Genug Feminismus – mehr Feminismus?

Viele Fragen: Genügt zur Definition einer Feministin ein Akt der Besetzung - das Einnehmen einer Position in einer klassischen Männerdomäne durch eine Frau?

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Lässt sich Feminismus über Quoten und Statistiken machen? Bietet die Machtfrage den entscheidenden Schlüssel? Ist Feminismus über eine Erhöhung weiblicher Anteile an Kuchendiagrammen bei der Verteilung des patriarchalen Kuchens zu realisieren? Wie viele Häppchen sind notwendig für eine näherungsweise Erreichung feministischer Zielsetzungen oder versteckt sich hinter der Näherung doch nur eine häppchenweise Abspeisung? Fragen am Anfang eines Artikels und keine Antwort auf die üblichen W-Fragen.

Kann ein Blick zurück auf die Wurzeln des modernen Feminismus etwas über die Ziele und ihre Erreichung aussagen? Am Anfang der feministischen Denkbewegung der Moderne - standen gesellschaftliche Analysen und Entwürfe. Mutige Utopien und Visionen bildeten den Kern der Bewegung, prägnant auf den Punkt gebracht in der Losung: "Nie mehr Krieg, nie mehr nationales Gegeneinander, Liebe für alle." Vor dieser Hintergrundfolie können weder die Eröffnung militärischer Laufbahnen für Frauen noch das erfolgreiche Erklimmen von Karriereleitern durch weibliche Führungskräfte als echte Erfolge punkten. Und weiter: Gemessen an diesen Zielen lassen sich Machtzugewinne innerhalb eines Konkurrenzsystems weder für Frauen noch für Männer als Erfolge werten, da sie einen Rückschritt des Menschen in seiner Freiheitsentwicklung bedeuten. Auch Männer können als Feministen eklatant scheitern. Der Feminismus seiner Geburtsstunde in der Moderne inkludierte Frauen und Männer, stellte den Menschen ins Zentrum. Wo es heute vor allem um die Machtfrage zu gehen scheint, ging es damals um Freiheit, wo heute Durchsetzung im Wettbewerb und Aufstieg die Messlatte festlegen, ging es ehedem um Solidarität.

Frauen gegen Männer, ein verbreitetes Missverständnis von Feminismus, und sogar Frauen gegen Frauen - im Zeichen des Feindbilds der emanzipierten Frau gegen die unemanzipierte Frau, wie es zum Beispiel Bascha Mika in ihrem Buch "Die Feigheit der Frauen" proklamierte, ist längst kein Tabu mehr. Eine doppelte Verschiebung und die Konstruktion eines neuen Dagegen und neuen Wofür schuf ein anderes feministisches Bild, das die Solidarität sukzessive bröckeln ließ. Aus einer Bewegung, die Feindbilder dekonstruieren wollte, wurde eine Bewegung des Gegeneinanders, im Kreuzfeuer der Kritik stehen nicht mehr Herrschaftsstrukturen und Hierarchien, sondern fehlende Mitwirkungsmöglichkeiten innerhalb der vormals kritisierten patriarchalen Strukturen. Der Begriff der Freiheit wurde gegen den Begriff der Macht und Führung eingetauscht. Keine kleine Sache, wenn man/frau bedenkt, dass zwischenzeitlich selbst in den Reihen der Grünen lieber von einem "neuen Verständnis von Führung" als von Basisdemokratie die Rede ist. Sie warfen auf ihrem Anpassungskurs in Richtung Macht nicht nur ihre radikal ökologischen und pazifistischen Forderungen zugunsten eines fragwürdigen Pragmatismus über Board, sondern verloren auch den Anschluss zum Ökofeminismus, der zwischen patriarchalen Unterdrückungsstrukturen und der Ausbeutung der Natur einen deutlichen Zusammenhang erkennt. Die Grünen verloren sich selbst, indem sie ihren Blick verengten. Die soziale und ökologische Frage geht Hand in Hand. Was die Natur zerstört, zerstört auch uns Menschen. Während die junge Spitze der Grünen weder Macht und Führung noch Gewalt scheuen, sich um eine bessere Grundausstattung der Bundeswehr den Kopf zerbrechen und Auslandseinsätzen zustimmend gegenüberstehen, überhaupt Krieg längst auch grün geworden ist, wächst fernab von den parlamentarischen Institutionen der Traum vom Selbstmachen, der Traum von der Erreichung des Ziels eines Lebens für alle Menschen ohne Ausbeutung, Diskriminierung, Hunger und Krieg, einer Gesellschaft, in der basisdemokratische Entscheidungen getroffen werden über die Arbeit und das gesellschaftliche Zusammenleben. Jutta Ditfurth sieht uns bei der Verwirklichung dieses Traums selbst in der Verantwortung.

