Seine Verbündeten stößt Julian Assange nach und nach ab
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Arbeiten Putin und Wikileaks für Trump?“, „Wikileaks bringt Frauen in Gefahr“, „Wikileaks’ tiefer Fall – Antisemitismus, Terrorclips, Doxxing“. So vernichtend lauteten die Schlagzeilen, nachdem die Enthüllungsplattform 300.000 interne E-Mails der türkischen Regierungspartei AKP und kurz danach 20.000 E-Mails aus dem Parteiapparat der US-Demokraten veröffentlicht hatte. Die Empörung über die neuen „Untaten“ der Enthüller schien weit größer zu sein als die Aufregung über die Inhalte des geleakten Materials. Wikileaks frauenfeindlich, antisemitisch und von Putin gesteuert? Schlimmer hätte es für die Plattform und ihren Gründer Julian Assange nicht kommen können. Der seit
eit mehr als vier Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London festsitzende Chef von Wikileaks hat die Sympathien der Medien offenbar gänzlich verloren. Doch haben die Kritiker Recht mit ihren Vorwürfen? Oder trägt die Zersetzungsstrategie gegen Wikileaks endlich Früchte?Dass die Betroffenen entsetzt reagierten, war nicht verwunderlich. Die Führung der US-Demokraten und die ihnen verbundenen Zeitungen – wie die New York Times – vermuteten sofort den russischen Geheimdienst hinter der Operation und warfen Wikileaks vor, einem repressiven Regime dabei zu helfen, Einfluss auf die Wahl des nächsten US-Präsidenten zu nehmen. Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung unmittelbar vor der Inthronisierung Hillary Clintons als Präsidentschaftskandidatin lege nahe, dass nicht Aufklärung das treibende Motiv sei, sondern der Wunsch, aus dem Hinterhalt Politik zu machen.Kritiker SnowdenViele, die Wikileaks deshalb beschimpften, machten sich schon gar nicht mehr die Mühe, die Masse der veröffentlichten E-Mails zu durchforsten. Sie behaupteten einfach, es stehe nichts Wichtiges drin, Wikileaks wolle mal wieder – wie beim Sony-Hack 2014 – seine schwindende Bedeutung mit dem veröffentlichten Bürotratsch kleiner Angestellter übertünchen.Doch die Kritik an Wikileaks stammt diesmal nicht nur von den üblichen Verdächtigen. Sie kommt auch von links, von Sympathisanten und netzpolitischen Autoritäten. Die Soziologin Zeynep Tufekci zeigte sich in der Huffington Post erschrocken darüber, dass Wikileaks zusammen mit den AKP-Mails versehentlich auf eine Adresskartei sämtlicher türkischer Frauen verwies, eine Nachlässigkeit, die viel über das mangelnde Verantwortungsbewusstsein der Plattformbetreiber verrate. Und Edward Snowden, dessen Flucht im Sommer 2013 von Wikileaks unterstützt worden war, schrieb seinen Millionen Twitter-Followern, Wikileaks habe in der Vergangenheit viel Gutes bewirkt, doch die offene Feindseligkeit gegenüber allen Ermahnungen, die Privatsphäre Unbeteiligter besser zu schützen und Datenhacks sorgfältiger zu filtern, erweise sich nun als schwerer moralischer Fehler.Glenn Greenwald, der Snowdens Dateien aufbereitet und veröffentlicht hatte, stieß ins gleiche Horn. Es sei einfach vernünftig, riesige Datenmengen von journalistischen Profis überprüfen zu lassen und aus den Ergebnissen verantwortbare und lesbare Geschichten herzustellen. Wie zuletzt bei den Panama Papers.Doch wie stichhaltig sind solche Einwände? Wikileaks verweist mit Recht darauf, dass nicht die Plattform, sondern ein unabhängiger Hacker die Daten der türkischen Frauen (und Männer) ins Netz gestellt hatte. Und dass man von jeher alle Datensätze, die man veröffentliche, vorher prüfe und Unbeteiligte schütze – soweit das möglich sei. „Wissenschaftlicher Journalismus“, wie Wikileaks ihn gern propagiert, setzt aber voraus, dass parallel zur journalistischen Bearbeitung die zugrunde liegenden Datensätze veröffentlicht werden – andernfalls können die Leser nicht überprüfen, ob sich die Journalisten ihre Geschichten zurechtbiegen oder die Daten nach persönlichen und politischen Motiven filtern. Auch der Vorwurf, dass die Plattform Unschuldige gefährde, wurde schon im Zuge der heiklen Leaks zum Irak- und Afghanistan-Krieg