Netzschau: Guttenberg Roadkill

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Nun scheint es also so, als ob unser Verteidigungsminister diverse Stellen seiner Dissertation ohne adäquate Kennzeichnung aus anderen wissenschaftlichen Texten übernahm oder die Arbeit gar in vollem Umfang hat ghostwriten lassen. Die Fragen, die man (sich) anlässlich dieser Vermutung stellen kann sind vielfältig und bunt

1. So beispielsweise, ob der Skandal vielleicht weniger im potentiellen Abschreiben selbst (bzw. dem bezahlten Schreibenlassen) liegt, sondern eher in der dadurch thematisierten Möglichkeit, dass dieses Vorgehen vielleicht in gewissen Kreisen gar nicht mal so unüblich ist und viele wissenschaftliche Arbeiten, die tendenziell eher auf das simple Erlangen und Führen eines Titels als auf eine Karriere in Forschung und Lehre abzielen, doch öfter mal derart zusammengeschustert werden. Auf The Dishwasher geht Tobias Fabinger dieser These recht polemisch nach.

"Ein Doktortitel hat in der Öffentlichkeit immer noch ein hohes Ansehen. Es gibt auch viele Doktor-Arbeiten, die von den Promovierenden eigenständig erstellt wurden und eine hohe Qualität aufweisen. Aber: Sie werden immer mehr zur Ausnahme. Gerade für die bürgerlichen (oder adligen) Eliten ist die Promotion nur ein Schritt, eine Qualifikation, die man hinter sich bringen muss. Für einige Positionen braucht man sie, zumindest garniert sie den hohen sozialen Status zusätzlich und scheint ihn zu legitimeren „Dieser Mann muss zu einer geistigen Elite gehören“, denkt sich vielleicht so mancher „Bildungsferne“, der Ehrfurcht vor dem Doktortitel empfindet." The Dishwasher

2. Natürlich nimmt sich das fürsorgliche Netz auch auf gemeinschaftliche Weise der Dinge an. Damit sich die Uni Bayreuth und die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit der Prüfung der Guttenberg-Dissertation nicht so viel Arbeit machen müssen, will eine fix ins Leben gerufene Wiki-Plattform die Arbeit nun kooperativ durchforsten. Wo auch immer das hinführen mag oder soll.

"Dies ist eine kollaborative Dokumentation der Plagiate – jeder ist eingeladen, hier mitzuarbeiten. Fragen und Anregungen am Besten in unserem Chat (IRC, Freenode, #guttenplag), als Tweet an @PlagDoc, in das Diskussionsforum oder auf den Arbeitsseiten in die Kommentaren einfügen." GuttenPlag

3. Anatol Stefanowitsch kommentiert die Angelegenheit auf WissensLogs aus der Sicht eines Wissenschaftlers und widerspricht empirisch der oben stehenden Unterstellung einer gewissen Häufigkeit solcher Vorgänge.

"Aber ich bin selbst Wissenschaftler und muss deshalb bei meinen eigenen Texten immer darauf achten, sauber zu zitieren und fremdes Gedankengut auch dort, wo ich es nicht wörtlich übernehme, klar als solches kenntlich zu machen. Und ich bin selbst mehrfacher Doktorvater und habe Dutzende von Magisterabeiten, ganze Regalfächer von Bachelorarbeiten und Hunderte von Hausarbeiten betreut, muss also ständig anderer Leute Arbeiten auf mögliche absichtliche oder unabsichtliche Plagiate hin untersuchen. Und während die überwältigende Mehrheit meiner Studierenden nach meiner begründeten Meinung grundehrlich waren und sind und lieber ein Semester verlieren würden als eine plagiierte Hausarbeit abzugeben, kommt mir im Schnitt ein Plagiatsfall pro Semester unter - meistens in Hausarbeiten, selten in Bachelorarbeiten, bisher nie in Magister-, Staatsexamens- oder Doktorarbeiten. Ein paar Gedanken kann ich also aus eigener Erfahrung beisteuern." SprachLog

4. Auf Carta betrachtet Julius Endert die Zitierkultur in den Social Media und setzt diese in ein Verhältnis zur Causa Guttenberg.

"Man könnte ja meinen, gut, der Gutti hat einfach ein paar Absätze aus andererleuts Aufsätzen retweetet – was ist schon dabei? Macht doch im Internet heutzutage jeder, dieses Retweeten? Weit gefehlt: Gerade auf Twitter wird nicht einfach auf Ministerart abgeschrieben. Vielmehr hat sich hier eine interessante und hochdisziplinierte Fußnoten- oder besser gesagt Zitierkultur entwickelt. Bei den schmal bemessenen 140 Zeichen ist die korrekte Quellenangabe die Regel und nicht die Ausnahme." Carta

5. Richard Gutjahr hat sich des Themas auf seinem Weblog mittels einer wunderbaren Satire angenommen, in der er, quasi ebenfalls ghostwritend, den Minister selbst Stellung beziehen lässt.

"Ich habe keine exakte Vorstellung davon, was aus dem innerhalb der letzten Tage produzierten Abziehbild meiner Person geworden ist. Ich setze mich hier also nicht hin, um in den letzten brauchbaren Wogen irgendeines gelangweilten Presseexzesses noch mal meine Außenwirkung zu glätten und zu schreien: Ich bin cool, ich war schon mit 34 im Borchardt, ihr seid alle Wichser. Wenn mir zwei Dinge bewusst geworden sind, und jetzt hört bitte gut zu, meine lieben, sich vielleicht auch irgendwann mal in der öffentlichen Wahrnehmung zu bewegen willigen Freunde, dann sind das die Bedeutungslosigkeit des eigenen Images und die damit Hand in Hand gehende Bedeutungslosigkeit von gutem Styling, aber dazu dann eventuell später mehr." Gutjahr

6. Und auch der Berufsverband freier Journalistinnen und Journalisten betrachtet eher die Glosse als adäquate Form für eine Zusammenfassung der Geschehnisse.

"Die beiden Juristen mögen Recht haben. Es könnte sehr wohl sein, dass es sich lediglich um eine Schlamperei handelt, eine Folge übermäßiger Erschöpfung durch wissenschaftliche Arbeit. Besonders bei armen Juristen, die ihre Doktorarbeit in ungeheizten Räumen noch selber schreiben müssen, kann das schon mal passieren. Für Besserverdienende gibt es dagegen seit geraumer Zeit hervorragende Dienstleister, die solche Arbeiten aus vorhandenen Textbausteinen geschickt zusammenleimen." Freischreiber

Guttenberg jedenfalls lässt nun taktisch sehr klug seinen Doktortitel erstmal bis auf weiteres bzw. bis zur Klärung der Affaire ruhen, was auch immer das heißen mag. Aber es klingt gut.

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Randnotiz 1: Werbespaß

Randnotiz 2: Medienspaß

Randnotiz 3: Spaßspaß

Die letzte Netzschau findet sich hier.

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Geschrieben von

Daniel Windheuser

I am the key to the lock in your house that keeps your toys in the basement. Oder so ähnlich.

Daniel Windheuser

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