Neuerfindung des Tafelbilds

Kulturkommentar Videokunst ist seit langem etabliert, aus Netzkunst hingegen ist nie richtig etwas geworden. Das Allheilmittel App soll's ändern: Heute wird der erste AppAward verliehen

Wenn heute Abend in Karlsruhe die Gewinner des ersten AppAward ausgezeichnet werden, ist eine neue Kunstform museumsreif – die App-Kunst. Klingt eigenartig? Schließlich ist eine App nichts weiter als ein Computerprogramm – vorzugsweise zur kleinen Unterhaltung und Information zwischendurch? Das kann man durchaus so sehen.

Für Peter Weibel, Chef des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe und selbst Künstler, ist die (oder auch das) App aber eine neue Kunstform, „deren Bedeutung mit der Erfindung des Tafelbildes vergleichbar ist“. Das habe sich einst durchgesetzt, weil es im Gegensatz zur Höhlenmalerei tragbar ist. Die App sei sogar noch besser als das Tafelbild. Denn das auf Holz oder Leinwand gemalte Bild könne immer nur einer besitzen – und vielleicht auch mit sich herumtragen. Nun aber könne die Kunst in jede Tasche.

Weibel, selbst ein früher Videokunstpionier, ruft „Revolution!“ und hat auch gleich zwei neue Apps entwickelt. Bei ihm erkennt das Telefon oder der Tabletcomputer, wo im Raum es/er sich gerade aufhält und spielt verschiedene Musikstücke. Die wird er – außer Konkurrenz – zusammen mit den eingesandten Apps demnächst in einer Ausstellung zeigen. Wie genau eine solche Ausstellung aussehen wird, wissen selbst die medienerfahrenen ZKM-Leute noch nicht ganz genau. Denn während sich Kunstrichtungen bilden und verschwinden, bleibt das Museum ein Haus mit vier Wänden.


Dass Apps nicht nur ein hübsches Spielzeug und nützliche Alltagshilfen, sondern auch Anlass zu gerichtlicher Auseinandersetzung sein können, weiß man spätestens, seit vor zwei Wochen acht Zeitungsverlage gegen die kostenlose TagesschauApp Klage einreichten. Doch während es hier ums Geld geht, will das ZKM gerade das Gegenteil erreichen. Es will die neue Technik nicht allein dem Kommerz überlassen. Beim Video ist diese Strategie aufgegangen; die Videokunst ist seit Langem etabliert. Bei der Internetkunst dagegen hat es nicht geklappt. Was vor zehn Jahren als hoffnungsvolle neue Kunstform und Traum vom Internetgaleristen mit Netzkunstangebot begann, ist heute noch nicht einmal mehr in einer Nische zu finden. Und wenn David Hockney Blumenbilder auf dem iPhone stümpert, zeigt er, dass er nicht verstanden hat, was diese neue Kunstform sein könnte. Keine Kunst der Leinwand, auf der die immer gleichen Motive mit neuer Technik entstehen, sondern Kunst zum Mitmachen, die verspielt und so schön unnütz ist wie alle Kunst.

Trotzdem ist längst nicht entschieden, dass App-Kunst mehr ist als der Versuch, ein neues Medium für die alte Kunst zu benutzen. So oder so ist die künstlerische Idee jetzt für immer im Karlsruher Museum aufbewahrt – selbst wenn noch nicht geklärt ist, wie Aufbewahren in diesem Fall geht.

Wenn an diesem Freitag nun erstmals ein App-Künstler unter 90 Einsendungen aus 14 Ländern gekürt wird, geschieht dies nach Bewertungskriterien, die in der traditionellen Kunst längst nichts mehr gelten. Es wird einiges verlangt: „Interaktivität, Kreativität, Design, Look Feel, Innovationsgrad, Stabilität, Usability, technische Komplexität und künstlerischer Gesamteindruck Idee, Konzept, Umsetzung“. Da kann sogar der konservativste Kunstbetrachter frohlocken und hoffen, dass alte Werte in neuen Formen zurückkehren.

Uta Baier interviewte für den Freitag zuletzt die

Fälscher-Brüder Posin

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