Zwischen Denunziantentum und Opferschutz

Nachruf Eduard Zimmermann ist tot. Der Erfinder von "Aktenzeichen xy ungelöst" war eine Hassfigur der Linken. Was der TV-Fahnder verkörperte, schlug Wunden in ihre Weltsicht

Sein Fadenkreuz war früher gespannt als das von Tatort und es ist nicht auszuschließen, dass die beliebteste deutsche Krimiserie bei „Ede“ Zimmermann in die Lehre ging. Nirgendwo konnte man der Banalität des Bösen im Lande besser ansichtig werden als bei Aktenzeichen XY ... ungelöst, nirgendwo kam ein Fernsehermittler seriöser daher (Vorlage für Hansjörg Felmy alias Kommissar Haferkamp) – und kaum etwas faszinierte die Zuschauer mehr als die trockene Einführung von Eduard Zimmermann in ein „unvorstellbares“ Verbrechen. Mittels Spielszenen nachgestellt, brachte er den Reality-Grusel ins deutsche Fernsehen und via Direktschaltung nach Wien und Zürich Interpol in die deutschen Wohnzimmer.

Die Fernseh-Menschenhatz begann, unter bereitwilliger Teilnahme der Zuschauer. Wo in den Spielshows à la Rosenthal oder Kuhlenkampff kollektive oder individuelle Konkurrenz geübt wurde, beauftragte Zimmermann ein biederes Massenpublikum mit Spitzeldiensten für die Polizei. So jedenfalls sah das der kritische Rest, für den Zimmermann die teletaugliche Ausgeburt des Polizeistaats war.

Um ermessen zu können, welche realpolitische Bedeutung „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ damals hatte und zu welchen Reaktionen sie herausforderte, muss man sich den Zeitpunkt vergegenwärtigen: Als die Sendung am 20. Oktober 1967 beim konservativen ZDF an den Start ging, war in Berlin gerade Benno Ohnesorg erschossen worden, keimten die ersten revolutionären Zellen; ein Jahr später ging in Frankfurt ein Kaufhaus in Flammen auf, in Berlin kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Studenten und Polizei.

Bloß nicht erwischen lassen!

Es ist der Auftakt zur allgemeinen Jagd auch auf die nicht-militante Linke, bei der die Polizei ein denkbar schlechtes Image hat und die doch gerade herausgefunden zu haben meint, dass der Nazi-Staat auch ein Staat von Denunzianten war. Dass der 1929 geborene Zimmermann diese Schuld kaum mehr auf sich geladen haben konnte und der kleine Gauner und Schwarzmarkthändler „Ede“, der er einmal war, eher der „anderen“ Seite zugehörte, blieb in den groben Wahrnehmungsmustern unbemerkt oder wurde einfach ausgeblendet.

Kaum etwas war in den siebziger Jahren jedenfalls peinlicher, als von der WG oder straighten Genossen doch mal vor Zimmermanns Sendung erwischt zu werden. Wer „Gewalt gegen Sachen“ theoretisch und praktisch rechtfertigte, konnte gegen den Bankräuber wenig haben; und wo es um Kapitalverbrechen wie Mord ging, wusste man die damals aus den Verhältnissen zu erklären, wenn auch nicht zu billigen. Der erfolgreiche Appell an den niederen Jagdinstinkt des Fernsehvolkes war nicht nur bedrohlich für die Linke – unter den mittels „Aktenzeichen“ auf die Spur Gekommenen befanden sich auch 13 Terroristen und ein Flugzeugentführer –, er wurde auch als politische Kränkung verstanden.

Im Laufe der Jahrzehnte bis zu seinem Abschied 1997 legte sich die Aufregung über Zimmermann. Nicht nur, weil es TV-Ereignisse überhaupt schwerer hatten, Empörung auszulösen, sondern auch, weil die Kritiker den Schutz von Leib und Eigentum zu schätzen lernten. Vor einiger Zeit berichtete eine in der linken Szene beheimatete Bekannte, dass sie Opfer eines Raubes geworden sei und von dem damit verbundenen persönlichen Leid. Hilfe habe sie, sagte sie fast verschämt, nur vom Weißen Ring erhalten und für sie sei das die Rettung gewesen. Die Opferschutzorganisation „Weißer Ring“ wurde bekanntlich von Eduard Zimmermann gegründet.

Über das von ihm kreierte TV-Format mag man politisch und ästhetisch nach wie vor geteilter Meinung sein. Dass es die meist einseitige Krimi-Sicht der Verbrecher und Verfolger durch die Perspektive der Opfer ergänzte, ist ein Verdienst, das dem am Wochenende in München verstorbenen Zimmermann auf jeden Fall zukommt.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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