Europas "Green Deal" und Konsumverhalten

Verbaucher Mit einem ambitionierten Plan will die Europäische Kommission unsere Ernährung nachhaltiger gestalten. Eine längst überfällige Idee, aber an der Umsetzung hakt es

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Überschattet von der Corona-Krise ging zeitweise das Jahrhundertprojekt der neuen EU-Kommission in den Medien unter, der sogenannte Green Deal. Europa setzt sich zum Ziel, der erste klimaneutrale Kontinent zu werden. Ein Teil dieses ehrgeizen Programms ist die lang erwartete "Vom Hof auf den Tisch"- Strategie (VHADT) für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem.

Eine gesunde Ernährung für eine zunehmende Bevölkerung wird demnach vor allem unter dem Aspekt der Alternativen zum großen Fleischkonsum betrachtet. 10 Milliarden Euro werden zur Verfügung gestellt, um eine nachhaltige Veränderung der Ernährungslage in Europa zu erreichen. Eine beachtliche Summe, die wohl auch benötigt wird, denn es geht um nicht weniger als eine komplette Um- Konditionierung der Essgewohnheiten weiter Teile der Bevölkerung. Doch diese ist vermutlich alternativlos, sowohl aus gesundheitlichen als auch ökologischen Gründen.

Landwirtschaft als CO2-Schleuder

Zu den in zahlreichen Studien nachgewiesenen Vorteilen einer Änderung des Speiseplans für die Ernährung des Einzelnen spielen auch Fragen der Umwelt eine größer werdende Rolle. So könnte der ökologische Fußabdruck um bis zu 73% reduziert werden, wenn etwa komplett auf vegane Ernährung umgestellt würde – ein Ziel, das natürlich nicht Sinn und Zweck der Strategie ist. Doch macht diese Zahl neben vielen anderen das Potential deutlich, das in der Umgestaltung der Ernährung liegt. Auch der Umstand, dass der Anteil an der benötigten Ackerfläche sich um Dreiviertel reduzieren würde, zeigt das Ausmaß der Möglichkeiten.

Denn: große Teile des Feldbaus beanspruchen Futtermittel für die Viehzucht. Alleine dieser Bereich ist für 10% des EU-weiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Will man also die ehrgeizigen Klimaziele erreichen, ist es angebracht, auch an dieser Stelle anzusetzen. Bisher war diese Problematik in der Agrarpolitik der EU kaum eine Überlegungen wert, wie Greenpeace oder auch Foodwatch kritisieren.

Statt die konventionelle Landwirtschaft mit Subeventionen zu fördern, solle diese vielmehr für die von ihr verursachten Klima- und Umweltschäden aufkommen. Gerade die sehr aufwändige Massentierhaltung wäre hiervon betroffen. Die durch die Landwirtschaft in der EU verursachten Klimakosten werden mit einer Höhe von jährlich 77 Milliarden Euro beziffert, was deren Bedeutung mehr als deutlich macht. Eine Beteiligung oder gar komplette Übernahme der Kosten würde konventionell erzeugte Nahrungsmittel allgemein und Fleisch im Besonderen verteuern und einen ersten Anreiz für den Endkonsumenten darstellen, sein Kaufverhalten zu ändern.

Die Verantwortung des Verbrauchers

Nun ist die EU keine staatlich gelenkte Volkswirtschaft. Anders als vielleicht in einem Land wie China wird die Kommission nicht einfach den Schalter umlegen und der Bevölkerung ihre Ernährungsgewohnheiten vorschreiben können. Es gilt also, ein anderes Verhalten zu fördern und Anreize zu schaffen.Unter Punkt 2.4 der Mitteilung der Kommission lässt sich nachlesen, wie dies umgesetzt werden soll.

Eine Bewusstseinsveränderung der Verbraucher spielt für den Erfolg dieses Vorhabens eine entscheidende Rolle. Dazu soll die bereits in einigen Ländern eingeführte Lebensmittelampel, der sogenannte Nutri-score sorgen. Auf zunächst freiwilliger Basis soll diese Nährwertbezeichnung Anreize für weniger Fleischkonsum schaffen. Aber das System lässt einige Fragen offen.

Auf einer 5-stufigen Farbskala sollen Verbraucher auf einfache Weise sehen können, wie es um die Nährwerte der Produkte bestellt ist. Nutri-scores "Ampel"-Ansatz zufolge werden salzige und zuckerhaltige Produkte negativ bewertet, während Lebensmittel mit hohem Proteingehalt, wie zum Beispiel Fleisch, oftmals eine positive Bewertung erhalten. Das Problem mit dem Nutri-score liegt somit auf der Hand: Kunden könnten so zu höherem Fleischkonsum ermuntert werden, anstatt zu einer Reduktion – ein direkter Widerspruch zu den Kohlenstoffemissionszielen der EU. Der Grundgedanke, den Fleischkonsum zu senken wie er eingangs beschrieben wurde, findet also im Endeffekt nicht die erforderliche Berücksichtigung.

Prozente statt Farben

Die Einführung der Gesundheitsampel bringt folglich Gegner und Befürworter gleichermaßen in Stellung und es zeichnet sich eine Spaltung in der Lebensmittelbrache ab. Die Einteilung der Produkte in "gut" und "böse" ließ dies auch erwarten, denn welcher Lebensmittelkonzern möchte schon, dass seine Lebensmittel mit einer Art Warnhinweis versehen werden. Widerstand ist also nicht verwunderlich und liegt in der Natur der Sache.

Dies ließe sich aber vielleicht umgehen, wie ein Alternativvorschlag aus Italien zeigt. Statt einer schwarz-weißen Einteilung der Lebensmittel, würde das Batterie-System namens Nutrinform die Produkte stattdessen anhand der empfohlenen täglichen Aufnahmemengen bewerten. Durch die Darstellung von Nährwertsangaben in Form von durchschnittlichen Portionsgrößen und als prozentualer Anteil der empfohlenen Verzehrsmenge soll das System zu einer ausgewogeneren Ernährung anregen. Gleichzeitig könnte es Verbrauchern helfen, ihre Ernährung besser zu verstehen und sie ausgewogener zu gestalten, ohne dass eine Verteufelung bestimmter Produkte erfolgen würde.

Wie die Umsetzung am Ende auch immer gestaltet wird, so steht letzten Endes fest: die EU muss einen dauerhaft tragbaren Kompromiss zwischen den Interessen aller Beteiligten finden, wenn sie ihre hoch gesteckten Ziele ernst nimmt und auch erreichen will. Der Kompromiss zwischen Klimaschutz einerseits und den bisherigen Ernährungsgewohnheiten einer Wohlstandsgesellschaft wird nicht einfach sein, doch ein vereintes Europa sollte dieser Aufgabe gewachsen sein.

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