Schatten von Kunduz auf der Kanzlerin

Afghanistan Die Koalition will die Presse aus dem Untersuchungsausschuss zum Luftangriff von Kunduz aussperren. Sollte der Zweck sein, Merkel zu schonen, so geht das nach hinten los

Union und FDP wollen die Öffentlichkeit jetzt komplett aus dem Untersuchungsausschuss zum Luftangriff von Kunduz verbannen. Der Grünenpolitiker Omid Nouripour behauptet, damit solle Angela Merkel geschützt werden: Die Koalition kann nicht verhindern, dass auch noch die Kanzlerin als Zeugin zu der Frage gehört wird, wann sie wieviel vom Ausmaß der Katastrophe im nordafghanischen Kunduz wusste. Die Koalitionsvertreter im Ausschuss können aber verhindern, dass die Presse dabei zuhört.

Sollte der Schutz der Kanzlerin tatsächlich Zweck des neuesten Eklats im Ausschuss sein, so schadet Siegfried Kauder, Kampfjurist der CDU, seiner Kanzlerin damit mindestens ebenso viel, wie er ihr angeblich nützen will.

Nachdem durchgesetzt war, dass Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) Ende April öffentlich gehört wurde und er dabei überhaupt nicht beschädigt, sondern unterm Strich sogar gestärkt aus dem Ausschuss herauskam, lautet die naheliegende Frage: Und Merkel kann das nicht? Sie wäre nicht imstande, eine Erklärung vom Blatt erst abzulesen, und die sorgfältig gedrechselten Formulierungen im Lauf der Befragung immer weiter zu wiederholen? Nichts anderes schließlich hatte Guttenberg gemacht. Die Presse, rund 200 Leute auf den Rängen im kathedralen-hohen Saal des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses des Bundestags, nahm fassungslos hin, wie es der Ausschussrunde fünf Meter unter ihnen nicht gelang, den Minister seiner vielfachen Widersprüche in der Sache zu überführen.

Merkel dagegen hat das Bombardement, bei dem Anfang September 2009 wahrscheinlich etwa 100 Menschen starben, weder - wie Guttenberg - zunächst für angemessen noch dann für unangemessen erklärt. Sie hat auch nicht - wie Guttenbergs Vorgänger Franz Josef Jung (CDU) - tagelang behaupten lassen, es seien keine Zivilisten zu Schaden gekommen. Sie hat, wie üblich, gewartet. Und exakt zum selben Zeitpunkt, da die Nato den Tod von Zivilisten offiziell bestätigte, eine Regierungserklärung abgegeben und darin auch Bedauern ausgedrückt.

Die Fragen der Opposition an Merkel dürften sich aller Voraussicht nach um den 4. September drehen, den Tag nach den Bomben. Alle bisherige Wühlarbeit von Presse und Ausschuss hat den Zeitpunkt, zu dem die Umrisse des Desasters auch in Berlin erkennbar waren, stetig weiter nach vorn gerückt. Gleichzeitig vergrößerte sich auch der Kreis der Eingeweihten. Wenn aber Merkel tatsächlich schon am 4. September im Prinzip alles wusste, dann ist auch ihre Regierungserklärung vom 8. September ein riesiger Haufen aus Lügen und Verleugnungen gewesen.

Den Zuständigen im Kanzleramt freilich müsste es eigentlich gelingen, die Darstellung der Informationsketten lückenlos und merkelfrei zu stricken. Nun die Opposition auf die Barrikaden, sprich: vor den Bundesgerichtshof oder gar in die Einberufung eines zweiten Untersuchungsausschusses zu treiben, wirft den Verdacht auf, dass Merkel entweder fürchten muss, dass ihr niemand mehr loyal zuarbeitet. Oder dass Kauder ihre Glaubwürdigkeit tatsächlich untergraben will. In jedem Fall bleibt die Vermutung, dass Merkel bereits derart schwach ist, dass auch nicht der kleinste öffentliche Stolperer noch passieren darf.

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Geschrieben von

Ulrike Winkelmann

Ressortleiterin Politik

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