Archäologie contra Journalismus

Archäologie Israel. Warum ein tagesschau.de Videoblog die Unbedarftheit des Redaktionsleiters in Tel Aviv illustriert. ARD-Studio Tel Aviv, Studioleiter Richard C. Schneider und König David.

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Archäologie ist eine politische Wissenschaft. Sie ist es schon immer gewesen. In Europa wurde sie unter anderen zur Legitimation des „Keltentums“, des „Germanentums“ und des „Slawentums“ herangezogen. Neben sehr vielen großartigen Unterstützern, deren Begeisterung das Wissen der Menschheit über die Vergangenheit erweitern sollte, ließen sich Archäologen auch mit dem personifiziertem Bösen in Gestalt von Hitler, Stalin und Mao Zedong ein. Dabei ist die ideologische Unterfütterung einer bestialischen Idee, genauso schlimm, wie die Entwicklung einer Vernichtungswaffe, weil sie im Extremfall ein und dasselbe Ergebnis bedeuten.

Die Archäologie ist auch heute noch eine politische Wissenschaft. Hillary Clinton bewies das eindrucksvoll als sie enthusiastisch auf das amerikanische Erbe der Wikinger hinwies und die Indianer schlicht nicht erwähnte. China beendet jede Ausgrabung, die einen übermäßigen Einfluss von Außen in der Vergangenheit nachweist sofort. Und dann wäre da Israel.

Beim Tal von Elah, in der Ruinenstätte Khirbet Qeiyafahat, hat das Team des israelischen Archäologen Jossi Garfinkel einen interessanten Fund gemacht, einen Hausschrein den er für eine Nachbildung des Tempels König Davids hält. In dieser Endeckung, sollte sie zutreffen, steckt Brisanz, denn damit wäre bewiesen: König David gab es tatsächlich, ein Umstand, der keineswegs eine wissenschaftliche Tatsache ist, und sein Königreich war größer als bisher angenommen. Garfinkels archäologische Beweiskette ist dünn, um nicht zu sagen brüchig, aber diskutabel, indiskutabel dagegen ist der Beitrag an sich, zeigt er doch ein sehr interessantes journalistisches Selbstverständnis.

Richard C. Schneider, Leiter des ARD-Studio Tel Aviv, hat den Beitrag für tagesschau.de produziert. Den interessantesten Teil findet der Zuschauer am Schluss, wo sich zeigt, dass die junge Archäologin, Katharina Streit, wesentlich verantwortungsvoller mit ihren Forschungsergebnissen umgeht als der Journalist. Der behauptet kurzerhand als Journalist dürfe er alles sagen, auch dass an dieser Stelle einmal König David gestanden habe, egal was sie, die Archäologin, behauptet. Herr Schneider hat da etwas nicht verstanden: Ein Archäologe behauptet nicht! Er gräbt nicht aus um zu behaupten, sondern um zu wissen! Es sei Herrn Schneider unbenommen die ihm präsentierten Ergebnisse ungeprüft zu übernehmen. Niemand verlangt von einem Studioleiter Recherchefähigkeiten oder archäologisches Grundwissen in einem Beitrag über diese so einfache wissenschaftliche Disziplin.

Obwohl Herr Schneider jovial vom politisch kontaminierten Boden spricht, sollte man ihn vielleicht einmal daran erinnern um welche Art der Kontamination es geht. In Israel ist die Archäologie Werkzeug des politischen Kampfes. Sie wird instrumentalisiert um zu beweisen, dass im Gebiet des heutigen Israel schon immer Menschen mit einem jüdischen Glauben gelebt hätten. Man versucht eine Beweiskette zu konstruieren, die Vertreibungen und Besatzungspolitik rechtfertigt. Vielleicht sollte ihm jemand erklären, dass Ergebnisse, welche eine frühe jüdische Besiedlung nicht stützen, vom israelischen Wissenschaftsbetrieb unterdrückt und ignoriert werden.

Die israelische Archäologie hat dabei mächtige und ebenso eigensüchtige Verbündete, nämlich die christliche, wie die biblische Archäologie. In ihrer orthodoxen Ausrichtung versuchen beide Disziplinen nachzuweisen, dass alle Geschichten der Bibel wahr sind und sich archäologisch beweisen lassen. Auch die Kreationisten mischen mit, denn wenn die Bibel stimmt, dann gab es nie eine Evolution und so weiter und so fort.

Die erklärende Archäologin Katharina Streit ist jung und nervös. Umso größere Bewunderung verdient sie für ihren klaren Standpunkt und dafür, sich nicht von den Fragen des Journalisten einwickeln zu lassen. Er muss am Ende selbst behaupten, was er gerne von ihr hören wollte, dabei offenbart er seine erstaunliche Einstellung.

Natürlich wird man abwiegeln und fragen: Was regt der sich denn so auf? Es ist doch nur ein Videoblog?! Mag sein, aber der eines Öffentlich-rechtlichen Senders von dessen Studioleiter in Tel Aviv! Ein Videoblog, der jedes Vorurteil von Archäologen über die Zusammenarbeit mit Journalisten bestätigt! Ein Professor der Archäologie pflegte stets zu sagen: „Wähle deine Worte mit bedacht, man könnte dich ernst nehmen!“ Das gilt auch für Journalisten!

http://www.tagesschau.de/videoblog/zwischen_mittelmeer_und_jordan/zwischen-mittelmeer-und-jordan100.html

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Geschrieben von

visionsbar

"Ich lasse meine Mitmenschen zur Hölle fahren, wie es ihnen beliebt!" Robert Louis Stevenson

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