Zurück zur Schule wie gehabt? Nein, danke!

After Homeschooling Die aktuelle Chaos-Phase mit Hopplahopp-Homeschooling stresst Eltern, Schüler und Lehrer. Dabei könnte sie der Beginn einer neuen Bildungs-Ära sein. Mal groß gedacht.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Homeschooling nervt, ist klar. Aber wir Eltern dürfen über den aktuellen Frust nicht völlig verdrängen, wie sehr uns die Vor-Corona-Schule genervt hat.

Zur Erinnerung:

Da musste man die Kinder zu einer Zeit aus dem Bett treiben, zu der man selbst noch nicht wirklich bei Sinnen war, um sie dann mit mehreren Kilogramm Gewicht beladen in einen Unterricht zu verabschieden, aus dem sie nicht zwingend klüger zurück nach Hause kamen. Sofern der Unterricht stattfand. Denn aufgrund der fantasievollen Berechnungen unserer Kultusministerien passt ja bekanntlich die Zahl der Lehrer nicht zur Zahl der Schüler.

Die Schule vor Corona, das war eine Mischung aus Phasen des Zeit-Totschlagens (teilweise selbst in der Unterstufe ohne Beaufsichtigung, wenn nur manchmal der Lehrer aus der Nachbarklasse einen Blick ins Zimmer warf, ob sich auch niemand verletzte) und Phasen mit extrem hoher Drehzahl (in denen den Schülern zwischen den Prüfungen kaum Zeit zum Verschnaufen blieb).

In der Schule vor Corona saßen zu viele Schüler in einem zu kleinen Klassenzimmer, das unzureichend ausgestattet war und die Qualität des Unterrichts hing, als wäre das ein Naturgesetz, im hohen Maß „vom jeweiligen Lehrer“ ab.

Und, ehrlich gesagt, sehen wir jetzt, da wir alle gezwungen sind, unsere Kinder selbst zu unterrichten, natürlich, dass unsere Brut tatsächlich oft unaufmerksam, schlecht vorbereitet und wenig motiviert ist.

Wir sehen jetzt aber auch, dass unsere Kinder durchaus hin und wieder Recht hatten, wenn sie sich darüber beklagten, dass der Mathe-Lehrer schlecht erkläre, die Arbeitsblätter der Bio-Lehrerin unübersichtlich seien, der Deutsch-Lehrer sich gar nicht für seine Schüler interessiere und der Latein-Lehrer leider furchtbar langweilig sei.

Das Homeschooling zeigt uns außerdem in aller niederschmetternden Deutlichkeit, wie wenig digital unsere Schulen sind. Wie mangelhaft die technischen Voraussetzungen und wie unzureichend die Kenntnisse der Lehrer, die damit auch erschreckend weit entfernt sind von den Lebenswelten der ihnen anvertrauten Kinder.

Schule vor Corona, die war in nicht unerheblichem Maß eine Job-Maschine für Nachhilfelehrer, die - privat finanziert - in der Freizeit die systembedingt klaffenden Lücken schließen sollten. Denn jeder, der Schüler zu Hause hat, weiß: Der Stoff wird zu eilig durchgezogen, es wird zu wenig vertieft, zu wenig wiederholt. Statt das Einmaleins so lange zu üben, bis es wirklich fest im Kopf verankert ist, wird in der Grundschule Zeit fürEnglisch-Unterricht verschwendet, der den Englisch-Lehrern in den weiterführenden Schulen ein Graus ist, weil sie den Kindern erst einmal die fehlerhafte Aussprache wieder abgewöhnen müssen.

All das und noch viel mehr: Das Ergebnis ist, dass Lehrer und Schüler zunehmend frustriert sind, viele von ihnen werden sogar krank. Gleichzeitig beklagen sich Ausbilder,Universitäten und Unternehmen, dass unser System ihnen junge Leute liefert, die immer weniger können.

Hat irgendjemand irgendwas davon?

Keine Frage, Homeschooling, wie es in diesen Wochen stattfindet, unvorbereitet, undurchdacht, ohne Konzept, ohne Knowhow - das ist ätzend. Und für nicht wenige Kinder ist es bereits jetzt ein Desaster, weil sie noch weiter abgehängt und benachteiligt werden, als ohnehin schon.

Aber wo wir jetzt nun schon einmal an diesen Punkt gelangt sind, dass wir Eltern, die wir eben noch ärztliche Atteste vorlegen mussten, wenn wir unser Kind krank melden wollten, plötzlich etwas tun sollen, wofür wir vor wenigen Wochen noch Besuch von der Polizei bekommen hätten: nämlich unsere Kinder daheim behalten und in den eigenen vier Wänden unterrichten. Wo wir also nun schon einmal da sind, können wir doch vielleicht auch mal kurz darüber nachdenken, wo wir eigentlich gerne hinwollen.

Wollen wir wirklich, dass die Schulen demnächst wieder aufsperren und alles ist wie gehabt? Oder wäre es nicht vielmehr erstrebenswert, dass Schule künftig anders läuft?

