Nach seinen Bestsellern Utopien für Realisten (2017), einem Plädoyer für die 15-Stunden-Woche und ein Bedingungsloses Grundeinkommen, und Im Grunde gut (2020), einer „neuen Geschichte der Menschheit“, wie der Untertitel etwas anmaßend behauptet, legt der promovierte Historiker und Aktivist Rutger Bregman jetzt einen kleinen Essay zum Klimawandel mit dem Titel Wenn das Wasser kommt vor.
Bregman schreibt, da macht er keinen Hehl daraus, als Niederländer. Und es geht um den steigenden Meeresspiegel, von dem die Niederlande wie kein anderes Land Europas bedroht sind. Er beginnt mit einer Erzählung über Johan van Veen, der 1952 eine große Flutkatastrophe in den Niederlanden prophezeite und von kaum jemand ernst genommen wurde; er nannte sich se
jemand ernst genommen wurde; er nannte sich selbstironisch Dr. Kassandra. Die Flutkatastrophe kam 1953, verlief zwar viel glimpflicher als von ihm prophezeit, aber es wurden 29.000 Hektar Land überflutet, was etwa einem Drittel der Fläche von Berlin entspricht, und 1.836 Niederländer verloren ihr Leben. Danach wurde nach van Veens Plänen eine gigantische Deichanlage gebaut: die sogenannten Deltawerke, das größte Infrastrukturprojekt in der Geschichte der Niederlande.„Wie Johan van Veen 1952 als ,Panikmacher‘ bezeichnet wurde, ist heute die Rede von der ‚Panikmache des Klimawandels‘“, schreibt Bregman. Es folgt eine Schilderung der Risiken, die mit dem Klimawandel verbunden sind, immer mit Fokus auf den steigenden Meeresspiegel. Der „Fortbestand der Niederlande und vieler Küstenregionen an der Nordsee steht auf dem Spiel“, und „auch Hamburg und Bremen sind keinesfalls so sicher, wie in Deutschland gerne angenommen wird“. Das, so Bregman, sage nicht er, sondern „die Wissenschaftler“.Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn der Autor erwähnt nicht, dass die skizzierten Szenarien sich ausnahmslos auf die Worst-Case-Projektionen des Weltklimarats (IPCC) beziehen, der diese immer in fünf Kategorien einteilt, von best bis worst. Bregman warnt beispielsweise vor einer möglichen Temperaturerhöhung um vier Grad bis zum Jahr 2100. Das könnte eintreten, wenn sich der jährliche CO₂-Ausstoß bezogen auf den Status von 2015 (rund 40 Gigatonnen) bis 2100 auf ungefähr 120 Gigatonnen verdreifacht und das Gleiche auch mit anderen Treibhausgasen wie Methan und Lachgas sowie mit wirksamen Aerosolen passiert. Im Best-Case-Szenario werden diese Emissionen bis 2100 um circa 20 Gigatonnen pro Jahr gesunken sein, was auf eine Erwärmung um 1,4 Grad hinausliefe. Was den globalen Anstieg des Meeresspiegels angeht, rechnet der IPCC im schlechtesten Fall mit einem Anstieg bis 2100 um 61 bis 110 cm, im besten Fall – also bei Einhaltung des Pariser Abkommens – um 29 bis 59 cm. Bei Bregman liest man: „Wenn die Welt die Treibhausgasemissionen nicht schnell genug reduziert, müssen wir – im schlimmsten Fall – bis 2100 von einem fast drei Meter höheren Meeresspiegel ausgehen. Ein Jahrhundert später könnten es fünf bis acht Meter sein.“ Für die Nordsee wäre das theoretisch möglich, aber auch im Worst Case nicht bis 2100. Der IPCC rechnet hier in Zeitkorridoren von mehreren Jahrhunderten oder Jahrtausenden. Mögliche Ursache für einen regional unterschiedlichen Anstieg könnte der sogenannte Gravitationseffekt der arktischen und antarktischen Eismassen sein: Ein Abschmelzen verringert die Eigengravitation und führt in größerer Entfernung zu einem überproportionalen Anstieg des Meeresspiegels.Ab etwa einem Anstieg von 1,5 Metern wird es zum Beispiel an der deutschen Nordseeküste problematisch. Die Niederlande könnten einen Anstieg von bis zu zwei Metern verkraften. Auf kurz oder lang besteht also Handlungsbedarf.Gigantische PumpanlagenSpät im Text kommt Bregman zu möglichen Maßnahmen. In den Niederlanden wären höhere Deiche und gigantische Pumpanlagen notwendig, an deutschen Küsten höhere Deiche. Alles technisch machbar und wirtschaftlich zu stemmen, führt aber zu erheblichen ökologischen Problemen und Verwerfungen: „,Wir dürfen das Meer nicht nur aussperren, sondern müssen ihm Raum geben“, zitiert Bregman den Ökologen Michael Kleyer, Anpassung an den Klimawandel heiße auch, wieder mit und nicht gegen die Natur zu denken. In Betracht zu ziehen seien schwimmende Häuser und Pfahlbauweise. Übergangsflächen wären notwendig, wie etwa Salzwiesen – Habitate hoch spezialisierter Arten, die mit wiederkehrenden Überflutungen zurechtkommen. Gefährdete Landschaften müssten langfristig ganz dem Wasser überlassen werden.Das bleibt alles recht vage, gemessen an der Verlagsankündigung, bis auf die Feststellung: „Es muss gehandelt werden, an allen Fronten. Und zwar jetzt.“ Ansonsten, kein „Aber“ im ganzen Bändchen, kein neuer Gedanke. Was bleibt, ist tatsächlich schlicht ein Kassandra-Ruf.In der niederländischen Originalausgabe heißt das Buch übrigens Het water komt, ohne „Wenn“. In der deutschen Ausgabe mit „Wenn“, doch ebenfalls ohne „Aber“.Placeholder infobox-1