Bloß nicht das Infektionsrisiko senken!

Corona Jens Spahns Schnelltest-Blockade zeigt: Er hält die Bürger für dumm, traut ihnen nicht über den Weg und will die Kontrolle behalten
Ausgabe 06/2021
Mund (oder Nase) auf, Stäbchen rein: gar nicht so schwer. Jens Spahn hält diese Prozedur offenbar für unzumutbar
Mund (oder Nase) auf, Stäbchen rein: gar nicht so schwer. Jens Spahn hält diese Prozedur offenbar für unzumutbar

Foto: Tolga Akmen/AFP/Getty Images

Zahlreiche Medien berichteten vergangene Woche euphorisch, die Nutzung von „Covid-19-Antigen-Schnelltests“ sei jetzt auch normalen Bürgern erlaubt. Es fehle nur noch die Zulassung durch die Behörden. Diese Meldung war grob irreführend, denn in Wahrheit verhält es sich genau umgekehrt: Antigen-Schnelltests, die nach wenigen Minuten anzeigen, ob jemand gerade infektiös ist, sind längst zugelassen und beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gelistet, doch ihre Nutzung wird dem gemeinen Volk mit fadenscheinigen Argumenten verweigert. Nur medizinisch geschultes Personal dürfe die Tests erwerben, anwenden und auswerten.

Es sind – grob gesagt – drei Gründe, warum der Bundesgesundheitsminister und seine Behörden die Schnelltests nicht aus der Hand geben wollen. Erstens: Man hält die Bürger für saudumm. Zweitens: Man traut ihnen nicht über den Weg. Und drittens: Der Staat will um jeden Preis die Kontrolle behalten.

Grund eins empfinden viele als Unverschämtheit. Die Bürger, heißt es, seien nicht in der Lage, einen einfachen Test durchzuführen. Zwar machen sie Schwangerschaftstests zu Hause oder spritzen sich Insulin in den Bauch, aber ein Covid-19-Abstrich würde sie handwerklich überfordern. Nur geschultes Personal mit langjähriger Ausbildung könne ein Wattestäbchen unfallfrei durch die Nase bugsieren. Ängstliche Bürger würden das Stäbchen falsch gebrauchen und mit fehlerhaften Abstrichen ihre Mitmenschen gefährden. Doch die dramatisch vorgetragenen Bedenken sind wissenschaftlich widerlegt. Eine an der Universitätsmedizin der Berliner Charité durchgeführte Studie ergab, dass der Antigen-Test „auch von Laien zuverlässig durchgeführt“ wird. Unterschiede zu professionellen Testern waren nicht festzustellen. Überdies existieren seit geraumer Zeit Schnelltests, bei denen das Wattestäbchen nur in den vorderen Nasenbereich eingeführt werden muss; für besonders Empfindliche gibt es Spucktests, und eine Pharmafirma aus Rheinland-Pfalz bietet sogar Tests an, bei denen man nur noch kurz an einem Lolly lutschen muss.

Während deutsche Prüfer monatelang über Beipackzettel-Formulierungen brüten, um die Anwendung idiotensicher zu gestalten, hat die US-Arzneimittelbehörde FDA am 15. Dezember den ersten rezeptfreien Corona-Schnelltest für den Hausgebrauch genehmigt, unkompliziert zu erwerben in der nächsten Drogerie. Es erleichtert nämlich das Zusammenleben ganz ungemein, wenn sich Kinder und Enkelkinder vor dem Besuch bei Eltern und Großeltern mal eben testen können. Doch als das Serumwerk Bernburg in Sachsen-Anhalt eine Woche vor Weihnachten einen Spucktest für 14,49 Euro in die örtlichen Apotheken bringen wollte und erklärte, der Test könne auch problemlos von Laien durchgeführt werden, wurde das Unternehmen sofort zurückgepfiffen. Ein Anleitungsvideo wurde hastig gelöscht, erwartungsfrohe Bürger erhielten in den Bernburger Apotheken eine Abfuhr. Keine Abgabe an Privatpersonen!

Das Misstrauen deutscher Ministerien und Behörden gegen unvernünftige Untertanen, die von Politikern in Sonntagsreden gern mündige Bürger genannt werden, ist groß. Während Alexander Wolf von der Berliner Selbsttest-Initiative „Be a Testa“ den zivilgesellschaftlichen Nutzen regelmäßiger Schnelltests hervorhebt („Man könnte das Infektionsrisiko dadurch um 90 Prozent senken“), sehen die Behörden vor allem die Risiken.

Eine Lizenz zum Feiern?

Die freizügige Abgabe von Antigen-Schnelltests an die Bevölkerung betrachten sie als „Lizenz zum Feiern“. Es bestehe darüber hinaus die Gefahr, dass Infizierte, die keine Symptome aufweisen, positive Testergebnisse nicht an die Gesundheitsämter melden, weil sie Konsequenzen wie Isolierung und berufliche Nachteile fürchten.

Dieses Misstrauen führt zum entscheidenden Grund, warum das Bundesgesundheitsministerium die Einführung von „Antigen-Selbsttests für alle“ hinauszögert: Es ist die Angst vor staatlichem Kontrollverlust. Nachdem die ersten Schnelltests aus chinesischer und südkoreanischer Fertigung im Frühjahr 2020 den Westen erreicht hatten, wurden auch hierzulande Forderungen nach massenhaften Selbsttests laut. Aber erst im September, als der Schweizer Pharmakonzern Roche einen eigenen Schnelltest anbot, trat Gesundheitsminister Jens Spahn vor die Presse und kündigte – mal wieder! – Großes an. „Spahn setzt auf Schnelltests für zu Hause“, meldete die ARD. Doch im Januar dämpfte das Ministerium die Erwartungen wieder. Es gehe jetzt erst mal „um die prinzipielle Idee, solche Schnelltests für zu Hause möglich zu machen“.

Eingeweihte vermuten, diese Verzögerungstaktik habe einen speziellen Grund. Die Beamten würden darüber nachdenken, wie man den Verkauf der Selbsttests mit einer Meldepflicht an die Gesundheitsämter verknüpfen könnte. Nicht dass die Bürger am Ende zu selbstständig werden und ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen.

Der digitale Freitag

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Geschrieben von

Wolfgang Michal

Journalist; Themen: Umbrüche & Entwicklungen

Wolfgang Michal

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