Nur so ein paar Ideen:

Wie wäre es, wenn wir endlich so eine Art Gleitzeit einführen würden? Die Schüler, die morgens gut aus dem Bett kommen oder aufgrund von familiären Notwendigkeiten ohnehin bald aufstehen müssen, können zur gewohnten Zeit in ihrer Klasse aufschlagen. Die aber, die mit einer Stunde länger Schlaf deutlich aufgeweckter am Unterricht teilnehmen können, dürfen erst um 9.00 Uhr starten.

Wie wäre es, wenn wir ein echtes digitales Unterrichtsangebot hätten, das die Schüler flexibel nutzen könnten? Gerade gibt es durchaus auch Kinder, die das Lernen in Ruhe zu Hause als angenehm empfinden und Spaß daran haben, sich neuen Stoff selbst anzueignen. Ist unser starres Konzept des Präsenz-Unterrichts wirklich noch so zeitgemäß, das wir es nicht ein klein wenig aufweichen können? Wenn die Schüler z.B. Stunden-Kontingente hätten, mit denen sie ein wenig jonglieren und selbst entscheiden dürften, welche Einheiten sie im Klassen- und welche sie in ihrem eigenen Zimmer absolvieren? Das hätte den positiven Nebeneffekt, dass automatisch etwas weniger Schüler aufeinandersäßen und die Lehrer nicht mehr ständig damit beschäftigt wären, den Lärmpegel in Monsterklassen zu senken.

Wie wäre es, wenn dieses digitale Unterrichtsangebot zur Folge hätte, dass Schüler in einer Art Mediathek jederzeit auf vergangene Stunden zurückgreifen könnten, um den Stoff zu wiederholen, beispielsweise, weil sie krank waren oder noch nicht alles verstanden hatten? Und wäre es völlig ausgeschlossen, dass ein solches Angebot dazu führt, dass Schüler, die fitter sind, schon einmal weiterlernen? Oder sich mit einem Thema beschäftigen, das gerade nicht auf ihrem Lehrplan steht, sie aber persönlich interessiert?

Wie wäre es, wenn die überfrachteten Lehrpläne eingedampft würden und endlich mehr Zeit bliebe für mehr fächerübergreifende Projektarbeit, selbstständiges Arbeiten und Zusammenarbeit in Kleingruppen? Zeit für wechselnde Lernorte, Praktika in Unternehmen, Vereinen und NPOs, Unterricht im Freien und mehr Bewegung?

Wie wäre es, wenn wir zumindest teilweise zu einem (gern auch jahrgangsgemischten) Kurs-System übergehen würden, das auf Talent-Förderung abzielt? Etwas weniger Pflicht und deutlich mehr Kür? Das würde die Kultur in unseren Schulen massiv verändern und den Schülern mehr Erfolgserlebnisse bescheren. Weg von „du sollst“, hin zu „ich kann“.

Wie wäre es, wenn wir nicht nur verstärkt digitale Technik, sondern auch das digitale Mindset nutzen würden? Das beinhaltet: Förderung von Kreativität, einer innovativen Fehlerkultur und lösungsorientiertem Denken ebenso wie von sozialen Kompetenzen und kooperativem Arbeiten. Lehrer begleiten Prozesse, Schüler helfen sich gegenseitig. Was funktioniert, wird intensiviert.

Wie wäre es, wenn wir außerdem Druck rausnehmen würden? Es gibt Konzerne, die gerade 4-Tage-Wochen simulieren, Erwachsene machen sich zunehmend Gedanken über ihre „Work-Life-Balance“, aber Kindern muten wir 40-Stunden-Wochen, Prüfungsterror plus Freizeit-Stress zu. Warum fangen wir nicht an, die Zukunft dort zu gestalten, wo die Zukunft sitzt: In den Schulen?

Natürlich geht so etwas nicht von heute auf morgen. Aber wir hätten schon gestern damit anfangen müssen, also stellt sich die Frage, ob wir die aktuelle Chaos-Phase nicht als Beginn einer neuen Bildungs-Ära nehmen. Aufhören, das alte, marode System zu reparieren und gleich am zukunftsfähigen Modell weiterbasteln. Dazu gehört zwingend, dass wir alle Kinder, auch die weniger privilegierten, mit den notwendigen Endgeräten ausstatten.150 Euro pro Nase genügen da selbstverständlich nicht, wie lachhaft das ist, weiß jeder, der ab und zu bei Mediamarkt einkauft. Aber wir nehmen ja gerade jede Menge Geld in die Hand, da sollten wir uns nicht scheuen, auch an die zu denken, die für den Fortbestand unserer Gesellschaft zwingend systemrelevant sind. Und das sind nun einmal die (Schul-)Kinder.

Immer wieder wird uns gerade gesagt, dass die Zeit nach Corona eine andere sein wird. Was die Schulen anbelangt, könnte das eine gute Nachricht sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden