Die freie Sicht der Weltraumfahrer

Wichtige Perspektive Die Perspektive der Weltraumfahrer vermag auch den eigenen Horizont zu erweitern.

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Eingebetteter MedieninhaltNach Alexander Gerst, deutscher Astronaut, ist die eigene Sichtweise immer unvollständig. „Ein Tag, an dem man etwas Neues entdeckt hat, über seinen Horizont hinaus geschaut hat, ist ein guter Tag.“ („Liebe Enkelkinder …“, 25.11.2018, Alexander Gerst; nach video auf Welt.de, 19.12.2018)

"Eine Imagination: Vermutlich hat schon jeder Mensch in seinem Leben einmal staunend vor einem Ameisenhaufen oder einem anderen Insektenstaat gestanden und sich über die pausenlosen Aktivitäten und das scheinbar geordnete Miteinander dieser unzähligen kleinen Lebewesen gewundert. Erinnern Sie sich an Ihre eigenen Gedanken und Gefühle, die Sie dabei hatten?

Was würde man eigentlich denken und fühlen, wenn man die Erde und die dort lebenden Menschen ähnlich wie einen Ameisenstaat betrachten könnte, also aus der Weltraumperspektive?

Höhenangst braucht man bei dieser Vorstellung übrigens nicht zu bekommen, gibt es doch in der Schwerelosigkeit des Weltraums nichts, was einen nach unten ziehen würde. Keine Kleidung hängt mehr an einem, die Gliedmaßen oder andere Körperteile ziehen und drücken nicht mehr. Von jedweder Last befreit, ist das gewohnte Körpergefühl völlig weg. Hauptsächlich das Denken erinnert einen noch daran, dass so etwas wie ein Ich im Raum existiert. Man schwebt ganz einfach. Es gibt kein Oben und Unten mehr. Nichts kann mehr runterfallen. Keiner „klebt“ mehr mit seinen Füßen auf einer runden Kugel, auf deren anderen Seite vielleicht gerade ein Wal herumschwimmt. Sätze wie „Siehst Du das da oben oder da unten?“ verlieren ihre verbindliche Bedeutung, da es jeweils auf die eigene Position und Perspektive ankommt.

Die Sicht, die man hat, ist super, kann man doch die von der Sonne angestrahlte Erde in der tiefen Dunkelheit des Weltraums hell und deutlich sehen, ähnlich wie die von einem Projektor angestrahlte, scheinbar selber leuchtete Leinwand in einem sonst dunklen Kino.

Plötzlich wird man sich bewusst, dass es überhaupt keinen Himmel gibt und dass dieser genau genommen nie wirklich existierte. Man selber ist ein Teil des endlos erscheinenden Weltalls und ist es schon immer gewesen. Man war sich dessen nur nicht bewusst, weil man die Erde unter den Füßen fühlte und einen blauen Himmel über sich sah. Der aber ist in Wirklichkeit nur eine völlige Illusion, eine „Gaukelei“ durch die Streuung des einfallenden Sonnenlichts beim Durchqueren der Erdatmosphäre. Die Erde selber ist wie eine übergroße Raumstation, die mit 100.000 Stundenkilometer um die Sonne rast. Der Mensch ist einer ihrer Passagiere.

Im Weltraum herrscht bis auf die „Sternenpunkte“ eine bisher unbekannte, unglaubliche Dunkelheit und Stille, die einen anfangs erschreckt und später fast andächtig macht. Man „hört“ nur noch die eigenen Gedanken und nimmt wahr, wie im Kopf eine Illusion nach der anderen ähnlich einem Luftballon zerplatzt.

Die Erde, die in der Nähe schwebt, ist unsagbar schön. Allerdings erscheint sie wie eine übergroße, ganz zarte und leicht zerbrechliche Weihnachtskugel, übrigens die einzig bunte weit und breit. (frei nach:James Irving, Astronaut und Mondbesucher, der die Erde auch als die schönste Murmel, die man sich vorstellen kann, beschrieb)

Man hat noch nie so etwas Schönes gesehen und wird von einem tiefen, umfassenden Gefühl berührt. Man ahnt die Harmonie des Universums und empfindet plötzlich eine liebevolle Beziehung zu allen Lebewesen auf der Erde. Man erkennt, dass alle Menschen „Kinder der Erde“ sind. (frei nach Aleksandr Alexandrow, Kosmonaut)

Die Sicht der Welt verändert sich fundamental. Dinge, die Menschen teilen, erscheinen um ein Vielfaches wichtiger, als Dinge, die sie trennen. (frei nach Donald Williams, Astronaut)

Es gibt aus der Perspektive des Weltraums keinerlei sichtbare Grenzen zwischen Völkern, Staaten, Kulturen oder Religionen! Man erblickt nur „die eine Welt“. Die Vorstellung von Grenzen erscheint geradezu als lächerlich!

Woher man selber kommt – aus Deutschland, aus Russland, aus Vietnam, aus Saudi Arabien oder aus den USA – spielt am Ende keine Rolle mehr. Vielleicht sucht man am anfangs noch nach seinem Kontinent, seinem Land oder sogar nach seiner Stadt, bis einem bald bewusst wird, dass einzig die Erde das Zuhause ist, wohin man gerne lebend zurückkäme. (frei nach Sultan Bin Salman al-Saud, Astronaut)

Die Erde ist im Weltraum weit und breit der einzige Lebensraum, in dem ein Mensch auf Dauer überleben kann. Es gibt keine andere Wasserstelle!

Aber diese Welt ist überhaupt kein sicherer Ort, wie man normalerweise denkt. Sie ist ein kleiner, verwundbarer Planet. Man kann sie zwar nicht wie einen Ameisenstaat mit einigen Fußtritten zerstören, aber die z. B. für das Leben unbedingt notwendige Erdatmosphäre, deren zunehmende Verschmutzung immer sichtbarer wird, ist extrem dünn. Ca. 85% der gesamten Luftmasse befinden sich in den ersten 15 km. Der Weltraum beginnt nach der Definition der „Fédération Aéronautique Internationale“ nach 100 km, also etwa nach der Strecke von Hamburg nach Bremen.

Auf „planet-wissen.de“ findet man einen anschaulichen Vergleich: „Wäre die Erde nur so groß wie ein Apfel, dann hätte die Atmosphäre gerade mal die Dicke seiner Schale.“

Der deutsche Astronaut Alexander Gerst, der 2014 mehr als sechs Monate an Bord der Internationalen Raumstation ISS war, äußerte sich hierzu in einem Interview (süddeutsche.de, 21.11.2014): „Als Geophysiker war mir klar, wie die Erde und ihre Atmosphäre aufgebaut sind. Theoretisch habe ich daher durch den Blick aus dem Fenster nicht viel Neues gesehen. Aber das Gefühl, der Blickwinkel, die Sichtweise, das ist schon faszinierend. Man erkennt, dass die Erde wirklich nur eine Ansammlung aus kosmischem Staub ist, der sich zu einem Felsen verklumpt hat und über dem eine hauchdünne, zerbrechlich wirkende Atmosphäre liegt. Um das zu begreifen, habe ich den Blick aus dem Fenster gebraucht. Das ist etwas, das prägt, das ich nicht vergessen werde. … Mein heimlicher Wunsch wäre, dass jeder Mensch die Erde einmal so sehen könnte.“ Alexander Gerst an anderer Stelle (tagesschau.de, 11.11.2014): „Nachts sieht die Erdatmosphäre am zerbrechlichsten aus. Ein dünnes Band aus fast Nichts und doch die Quelle unseres Lebens.“

Die Erde selber, am Rande einer Galaxie, ist wie ein Staubkorn im riesigen Weltraum. Sollte diese wunderbare „Raumstation Erde“ kaputtgehen bzw. sollten allein nur die Schäden in der Erdatmosphäre etwas größer werden, dann gäbe es wohl bald keine Menschen mehr – vielleicht noch Ratten, Ameisen oder Bakterien.

Aus der Weltraumperspektive – um zur „Imagination“ zurückzukehren – würde man als Nächstes schmerzlich erkennen, wie begrenzt der Lebensraum Erde für die immer größer werdende Zahl von Menschen in Wirklichkeit ist. Auch wenn man von dort den winzigen Menschen überhaupt nicht erkennen kann, aber seine Spuren dafür überdeutlich, die er auf der Erde hinterlassen hat.

Im Vergleich zu früheren Bildern aus dem Weltraum lässt sich inzwischen ein Grauschleier um die Erde herum entdecken. Die Verschmutzung in den Meeren und über den Industrieländern ist deutlich sichtbar. Aus der Weltraumperspektive, scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die Menschen in ihrem eigenen Mist versinken und ihre eigene Lebensgrundlage, die Natur, restlos ausgebeutet und zerstört haben. In diesem Zusammenhang erschüttert der geistige Zustand, des angeblich so klugen Homo sapiens sapiens, der sich in maßloser Arroganz immer noch für „die Krone der Schöpfung“ hält und immer weiter ungezügeltes Wachstum auf allen Ebenen predigt. In Wirklichkeit ist der derzeitige Mensch aber „der Gipfel der Zerstörung“. Unsere Heimat Erde braucht jetzt intelligente Menschen, denn sie ist unwiederbringlich einzigartig, wie auch unser Leben.

Nach Tuan Pham (Kosmonaut) braucht der Mensch die Höhe, um die Erde, die seiner Meinung nach so vieles durchlitten habe, besser zu verstehen.

Interessanterweise hören viele Astronauten während ihres Weltraumaufenthalts anstelle von Musik gerne Aufnahmen von Naturgeräuschen mit Donner, Regen, Vogelgesang etc. - denn alles das gibt es im Weltraum nicht.

Nach Ulf Merbold (Astronaut) kommt jeder, der im Weltraum war, verändert zurück. Ihn selber dränge, all seinen Zeitgenossen zu vermitteln, wie einerseits schön die Erde aussehe, aber wie klein und zerbrechlich sie zugleich sei. Als Astronaut mache man sich automatisch Gedanken darüber, ob wir Menschen mit diesem Juwel sorgfältig genug umgehen. Für sich selber erkenne er eine ethische Pflicht, die Natur für jene zu bewahren, die nach uns geboren werden.

Auch Sigmund Jähn (Kosmonaut) wurde klar, als er aus dem Weltraum die Zartheit der Erde sah, dass es die wichtigste Aufgabe der Menschheit sei, die Erde zu hüten und zu bewahren.

Russell Schweickart (Astronaut) nannte als persönliches Fazit, dass er als Astronaut in der vordersten Linie stehe und seine Erfahrung zurück an die Leute nach Hause bringen müsse, was eine besondere Verantwortung sei.

Alexander Gerst beschrieb in einem Interview (WDR, Quarks & Co, 20.1.2015), wie sehr die dichte Besiedelung und auch die Umweltschäden aus dem Weltraum sichtbar seien. Ihn haben zum Beispiel die riesigen Abholzungsflächen im Amazonasgebiet, der so genannten grünen Lunge der Erde, sehr erschreckt. Seiner Meinung nach würden wichtige geopolitische Entscheidungen, zum Beispiel auf Klimakonferenzen, anders getroffen, wenn die beteiligten Politiker vorher im All gewesen wären und begriffen hätten, wie sehr alles zusammenhinge.

Wenn man sich mit den Berichten der Weltraumfahrer (Astronauten, Kosmonauten, Taikonauten) beschäftigt, dann erweitert sich auch der eigene Horizont. Gerne würde man diese Erfahrung selber machen. Jesco von Puttkamer, der jahrelang in führender Stellung bei der NASA an der Entwicklung vieler wichtiger Projekte beteiligt war, äußerte einmal in einem Interview, wie gerne er selber diese Erfahrung der Astronauten machen würde.

Klar ist, dass jedem diese Erfahrungen gut täten, vor allen den Menschen, die wichtige Entscheidungen in unserer Welt treffen.

Ulrich Walter, der deutsche Wissenschaftsastronaut und Lehrstuhlinhaber im Fach Raumfahrttechnik, sieht neben dem wissenschaftlichen Interesse das Streben des Menschen nach Selbsterkenntnis letztendlich als zentralen Grund für das Betreiben von Raumfahrt. Am besten sollte jeder Mensch den Blick vom Weltraum auf die Erde einmal mit eigenen Augen erfahren können, dann gäbe es seiner Meinung nach keine Kriege mehr. Aus dem Weltraum sehe man eine Welt ohne Grenzen. Leider kann nicht jeder Mensch in den Weltraum fliegen. So ist es umso wichtiger, die Berichte der Weltraumfahrer aufmerksam zu verfolgen und so gut wie möglich zu berücksichtigen.

Taylor Gangjung Wang, Astronaut, erzählt in dem Buch „Der Heimatplanet“ ein kurzes chinesisches Märchen. Demnach wurden Männer ausgeschickt, um einem jungen Mädchen etwas „Böses“ zuzufügen. Als sie aber dessen Schönheit erblickten, konnten sie dem Mädchen keine Gewalt mehr antun und wurden stattdessen zu seinem Beschützer. Ebenso sei es ihm selber ergangen, so Wang. Seitdem er die Erde zum ersten Mal erblickt habe, könne er sie nur noch lieben und verschonen.

