Hi, jetzt habe ich mich doch noch einmal hingesetzt und die Vorwürfe gegen Butler etwas auseinandergenommen. Der Beitrag erscheint in den Rosigen Zeiten 09/2010.
Berliner CSD – Judith Butler kritisiert schwul-lesbischen Rassismus und fordert zu gemeinsamen Kampf gegen Rassismus und Homophobie auf
Alle Jahre wieder. Christopher Street Days haben sich in den letzten Jahren zur Routine entwickelt. Von ein paar Ewiggestrigen abgesehen, die die Demonstrationen verurteilen oder beleidigen müssen, wie jüngst ein CDU-Landtagsabgeordneter aus Sachsen, der die CSD-Teilnehmer am liebsten gleich inhaftieren würde und das auch kund tut, haben sich die Veranstaltungen zur wichtigen Meinungsäußerung, aber nicht mehr zum Objekt des Aneckens verändert.
Einen ‚Skandal‘ gab es dann doch noch. Der Berliner CSD e.V. verleiht im Rahmen des CSDs Berlin den Zivilcourage Preis für gezeigte Zivilcourage und das Eintreten für Minderheiten.Dieses Jahr war neben dem Sexualwissenschaftler Martin Dannecker die Philosophin Judith Butler die zu Ehrende. Butler (oder ‚Frau Butler‘ wie sie die TAZ konsequent titelte) steht für das Aufbrechen der Geschlechtergrenzen. Mit dem Buch ‚Gender Trouble‘ (auf Deutsch als ‚Das Unbehagen der Geschlechter‘ erschienen) begründete die amerikanische Wissenschaftlerin maßgeblich die Queer Theory als Wissenschaftszweig. Aber auch zu Themen wie Krieg und Frieden weiß sie sich zu äußern, wie in ihrem unlängst erschienen Buch ‚Raster des Krieges‘.
Eben jene Judith Butler lehnte nun zur völligen Überraschung des Berliner CSD e.V. den ihr zugedachten Preis ab.Die Begründung die sie verlas birgt Sprengstoff. Der CSD sei zu kommerziell und widme sich damit nicht mehr den wirklich diskriminierten; die Veranstalter und deren Umfeld agierten rassistisch, so Butler. Stattdessen warb sie dafür Gruppen wie Gladt (Gays and Lesbians aus der Türkei), SUSPECT, ReachOut und Les Migras den Preis für Zivilcourage zu geben.In ihrer Rede auf der Bühne am Brandenburger Tor unterstrich sie dabei immer wieder, dass der Kampf gegen Homophobie nicht isoliert zu betrachten ist und dass die Rechte von Frauen, Lesben und Schwulen ohne eine klar antirassistische Ausrichtung der Arbeit nicht durchsetzbar sind.
Erwartungsgemäß wies der Vorstand des CSD e.V. die Rassismusvorwürfe weit von sich und warf Butler Unwissenheit vor. Der Berliner CSD e.V. sei nicht für andere Gruppierungen verantwortlich und andere Gruppen hätten auch keinen besonderen Einfluss auf den Christopher Street Day in Berlin. In die gleiche Kerbe schlägt der Berliner Landesverband der Arbeitsgemeinschaft queer der Linkspartei, die zwar eine Debatte gut findet, aber beim Berliner CSD e.V. keinen Rassismus feststellen kann. Thomas Birk, schwulenpolitischer Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, bezeichnete die Kritik Butlers ‚Affront‘, der fatal sei für das Image der Stadt.
Das ist eine gute Gelegenheit, mal nachzuhaken.
Das Problem ist dabei weniger ein offen rassistisches Bild, wie es von Neonazis zu erwarten ist, bei den Berliner CSD Verantwortlichen (bzw. der schwulen Szene). Vielmehr ist ein mehr oder weniger versteckter Rassismus zu entdecken, der von vielen nicht als solcher wahrgenommen wird. Ein Beispiel dafür sind die Forderungen des Berliner CSDs 2010. Dort heißt es in Punkt 5 „Jeder Teil unserer Community muss jede und jeden anderen, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion, Alter, sexueller Identität, Behinderung, sozialem Status und demokratischer Prägung genauso respektieren, wie wir von allen fordern, dass uns diese Wertschätzung ebenso entgegengebracht wird.“ Klingt auf den ersten Blick logisch und erinnert an die entsprechende Passage im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Auf den zweiten Blick fällt auf, was nicht aus dem AGG übernommen wurde: Das Attribut der ethnischen Herkunft fehlt explizit, dafür ist aber ein schwammiges „demokratische Prägung“ aufgenommen wurden. Dass sich die Forderung auf Menschen, die nicht sofort als Deutsche zu erkennen sind richtet, scheint klar. Implizit wird damit allen, die nicht dem schwulen Normalitätsbegriff unterliegen, potentiell ein Mangel an demokratischer Fähigkeit unterstellt. Außerdem wird aufgrund der Wortwahl als Selbstverständlichkeit und nicht als Forderung, eindeutig davon ausgegangen, dass die Community selbstverständlich Respekt gegenüber allen zeige. Respekt wird nur von anderen eingefordert.