Politik nicht als Objekt des Berichterstattungswesens, nicht als Konsumobjekt allabendlicher Nachrichtenrezeption und morgendlicher Zeitungslektüre? Eine Politik der Mitgestaltung - wie wäre es damit? Und welche neue Rolle hätten die Medien?

Vielleicht: Mehr Fragen, mehr Moderation?

Und was hat das mit Feminismus zu tun? Mit einem verkürzten bürgerlichen Feminismus sehr wenig. Sehr viel aber mit dem sozialistischen Feminismus der beginnenden Moderne:1

Feminismus - und es ging von Anbeginn um Kritik an patriarchalen, ausbeuterischen und militaristischen Verhältnissen. Den Ursprüngen nach war er eine Bewegung von Frauen und Männern, die gemeinsam für eine Welt der Gleichheit kämpften. Es war ein Mann, Charles Fourier, der sich Seite an Seite mit Frauen und Männern für die Gleichstellung von Mann und Frau einsetzte, und damit entscheidend den modernen Feminismus mit auf den Weg brachte. Es ging um Egalité, um ein Ausbrechen aus erdrückenden fremdbestimmten Verhältnissen. Die Ketten bürgerlicher Ehen, die Beschränkung der Frau auf Reproduktionstätigkeiten sollten gesprengt und aufgebrochen werden. Und es war eine umfassende Bewegung. Angestrebt wurde eine Öffnung der Wissenschaften, Politik, Ökonomie, Kultur und Kunst. Es waren Männer wie Robert Owen (1771-1858) mit seiner Kommune, die gleichberechtigte Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern und gleichberechtigte gesellschaftliche und politische Beteiligung und Gestaltung anstrebten. Es ging und geht um gesellschaftliche Entwürfe. Es waren Frauen wie Hubertine Auclert, Désirée Véret, Flora Tristan, Mary Wollstonecraft - Visionär*innen einer gleichberechtigten Gesellschaft, die gegen althergebrachte weibliche Rollenzuschreibungen aufbegehrten und ein neues Bild des gesellschaftlichen Miteinanders kreierten. Mutige Frauen wie Olympe des Gouges, die die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1789) erweiterte um die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin und diese Vision mit dem Leben bezahlte. Sie wurde kurzerhand für schwachsinnig erklärt, als konterrevolutionär gebrandmarkt und durch die Guillotine hingerichtet. Den Frauen und Männern der Anfangszeit des Feminismus der Moderne ging es um Gleichheit, das Ende von Feindschaft und Konkurrenz.

Dem steht auch nicht entgegen, wenn einzelne Schriften wie einiger mittelalterlichen Feministen*innen stärker in Richtung Ungleichheit tendierten und gegen Männer anschrieben, indem sie Texte verfassten über die Vorzüglichkeit der Frau und weiblich dominierte Utopien entwarfen. In diesem Kontext darf eines nicht vergessen werden – mit diesen Texten schrieben Frauen gegen die bittere Realität männlicher Vorherrschaft an, indem sie entsprechende männliche Streitschriften, welche systematisch Frauen degradierten und Männer mit Vorzügen und Privilegien ausstatteten, spiegelnd kritisierten. Ziel ihrer Polemik war mehr als nur eine einfache Umkehr der Verhältnisse. Dieses Mehr scheint in vielen modernen Debatten verloren gegangen zu sein, wenn es nur noch um die Teilhabefrage an patriarchalen Strukturen geht.

Wer die Verhältnisse nur umkehrt, macht nichts besser. Und wer an ihnen nur partizipiert und mitprofitiert, macht dadurch auch nichts besser. Vor diesem Hintergrund wirken viele populär geführten feministischen Debatten als Scheindebatten.

