„Im Gespräch“ von Kersten Knipp: Genießt den Aufbruch, verschmäht die Phrase!

Unterhaltung Konversation betreiben, mit Herz und Verstand – in seinem Buch „Im Gespräch: Wie wir einander begegnen“ liefert Kersten Knipp dafür Anregungen
Ausgabe 17/2024
Ein Gespräch ist immer auch eine Begegnung
Ein Gespräch ist immer auch eine Begegnung

Foto: Etienne Boulanger/unsplash

Ein Rauschen, ein Raunen und Rumoren, und irgendwo in diesem Lautgemisch entsteht es: das Gespräch. Damit es sich nicht erschöpft in einem undeutlichen phonetischen Gerassel, bedarf es verschiedener Voraussetzungen. Was macht ein Gespräch zu einem Gespräch? Dieser Frage geht der Kulturhistoriker und Publizist Kersten Knipp in seinem Essay Im Gespräch nach. Ein aufklärerisches und zugleich romantisches Ziel verfolgt der Autor bei seinen Betrachtungen: Mit dem verantwortungsvollen Gespräch ergebe sich die Chance, sich von der „Macht des Gegebenen nicht einschüchtern“ zu lassen. Knipp ersehnt den mündigen Sprecher, der seine Ängste im Gespräch erschließt und damit überwindet. Nur derjenige, der ein Risiko eingeht im Austausch mit seinem Gegenüber, ist in der Lage, den Kampf um eine bessere Welt mit Herz und Verstand auszutragen.

Als Gewährsmann führt Knipp einen Schriftsteller an, der gemeinhin als Verfechter der Höflichkeit und der guten Sitten bekannt ist: den Freiherrn Adolph Knigge. Dass Knigge vor allem ein Anhänger der Aufklärung war und das Verhältnis der Bürger untereinander zu regeln gedachte, ist weniger bekannt. Eine aufgeklärte Bürgerschaft aber bedarf eines unerschrockenen Willens. „Züchte im Gespräch keine Mimosen“, riet Knigge und ist mit diesem Rat wieder mehr en vogue, als es manch einem lieb sein dürfte. Die Stärkung der Gesprächsbereitschaft ist daher vordringlich, soll das gesellschaftliche Miteinander gelingen. Formwille und Flexibilität sind die beiden Erfolgsfaktoren für ein Gespräch, das diesen Namen verdient. Knipp betont nicht die Starre einer Struktur, sondern die Dynamik, das Fließende und Unvollendete einer Konversation. Deshalb ist es nur konsequent, dass er seinen Essay mit der Loslösung beginnt und mit der wohltuenden Wirkung des Geplappers enden lässt. Zwischendurch mäandert er durch Täler des Schweigens und der Stille, lauscht dem Gezwitscher der Verliebten, genießt den Aufbruch, verschmäht die Phrase und lässt sich verzaubern von der Kraft der Fiktion. Der Autor trottet nicht auf einer geradlinigen Achse mit vorgegebenem Ziel, sondern lässt sich bewegen vom Gespräch mit sich selbst und literarischen Widersachern und Kompagnons. Es handelt sich um ein Kräftemessen und ein gleichsam musikalisches Bewegungsmuster, das Knipp im Schreiben erzeugt. Eine ganz und gar sinnliche Angelegenheit ist das Gespräch also, zumal es ohne den Körper nicht zu denken ist. Die Formung der Laute mit Zunge und Lippen ist nur ein Aspekt der physischen Dimension. So wie beim Essen das Auge mitisst, so spricht beim Sprechen der ganze Leib.

Die erotische Qualität des Sprechens

Mit der Entdeckung der sinnlichen, gelegentlich auch erotischen Qualität des Sprechens schenkt Knipp dem Leser eine Erlösung von zeitgenössischen Kalamitäten. Erklärt sich der Leser bereit zum Risiko, zur abenteuerlichen Gesprächslust, steht ihm nichts mehr im Wege, selbst das Terrain der Identität, der Buntheit und der Macht neu zu erkunden. „Durch die Blume“ – eine der Phrasen, die der Autor goutiert – sagt Knipp seinen Lesern auch unbequeme Wahrheiten: Identität entstehe erst durch die Auseinandersetzung mit anderen und die Notwendigkeit, sich den „Dingen neu zu stellen“. Buntheit wiederum habe, so Knipp in Anlehnung an den frankomarokkanischen Philosophen Ali Benmakhlouf, mit politischer Korrektheit wenig am Hut, wohl aber mit dem Sprechenden und dem Eros des Gesprächs.

Es ist eine Ästhetik des Gesprächs, die im Laufe der Lektüre entsteht, eine Ästhetik, die das Monotone des tausendmal Gesagten verwirft, entsprungen aus Novalis’ romantischem Sehnen, „dem Bekannten die Würde des Unbekannten“ zu geben. Leicht könnte man sich dabei in Scheinwelten verheddern, doch Knipp verführt den Leser nicht nur zu romantischer Spekulation, sondern verlangt ihm auch ganz aufklärerisch etwas ab: dem Rückzug in die Idylle zu widerstehen. Nicht zu versinken im Schweigen. Ein wenig robust zu sein. Denn: „Solange das Wort nicht verstummt, bleibt die Macht brüchig.“

Im Gespräch. Wie wir einander begegnen Kersten Knipp Klampen 2024, 180 S., 18 €

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Geschrieben von

Ute Cohen

"Intelligenz lähmt,schwächt,hindert?:Ihr werd't Euch wundern!:Scharf wie'n Terrier macht se!!"Arno Schmidt

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