombenkriegs reichen – um nur einige wenige Bohrlöcher zu markieren. Unvergessen der Nachruf auf den mit Hassliebe begleiteten Ernst Jünger, der jahrelang im Stehsatz schmorte und regelmäßig aktualisiert werden musste, weil sich der greise Diarist aus Wilflingen gar nicht lebensmüde zeigte.
Non-Fiktion
Was also die Diversifizierung von Themen und Zugriffen betrifft, hätte es Schützens „Bauchladen“ gut mit der Hauptstadtkonkurrenz aufnehmen können, zumal als exquisiter Kenner der Berliner Literatur aus einer Zeit, als die Stadt noch „mittig“ war und das Spannungsfeld von Metropole und Provinz noch nicht föderalistisch befriedet. Einem Journalisten immerhin verdanken es die Studierenden, dass der Nordhesse 1988 aus seiner Wahlheimat Essen gen Osten wanderte. Den Romanautor und späteren Tagesspiegel-Chefredakteur Erik Reger würdigte Schütz kritisch schon in seiner Dissertation; dass er einmal eine Stiftungsprofessur seines Namens in Berlin innehaben würde, hat er sich 1977 sicher nicht träumen lassen.
Zwischen den beiden FU-Instituten Germanistik und Publizistik, an denen er lehrte, übte Schütz den Spagat, der seinen beruflichen Leidenschaften entsprach. Den disziplinübergreifenden Exkursionen frönte er aber auch nach seinem Wechsel an die Humboldt-Universität, zuletzt im Bereich der Sachbuchforschung, für die er unter anderem mit der Zeitschrift Non Fiktion Pionierarbeit leistete.
Dabei gehört der passionierte Zoo-Besucher Schütz, bei aller ausgreifenden Neugierde, selbst einer aussterbenden Art an: Er ist nicht nur selten bescheiden, sondern auch treu. Treue meint die Loyalität mit und gegenüber der Produktionsgemeinschaft, ob sie nun aus angehenden Akademikern besteht oder aus einer unter schwierigen Bedingungen arbeitenden Redaktion. Auch wenn er für viele andere Blätter geschrieben hat, schlägt Schützens Herz von jeher für den Freitag. Dass es nun Studierende und Ehemalige sind, die anlässlich seines 65. Geburtstags und seiner Emeritierung im Sommer das verstreute journalistische Werk gesammelt haben und eine (große) Auswahl zugänglich machen, ist nicht nur Ausdruck ihrer Wertschätzung, sondern einer gelungenen Symbiose. Vielleicht braucht es „das Kind im Manne“– und über Männerjungen wie Heinz Rühmann hat Erhard Schütz gerne geschrieben –, um solche Verbundenheit zu stiften.
Echte falsche Pracht. Kleine Schriften zur LiteraturErhard Schütz, hg. von Jörg Döring und David Oels Verbrecher Verlag 2011, 640 S., 15 (erscheint im März)
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