Als vor einigen Jahren die Brüderle-Debatte ihren Lauf nahm wurde mit dem Argument gegen eine Trivialisierung selbst wiederum von Seiten einiger bürgerlicher „Feministinnen“ trivialisiert. Nach dem Motto, wer einem besoffenen Sexisten nicht selbstbestimmt Paroli bieten kann, darf sich nicht Feministin nennen. Damit zerbricht die Solidarität, die einst die Stärke der Bewegung ausmachte - eine Solidarität, die teilweise über Bewegungen wie "Aufschrei" wiederhergestellt werden konnte.

Teilweise, denn die Tendenz Feminismus sei individuell zu meistern ist vor allem im bürgerlichen Feminismus weiter anhaltend. Feminismus wird dadurch zu einer persönlichen Kompetenzfrage, sie zu meistern zum persönlichen Erfolg, sie nicht zu meistern zum persönlichen Versagen.

Feminismus dieser Fasson reduziert sich auf den privilegierten Wohlstands- und Luxusfeminismus der selfmade Frauen, die sich zwar als Feministinnen bezeichnen, Feminismus aber (teilweise oder ganz) negieren und Feminismus (teilweise oder ganz) für obsolet erklären, so als könnten sie individuell, weil es ihnen persönlich gut geht, den Schlussstrich einer Jahrhunderte langen Bewegung ziehen, die keineswegs abgeschlossen ist, was ein Blick in die Welt bestehender realer Unterdrückungsverhältnisse unmissverständlich vor Augen führt. Es bleibt die Frage -- wie man/frau es noch nennen soll, wenn reduziert wird auf Glasdeckenfeminismus, Porschefeminismus.

Man/frau könnte nun einwenden, es sei zu erwarten gewesen, dass diese und andere Debatten von Teilen der bürgerlichen Feministinnen missbraucht werden würden (und tatsächlich auch wurden), neu war und ist allerdings, dass von linker Seite Feminismus reduziert wird und in neoliberaler Manier Feminismus als abgeschlossenes Projekt ausgerufen wird -- und der reduktive Rest-Feminismus kein gesellschaftliches Thema mehr ist, sondern individualisiert wird, und damit zur persönlichen Erfolgsfrage wird. Bascha Mikas Buch über die "Feigheit der Frauen" setzte hierzu einen Anfang. Die Autorin stigmatisiert und weist Schuld zu - der Tenor des Buches - entweder Du schaffst es oder Du bist feige - vor allem aber will es nichts wissen von gesellschaftlichen Realitäten der Ungleichheit und Benachteiligung. Sie geht dabei so weit, dass sie bereits Mädchen im Alter von fünf Jahren Verantwortung dafür attestiert, sich mehrheitlich für die Farbe Rosa zu entscheiden, obwohl ihnen die Wahl zu anderen Farben doch offen stünde. Es ist ein hartes Stück, wenn eine preisgekrönte linke Journalistin und Autorin, die sich als Feministin definiert, in Verkennung soziologischer Studien über nach wie vor real existenter Benachteiligungsstrukturen Feminismus zur Schuldfrage der Frauen macht. Sie hat Feminismus als solidarische Bewegung damit stillschweigend für überflüssig erklärt und an seine Stelle den Tough- und Smartimperativ platziert: Du bist smart und tough, also hast Du kein Problem. Hast Du ein Problem, dann bist Du nicht tough and smart enough. Kurz: Dann bist Du das Problem.

Feminismus ist mehr als eine Brüderle-Debatte, mehr als eine Glasdeckendebatte, mehr als ein "Habt euch nicht so" und "Wenn Ihr alles richtigmacht, gibt es keine Schwierigkeiten". Feminismus wird nicht dadurch verwirklicht, dass einzelne ihn für bereits erledigt und zu einer persönlichen Restaufgabe erklären. Das verkennt gesellschaftliche Realitäten und zementiert Benachteiligungsstrukturen. Es verkennt vor allem die unangenehme Tatsache, dass auch Frauen, die im patriarchalen System aufsteigen, durchaus zu den Profiteur*innen von Ausbeutungsstrukturen gehören und auf dem Weg der Abwehr und des Verschließens der Augen vor realen Problemlagen eigenen Nutzen ziehen.