Von Edgar Mitchell (Astronaut und Mondbesucher) stammt der bekannte Ausspruch, dass man als Techniker zum Mond gefahren und als von Zuneigung für alles Humane erfüllte Menschen zurückgekehrt sei.

Von den Raumfahrern lernen, bedeutet, Respekt und Demut gegenüber der Erde und ihrem Lebewesen zu lernen.

In ihrem gemeinsamen Lied „Astronaut“ (2015) des deutschen Rapers Sido und des deutschen Popsängers Andreas Bourani finden sich zur Sicht eines Astronauten u.a. folgende Textstellen:

„Ich seh die Welt von oben ….

Hier oben ist alles so friedlich doch da unten geht's ab …

Wir hoffen auf Gott, doch haben das Wunder verpasst ….

Und beim Anblick dieser Schönheit fällt mir alles wieder ein

Sind wir nicht eigentlich am Leben, um zu lieben und zu sein?“

Der deutsche Astronaut Alexander Gerst twitterte nach Hören des Liedes: „Gerade zum 1. Mal gehört … Spricht mir aus der Seele, Respekt!“ Sido antwortete darauf: „Hab auch an dich gedacht beim Schreiben!!! Da warst du grad oben!!!“ („Sido feat. Andreas Bourani: Astronaut, Grüße aus dem Weltall“, bigfm.de, 9.7.2015)

Wir Menschen sind zweifelsfrei dazu in der Lage, auch aus den Perspektiven anderer Menschen zu lernen. Wir sollten diese Möglichkeit der Bereicherung dringend nutzen. Das erspart sehr viel Zeit und Energie und beschleunigt die Entwicklung der Menschheit insgesamt. Möglicherweise kann ja die Weiterentwicklung der „virtuellen Realität“ tatsächlich dazu beitragen, dass Menschen derart wichtige Erfahrungen wie die Weltraumerfahrung wesentlich besser nachvollziehen können." (aus „Terror sapiens I – Von der Einfalt zur Vielfalt“, 2017, S. 236ff)

„Liebe Enkelkinder!

Ihr seid noch nicht auf der Welt, und ich weiß nicht, ob ich euch jemals treffen werde. Deshalb habe ich beschlossen, euch diese Nachricht hier aufzuzeichnen. … Und wenn ich so auf dem Planeten runter schaue, dann denke ich, dass ich mich bei euch wohl leider entschuldigen muss. Im Moment sieht es so aus, als ob wir, meine Generation, euch den Planeten nicht gerade im besten Zustand hinterlassen werden. Im Nachhinein sagen immer viele Leute, sie hätten davon nichts gewusst, aber in Wirklichkeit ist es uns Menschen schon sehr klar, dass wir im Moment den Planeten mit Kohlendioxid verpesten, dass wir das Klima zum Kippen bringen, dass wir Wälder roden und dass wir die Meere mit Müll verschmutzen, dass wir die limitierten Ressourcen viel zu schnell verbrauchen und dass wir zum Großteil sinnlose Kriege führen. … ich würde mir wünschen, dass wir bei euch nicht als die Generation in Erinnerung bleiben, die eure Lebensgrundlage egoistisch und rücksichtslos zerstört hat. … wer weiß, vielleicht lernen wir ja auch noch was dazu, dass ein Blick von außen immer hilft, dass dieses zerbrechliche Raumschiff Erde sehr viel kleiner ist, als die allermeisten Menschen sich das vorstellen können, wie zerbrechlich seine Biosphäre ist, und wie limitiert seine Ressourcen. …

Internationale Raumstation, Kommandant der Expedition 57, Alexander Gerst, 25. November 2018, 400 km über der Erdoberfläche“

(„Liebe Enkelkinder“, Ansprache an seine fiktiven Enkel, 25.11.2018, Alexander Gerst, Kommandant der Internationalen Raumstation, Expedition 57, 400 km über der Erdoberfläche; Abschrift des Videos auf Welt.de, 19.12.2018)

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Geschrieben von

Insel-Banker

Es ist keine Kunst, Sand im Getriebe zu sein, aber es ist ein unschätzbares Vermögen, wichtige Entwicklungen mit anzutreiben.

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