erhoben.Politische AK-47Laut Wikileaks ist jedoch bisher in keinem einzigen Fall eine tatsächliche Gefährdung nachgewiesen worden. Ihre Kritiker, fordern die Aktivisten, sollten lieber aufpassen, sich nicht von der laufenden Zersetzungskampagne instrumentalisieren zu lassen und jenen auf den Leim zu gehen, die Wikileaks in die Ecke der Trump-Unterstützer und Putin-Versteher manövrieren möchten, um die Integrität der Plattform auch in den Reihen der Unterstützer irreparabel zu schädigen.Wikileaks hat in den zehn Jahren seines Bestehens bewiesen, dass es gegen die Geheimniskrämerei aller autoritären Regime und gegen jede undurchsichtige Institution mit gleicher Rücksichtslosigkeit vorgeht – egal ob sich diese in China, Russland, Kenia, der Schweiz, der Türkei, in Venezuela, Saudi-Arabien oder in den USA befinden. Wer hinter dem E-Mail-Leak, der nun Hillary Clintons Partei kompromittiere, eine russische Geheimdienstaktion vermute, lautete die Argumentation von Wikileaks, müsse auch die Panama Papers, die sich gegen Putin richteten, als mutmaßliche US-amerikanische Geheimdienstoperation bezeichnen.So stehen sich zwei rechthaberische Positionen gegenüber und verstehen einander immer weniger. Das Diskussionsklima hat sich in den vergangenen Wochen derart verschlechtert, dass Julian Assange der Soziologin Zeynep Tufekci wütend entgegnete, sie sei nur eine „Erdoğan-Apologetin“. Und Edward Snowden beschimpfte er als „Opportunisten“, der sich bei Hillary Clinton einschleimen wolle. Im Gegenzug unterstellten liberale Zeitungen Julian Assange, Wahlkampf für Donald Trump zu machen, um sich an der ehemaligen Außenministerin Clinton zu rächen. Assange habe aus dem vielversprechenden Medienprojekt Wikileaks eine politische AK-47 gemacht.Dieses feindselige gegenseitige Unterstellen von bösen Absichten, das sich auch innerhalb des linken und linksliberalen Lagers breitmacht, erinnert ein wenig an die Flügelkämpfe in der Ersten Internationale, als sich Karl Marx und Michail Bakunin, die ursprünglich Verbündete waren, bis aufs Blut bekämpften und ihre Gegner darüber aus den Augen verloren.Grundlage des damaligen Konflikts war, dass der Anarchist Bakunin die staatlichen Institutionen radikal bekämpfen wollte, während der Sozialist Marx den Staat lieber in den Dienst der guten Sache stellte. Das ist heute ganz ähnlich. Während der bekennende Anarchist Julian Assange in jeder Geheimhaltungsabsicht eine politische Verschwörung zugunsten der Mächtigen wittert, will Edward Snowden die Geheimhaltung keinesfalls abschaffen, sondern auf das Nötige reduzieren. Während Snowden vor seiner Enthüllungsaktion Staatsdiener war, kämpfte Julian Assange seit frühester Jugend gegen staatliche Bevormundung. Während Snowden ein politischer Kopf ist, der Verbündete für sein Anliegen sucht und dabei Toleranz übt, ist Assange ein Feuerkopf, der alle Verbündeten der Reihe nach abstößt, weil er von ihnen rücksichtslose Radikalität und Gefolgschaft einfordert. Während Snowden durch Ausdauer und langen Atem beeindruckt, begeistert Assange durch seine kurzatmige „Philosophie der Tat“. Assange ist der Typ, der auch dann weiterkämpft, wenn er auf verlorenem Posten steht. Das macht seine Gefährlichkeit für die Mächtigen aus. Doch sein Anarchismus läuft auch Gefahr, unvermittelt nach rechts zu kippen und aus Enttäuschung intransparent und tyrannisch zu werden, während der Reformer Snowden riskiert, durch allzu viel Vorsicht und Vernunft am Ende gar nichts zu erreichen.Der Streit um Wikileaks ist insofern ein getreues Abbild der Linken. Es geht hier wie dort um die Frage, wie weit man gehen darf, was Verantwortung bedeutet und welchen Konflikten man – bei Strafe des eigenen Untergangs – nicht ausweichen kann. Es zeigen sich, und zwar gleichzeitig, die unüberwindbar erscheinenden Gegensätze und das innere aufeinander Angewiesensein. Leider geht die historische Erfahrung, dass man in solchen Situationen keine falschen Fronten aufmachen sollte, dabei häufig verloren.
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