Aber der Rassismus wird an anderen Stellen deutlicher, selbst vor dem Begriff ‚arabischen Mob‘ schreckte man nicht zurück. Hier drei Beispiele:
„Einigkeit und Recht und Freiheit“ hieß das ursprüngliche Motto der Parade 2006 in bewusster Anspielung auf die National-Hymne. Die angebliche Provokation des Establishments, so der Berliner CSD Verein, war nichts anderes als eine Anbiederung an den Mainstream und den damit verbundenen Neokonservativismus und Patriotismus, eine klare Abgrenzung an Migrant_innen und andere Minderheiten, die nicht unters nationalistische Dach wollen. Irgendwann einigte man sich auf den Kompromiss „Verschiedenheit und Recht und Freiheit“.
Dann ist ja auch noch der TAZ-Korrespondent Jan Feddersen, laut eigener Aussage 2005 bis 2009 politischer Koordinator des Berliner CSD (und laut CSD-Homepage immer noch). Er kann es nicht nachvollziehen, dass der Berliner CSD rassistisch sein solle. Dabei machte er selber in vielen Kommentarenpauschal Jugendliche islamischer Religion als ‚öffentliche Gefahr‘ und zog auch gerne mal über den ‚arabischen Mob‘ her, so 2003 im offiziellen CSD-Programmheft .
Ein weiterer Punkt, der nicht vernachlässigt werden kann und darf (auch wenn es der CSD e.V. gern möchte) sind die fortdauernd angeheizten Stimmungsmachen vor allem in Berlin-Schöneberg. Da werden Panikszenarien heraufbeschworen, das man sich in seinem Kiez nicht mehr frei bewegen könne und Angst vor ‚ausländisch aussehenden Menschen‘ haben müsse. Angeheizt wurde und wird diese Stimmung durch Maneo, die schwule Opferberatung, die in ihren Jahresberichten mehrfach eine ‚Ausländergewalt‘ herbeifabulierte – die eigenen Zahlen belegten diese These nicht, vgl. ROZ Juli 2007 – und damit wesentlich zu einer rassistischen Grundstimmung beitrug.
Positiv ist: Eine Diskussion scheint in Gang gekommen zu sein. Wichtig ist es jetzt, auf allen Ebenen entsprechend weiterzuarbeiten.
Kommentare 3
Interessant finde ich, dass sich der Berliner Mainstream CSD (es gibt ja noch einen anderen) nicht explizit gegen den Vorwurf der Kommerzialisierung wendet. Denn den auszuräumen dürfte schwierig werden. Wo sonst wird man von Paradenwagen mit Niveapröbchen beworfen. Es fehlt an klaren politischen Forderungen. Was bleibt ist ein schrilles Fest, das sich als politische Demonstration verkauft, aber nichts weiter ist, als die in Berlin verbliebene Love Parade. Nichts gegen schwullesbische Feiern, aber dann sollen sie doch aufhören es als politische Demonstration zu verkaufen.
