Einweg für die Umwelt?

Klimaschutz Auf der Suche nach Nachhaltigkeit muss manchmal über den Tellerrand geschaut werden

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Während das Land seit über einem Jahr unter der Coronavirus-Pandemie ächzt, gibt es auch gute Nachrichten aus dem Jahr 2020. Denn der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE) teilte kürzlich mit, dass Deutschland zwischen Januar und September letzten Jahres zehn Prozent weniger Plastikmüll ins Ausland exportiert hat als 2019. Allerdings belief sich der Export immer noch auf satte 986.000 Tonnen Plastikmüll – ein klares Zeichen dafür, dass hierzulande immer noch zu viele Produkte aus Plastik hergestellt werden, die obendrein nicht wiederverwertbar sind.

Diese Tatsache, zusammen mit den damit einhergehenden Umweltbedenken, ist im Blick auf die Corona-Krise von besonderer Bedeutung: weil die Menschen aufgrund der Lockdowns und generellen Kontaktbeschränkungsmaßnahmen nicht mehr ins Restaurant gehen sondern sich Essen nach Hause liefern lassen, hat sich die Menge an Plastik- und Glasabfällen 2020 jeweils um sechs Prozent erhöht.

Plastik kommt nicht mehr in die Tüte

Mit Blick auf den wachsenden Plastikmüllhaufen werden Rufe nach einer nachhaltigen Verpackungsregelung indes wieder lauter. Erst Mitte Dezember wurde vom Bundesrat ein allgemeines Plastiktütenverbot ab 1. Januar 2022 beschlossen um dadurch den Verpackungsmüll aus Plastik radikal einzuschränken. Gleichzeitig soll auf diese Weise die Nutzung von Mehrwegpackungen konsequent gefördert sowie eine „Mehrwegquote von 70 Prozent für Getränkeverpackungen und Ausweitung der Mehrwegvorgaben für Verkaufs-, Versand- und Transportverpackungen“ umgesetzt werden, wie von Umweltorganisationen wie der Deutschen Umwelthilfe gefordert.

Allerdings hat die Sache einen wichtigen Haken: ein Plastikverbot mag zwar helfen, Plastikabfälle zu reduzieren. Aber es legt zu viel Gewicht auf die pauschale Annahme, dass die Mehrweg-Lösung immer eine bessere Ökobilanz und deshalb umweltfreundlicher als Einweg ist – eine Behauptung, die bei näherer Betrachtung nicht unbedingt der Realität entspricht, vor allem dann, wenn der volle Lebenszyklus, Produktion sowie Ressourcenverbrauch für häufiges Spülen in Betracht gezogen werden.

Lebenszyklen im größeren Zusammenhang

So ergab eine von der European Paper Packaging Alliance (EPPA) in Auftrag gegebene und diesen Monat veröffentlichte Studie, dass Einwegverpackungen für Lebensmittel und Getränke aus Papier, die in europäischen Schnellrestaurants verwendet werden, besser für die Umwelt sind als Mehrweggeschirr. Die Ökobilanz von Einwegverpackungen wurde von Ramboll, einem unabhängigen dänischen Beratungsunternehmen der Europäischen Kommission, durchgeführt und vom TÜV zertifiziert.

Ramboll zufolge überwiegt bei einer realistischen Nutzung über ein Jahr hinweg der Energieverbrauch in der Nutzungsphase von wiederverwendbarem Kunststoff- und traditionellem Geschirr, während des Waschens und Trocknens im Geschäft oder außerhalb, die Umweltauswirkungen von Einweggeschirr aus Papier. Demnach war der Ressourcenverbrauch überraschend hoch: das Mehrwegsystem verursachte im Vergleich zum papierbasierten Einwegsystem einen um 267 % höheren Frischwasserverbrauch und nutzte 238 % mehr fossile Ressourcen. Damit ergab sich eine 177 % höhere Klimabilanz, sogar unabhängig vom Material der Mehrwegverpackung und den betrachteten Waschoptionen.

Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Ramboll-Studie werden aktuelle Pläne der Bundesregierung und der EU, Plastikabfall dramatisch zu reduzieren, neu gedacht werden. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) zum Beispiel hat erst am 20. Januar eine Änderung des Verpackungsgesetzes durch das Kabinett gebracht, demnach Restaurants, Bistros und Cafés, die Essen für unterwegs oder To-Go-Getränke verkaufen, verpflichtend Mehrwegverpackungen anbieten müssen. Obwohl das Gesetz somit den Anweisungen des 4. Artikels der EU-Richtlinie über die Verringerung der Auswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte auf die Umwelt entspricht, ist die Umweltfrage noch lange nicht geklärt.

Denn andere Studien sind bereits zu ähnlichen Ergebnissen gelangt. Die Niederländische Organisation für Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung (TNO) zum Beispiel hatte schon 2007 berechnet, dass „Gastronomiespülmaschinen so viel Strom verbrauchen, dass sie den Nutzen von Kaffee-Mehrwegbechern teilweise oder gar vollständig zunichtemachen, trotz der eingesparten Kartonbecher.“ Das VTT Technical Research Centre of Finland kam 2019 zu dem Schluss, dass Pappbecher oft den geringsten ökologischen Fußabdruck haben, wobei Recycling diesen nochmals um weitere 54 Prozent senken kann.

Überhaupt muss bei auf Papier basierenden Einwegprodukten die Tatsache beachtet werden, dass diese einfach und effizient wiederverwertbar sind. Die Recyclingrate von Papier in der EU liegt inzwischen bei 86 Prozent, Tendenz steigend, wodurch sich das Nutzungspotenzial sowie die Ökobilanz von Produkten wie Einwegbechern stetig weiter verbessert. Dies gilt um so mehr, da Recycling einer der wichtigsten Faktoren für eine sich dem Umweltschutz verschriebene Gesellschaft ist.

Jenseits des Tellerrands

Mag die Prämisse einer umweltschonenderen Einweg-Lösung auch dem herkömmlichen Wissen widersprechen und deshalb kontraintuitiv wirken, so liegt darin doch eine wichtige Erkenntnis: nämlich soll echte Nachhaltigkeit erreichen werden, müssen Umweltverbände und Politik zwangsläufig über den Tellerrand schauen und nach auf den ersten Blick unkonventionellen Lösungen suchen.

Dies ist vor allem für die schon arg gebeutelte Gastronomie wichtig: Anstatt die bereits beträchtlichen Verluste der Restaurantbranche durch einen schlecht ausgeführten Ansatz bezüglich Mehrweg noch zu vergrößern, müssen Regulierungsbehörden bald die Notwendigkeit erkennen, nachhaltigere (Papier-)Einwegprodukte zu akzeptieren und entsprechend zu fördern. Nur dann kann die Agenda 2030 der Bundesregierung, die einen Wechsel von der Linearwirtschaft zur Kreislaufwirtschaft durch nachhaltige Produkte vorsieht, realistisch umgesetzt werden.

Somit ist klar, dass der negative Blick auf Einweg weder gerechtfertigt noch praktisch durchsetzbar ist. Mehrweg ist weder der alleinige Heilsbringer für Abfallvermeidung noch das non plus ultra für eine gute Ökobilanz. Denn Einwegverpackungen und Geschirr aus Karton bedeuten nicht bloß einen großen Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft, sondern tragen darüber hinaus zur Verdrängung von exzessiven Plastikkonsum bei. Kurz gesagt: man schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe.

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