Dabei ist diese Abwehrstrategie keineswegs neu. Besagte Argumentation ist eine Haltung, die bürgerliche Feministen*innen bereits früh einsetzten. Sozialistische Feministen*innen wurden unter zur Hilfenahme dieser Sichtweise oft gezielt desavouiert und exkludiert - z. B. spielte sie mit beim Ausschluss im Rahmen der Gründungsveranstaltung des Bundes Deutscher Frauenvereine 1894 und bei unzähligen anderen bürgerlich geschlossenen Veranstaltungen -- das Stellen der gesellschaftlichen und sozialen Frage wurde so zum Exklusionsrisiko.

Für Clara Zetkin, Rosa Luxemburg, Jane Addams, Ottilie Baader usw. war Feminismus immer verbunden mit der sozialen und gesellschaftlichen Frage. Es ging und geht um die Beendigung von Ausbeutungsverhältnissen, die sowohl Männer als auch Frauen betreffen. Diese Frauen setzten sich nicht für ihre persönliche Karriere in nicht weiter hinterfragten Systemen ein, sondern hatten etwas wie Weitblick, kannten etwas wie Gesellschaftskritik, hatten Augen für Armut, setzten sich für andere ein – unermüdlich.

Die soziale und gesellschaftliche Frage ist selbstverständlich nicht geklärt im Rahmen von Karrierebiografien, auch dann nicht, wenn diese Karrieren Vorzeigekarrieren sind. Persönlicher Erfolg und Ignoranz schafft keine Verbesserungen. Erwerbsbiografien, so geglückt sie unter Umständen auch sein mögen, stehen in keiner Entsprechung zur sozio-ökonomischen, kulturellen, sozialen, gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen Komplexität feministischer Fragestellungen.

Oder ist die soziale und gesellschaftliche Frage ernsthaft allein dadurch gelöst, dass einige für sich persönlich Feminismus als gelöste Privataufgabe betrachten? Nein, weil dadurch ist keinem bildungsbenachteiligten Kind in Armut in einem sozialen Brennpunktviertel weder hier im Westen und schon gar nicht in den Slums der Megacitys dieser Welt geholfen. Genau um diese Frage und weitere Fragen ging es aber den sozialistischen Feministen*innen - um eine Beendigung der Benachteiligung unabhängig vom Geschlecht. Im Übrigen zeigt sich nach wie vor, dass Mädchen und Frauen weltweit stärker benachteiligt sind in Armutssituationen, insbesondere mit Blick auf Bildungsteilhabegerechtigkeit. Und wäre Feminismus erledigt, gäbe es keine Gewalt, die Frauen in Frauenhäuser treibt, keine Kriege, keine Ausbeutung, keine Sklaverei. Die Losung der Feministen*innen der beginnenden Moderne: „Nie mehr Krieg, nie mehr nationales Gegeneinander, Liebe für alle“ ist aktueller denn je.

Das Frauenwahlrecht, die sexuellen Befreiungsbewegungen, die im Grundgesetz verankerte rechtliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern... Feminismus zeigt vor allem eines: Es ist möglich, die Welt zum Positiven zu verändern. Das sollte Mut machen, die Welt weiter zu verbessern. Ignoranz verstellt den Blick auf die Aufgaben. Reale Benachteiligungsstrukturen zu erkennen und sie zu verändern ist der erste Schritt in eine bessere Zukunft. Feminismus ist gefragter denn je. Und die Hoffnung kann nicht bei Repräsentant*innen liegen, weil im Moment der Repräsentation echte Partizipation bereites verloren ist. Es geht vielmehr im Sinne Jutta Ditfurths um eine Aufgabe zum Selbstmachen.

Und die Hoffnung liegt auch nicht im Kapital, gleichgültig wie es verteilt ist oder wird.

Keine Antworten zu Beginn und eine Frage am Schluss - für einen Neuanfang, einen Diskurs:

Ist eine Welt ohne Geld denkbar?

Sonnige Grüße

Daniela Waldmann

ps. Es handelt sich um einen alten überarbeiteten Artikel. Kritik ernst nehmend versuchte ich deutlich zu kürzen.

Anlass aus inhaltlicher Sicht: Die aktuelle Poltik der Grünen - verbunden mit der Hoffnung, dass sie sich doch noch auf ihre alten Ideale: Frieden, Basisdemokratie, Naturschutz und Kapitalismuskritik zurückbesinnen.

Literatur: Feminismus. Notz, Gisela, Köln, 2021 3. und erweiterte Auflage.

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Geschrieben von

Waldmann Daniela

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