Ich finde es etwas spitzfindig daran herumzumäkeln, dass nicht explizit ethnische Herkunft dort stand. Der weiter gefasste Begriff Herkunft gefällt auch mir besser und beinhaltet für mich auch ethnisch, aber eben auch soziale Herkunft, was für gewisse schwule Kreise manchmal leider ein Problem ist. Was allerdings Maneo da betreibt ist furchtbar und kleingeistig, funktioniert nur mit eingeschränkter Sichtweise. Ähnlich der dämlichen These dass Migranten öfter Kriminell werden. Die Übergriffe auf Schwule in Schöneberg sind Realität, sie werden tatsächlich überwiegend von arabischstämmigen männlichenJugendlichen begangen. Ich selbst würde es mir in mancher Ecke Neuköllns auch zweimal überlegen ob ich mit meinem Freund Hand in Hand über die Strasse laufe. Soweit der Tellerrand. Aber ein Schuh wird erst daraus wenn ich über diesen Tellerand hinausschaue. In Marzahn würde ich gar nicht auf den Gedanken kommen Hand in Hand mit meinem Freund über die Strasse zu gehen. Marzahn ist da Platzhalter, ich könnte die Liste ewig fortführen mit Teilen von Lichtenberg, Köpenik, etc. Die häufigsten rechtsradikalen Übergriffe gibt es übrigens in Friedrichshain in Berlin. Übergriffe auf Schwule sind doch keine ethnische, sondern eine Bildungsfrage. Und selbst diese These wackelt mittlerweile. Es gibt Umfragen an Gymnasien die auch hier einen deutlichen Anstieg von Homophobie vermerken. In der westdeutschen Kleinstadt in der ich aufwuchs habe ich von homophoben Beschimpfungen bis zu Gewalt alles erlebt. Es waren deutsche Mitschüler, die mich auf dem Schulhof gemobbt haben, es waren deutsche Skins, die mich nach der Disko zu dritt verprügelt haben und es war eine deutsche Menschenmenge, die nicht eingriff. Judith Butler hat mit ihrem Vorwurf leider recht. Die Haltung von Maneo ist in der schwulen Szene relativ verbreitet und meines Wissens präsentiert sich auch Maneo auf dem CSD. Ich finde man darf und soll die Übergriffe in Schöneberg durchaus ansprechen und thematiesieren. Man soll sie aber auch in den richtigen Zusammenhang setzen und nicht vergessen, dass es in Deutschland sehr deutsche No Go Areas für Schwule gibt.
By the way, gibt es eigentlich auch Informationen über homophobe Gewalt gegen Lesben?
Ich habe mal versucht mir meine eigene Frage am Schluß meines Kommentars selber zu beantworten. Äußesrt schwierige Angelegenheit. Es gibt einiges Material zu Gewalt gegen Schwule, einige Seiten beschäftigen sich mit Gewalt gegen Lesben und Schwule um dann im Inhalt fast ausschließlich über Antischwule Gewalt zu reden. Auf der Suche nach Antilesbischer Gewalt werde ich kaum fündig. das Thema Gewalt in lesbischen Beziehungen wird allerdings ausführlich besprochen. Einen kleinen Einblick ins Thema mit dem Zugeständnis, dass man eigentlich so gut wie nichts greifbares Statistisches hat gibt ein Artikel in der Siegessäule. Interessant hier auch das Argument gegen die These von Maneo.
www.siegessaeule.de/specials/wehrt-euch-gewalt-gegen-lesben-schwule-und-trans/worueber-reden-wir-eigentlich/teil-ii.html
Bei meiner weiteren Suche erinnerte ich mich an die Zeitschrift Gigi, der einzigen sexualpolitischen Zeitschrift Deutschlands, die ich lange Zeit relativ regelmäßig las. Dabei durfte ich dann feststellen, dass Gigi im März dieses Jahres eingestellt wurde. Es fehlt an journalistischem Nachwuchs. Leider gibt es auf Gigi keine Archivsuchmaschine und nicht alle Artikel sind auch online, so dass eine Suche sich schwierig gestaltet.
Der Bundesverband der Frauenberatungsstellen hat auch nicht viel zu berichten. Die erwähnte Erhebung ist von 1999.
www.frauen-gegen-gewalt.de/index.php?dok_id=43
Und welchen Zeitungsartikel ich in den Archiven auch finde, immer wieder wird Maneo zitiert und als Beleg herangeführt. Deshalb ist es besonders schade, dass Maneo es nicht schafft über den Szenetellerrand hinaus zu gucken, und so ein verschobenes Bild über die Täter entsteht.
Wer eventuell links zu Gewalt gegen Lesben oder einen Link zu einer ausgewogenen Untersuchung o.ä. zu Antischwullesbischer Gewalt hat, ich würde mich darüber freuen.
da wäre ich mir nicht so sicher, eindeutig ist das eher nicht und auffällig ist es ja schon, das praktisch das Antidiskriminierungsgesetz zitiert wird, aber an genau 2 Punkten davon abgewichen wird...