Urlaub im Zeitalter der Reproduzierbarkeit

Erleichterung verschafft das Smartphone in vielerlei Hinsicht.

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Während mehr oder weniger unweigerlicher Besuche der Seebrücke eines außerordentlich touristischen Ortes auf einer ebenso außerordentlich touristischen Insel in der Ostsee, fielen mir unverhältnismäßig viele Rentner auf Mofas (reframe: E-Bikes) auf, die mit Smartphone im Anschlag alles fotografierten, was nicht schnell genug dem Auslöser entkam.

Am darauf folgenden Tag besuchten wir den Kunstsalon des Ortes, der sich standhaft zwischen Backfisch und Strandkorbvermietungen hielt und kamen mit dem einheimischen Galeristen ins Gespräch. In den folgenden drei Stunden sprachen wir auch über die fotowütigen Rentner, denn wie sich herausstellte, hatte jeder einzelne von uns dieses Phänomen bemerkt. Der Galerist gab lachend als mögliche Ursache an, dass sie so froh darüber waren, diese Geräte endlich bedienen zu können, dass sie folglich immerzu benutzt wurden. Meine Begleitung brachte hier Žižek ins Spiel, den wir am vorigen Abend gelesen hatten. Der Galerist sah sie fragend an:

Žižek erzählt häufig eine Anekdote, wenn er erklärt, was er unter Interpassivität versteht. Als er sich einen Videorekorder angeschafft hatte, konnte er endlich Filme aufnehmen. Die Folge aber war nicht, dass er mehr Filme gesehen hätte, sondern im Gegenteil: er sah weniger. Denn endlich konnte er während der Rekorder lief, etwas Sinnvolles machen bzw. wenn er etwas tat, den Rekorder laufen lassen, anstatt den Film sehen zu müssen. Er beschreibt es so, dass der Rekorder den Film an seiner statt sieht ( - und sich merkt!). Jetzt konnte er also die Filme sehen, ohne sie sich anschauen zu müssen – der Rekorder nahm ihm seine Passivität ab. Übertragen auf die Smartphonerentner hieße das also: sie fotografieren alles, um sich nichts ansehen zu müssen.

Abends und vor allem den nächsten Morgen – als ich im Garten lag und den Hummeln beim Brummen zusah – dachte ich noch einmal darüber nach. Die Erklärung erschien mir nicht falsch, aber irgendwie ungenügend. Dass man begeistert ist über die Beherrschung dieser Technik, die einen als modern (im alltäglichen Sinne) darstellt und dass unendlich fotografieren davon entbindet, die Motive sehen und sich merken zu müssen, da einem das Smartphone dies abnimmt - das mögen Gründe sein. Nicht zuletzt ist auch die Gebrauchsschwelle eine niedrige, was die Benutzung umso attraktiver, aber auch unwillkürlicher macht. Immer in der Tasche und keine Limitierung durch eine Filmrolle mit 36 Bildern, die dazu zwingt, sich sogar noch genauer zu überlegen, was man fotografiert. Und doch ist keine Fotos machen noch immer einfacher. Weshalb also wurden Biergartentisch, die Speisekarte, Fischbrötchen (von drei Seiten) und der Räucherstand fotografiert? Was war am Fahrradständer so bemerkens- und merkenswert? Nicht nur, dass es immer noch eine Schwelle zwischen Fotografieren und Nicht-Fotografieren zu erklimmen gab, es schien sogar eine ganze Menge Arbeit zu sein, die hier aufgewandt wurde, um nicht nicht-zu-fotografieren.

Als einer der Rentner sein Smartphone fallen ließ, schrie er auf, hob es schnell vom Boden und streichelte es abwesend. Die Verbindung ist eindeutig. Nicht nur reagieren wir auf Gefahren, die dem Smartphone gelten so, als galten sie uns, das Smartphone stellt auch einen wesentlichen Teil unseres (auch physischen) Selbst insofern dar, wie es die erweiternde Funktion eines zusätzlichen Sinnes- und Kommunikationsapparates innehat.

Das Besondere ist hier, dass es sich um einen zwar physischen, aber doch anorganischen Teil des Selbst handelt, was damit immer das Potential birgt, uns zu überdauern. Vertraut man seinem Gedächtnis immer weniger und tun einem die Knochen immer häufiger weh, so mag das ständige Fotografieren als Versuch gedeutet werden, der Endlichkeit zu entkommen. Nicht jeder kann es sich leisten, sein Leben in Stein meißeln zu lassen. Das Smartphone vollzieht das Leben parallel (und gefiltert) zu einem mit und Eindrücke als Teile des Selbst werden damit digitalisiert im Smartphone verdinglicht. Und schließlich bleiben wir zurück, in der Hoffnung, dass unsere Bilder und Videos nach unserem Tod aus der Cloud auf die Hinterbliebenen hinunterlächeln werden.

Der Autor dieses Artikels besitzt kein Smartphone.

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Geschrieben von

Julius

Bloß Student and so on and so on...

Julius

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