Geißlers Söhne

CDU Armin Laschet oder Friedrich Merz – wer wird Parteichef? Diese Frage wird mitentscheiden, wie schnell sich Deutschlands angestaubtes Parteiensystem transformieren lässt
Ausgabe 09/2020
Jens Spahn (li.) hat in der Konstellation mit Armin Laschet die Aufgabe, grummelnde Konservative durch markige Worte bei Laune zu halten
Jens Spahn (li.) hat in der Konstellation mit Armin Laschet die Aufgabe, grummelnde Konservative durch markige Worte bei Laune zu halten

Foto: Maja Hitij/Getty Images

In meinem Team wird die zweite Person eine Frau sein.“ Dieses Statement twitterte Norbert Röttgen, noch während sich das Team Laschet-Spahn in der Bundespressekonferenz vorstellte. Das wiederum konnte Friedrich Merz nicht so stehen lassen. Er konterte, im Falle seiner Wahl werde er „eine Frau als Generalsekretärin“ vorschlagen. Denn bei Gott: Diese vier katholischen Männer aus Nordrhein-Westfalen hatten im Eifer des Gefechts vergessen, dass es im Jahr 2020 vielleicht nicht so gut kommt, wenn sie den Vorsitz der CDU allein unter sich ausmachen. Sofort kursierten auf Twitter sarkastische Bemerkungen unter dem Hashtag #zweitePerson, etwa: „Niemand bügelt Hemden so perfekt wie die #zweitePerson.“

Verbissen gegen den Strom

Moderne Parteien, so scheint es, brauchen inzwischen mindestens zwei Personen an der Spitze, um die verschiedenen sozialen Milieus und Zielgruppen noch halbwegs repräsentieren und beieinander halten zu können. Wollen Parteien Frauen und Männer, Junge und Alte, Mitte und Rand, Linke und Konservative, Christen und Nicht-Christen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen gewinnen, brauchen sie nicht nur ein phrasenreiches Sowohl-als-auch-Programm, sie brauchen auch den personellen Spagat mit klarer Aufgabenteilung: Du überzeugst die Harten, ich die Weichen. Good Cop und Bad Cop. A-Hörnchen und B-Hörnchen. Denn das Heidelberger Marktforschungsinstitut Sinus, das die Gesellschaft der Bundesrepublik in zehn soziale Milieugruppen unterteilt, die jeweils über ähnliche Grundwerte und Lebensstile verfügen, weist auch für die letzte noch verbliebene Volkspartei, die CDU, ein verschärftes Überlebensproblem aus. Selbst wenn die CDU die drei Kernmilieus, aus denen sie ihre Anhänger schöpft, das konservative Establishment (10 Prozent), die konservativen Kleinbürger (11 Prozent) und die so genannte bürgerliche Mitte (13 Prozent) vollständig an sich binden könnte, käme sie nur auf 34 Prozent. Das trifft ziemlich exakt das Unions-Ergebnis bei der letzten Bundestagswahl. Wenn also die Parteivorsitzende Angela Merkel zum Entsetzen ihrer innerparteilichen Kritiker aufreizend defensiv agierte und die Unmöglichkeit einer Regierungsbildung gegen die Union zum obersten Wahlziel erklärte, dann bedeutete das nicht die Preisgabe aller Werte, sondern bestätigte nur, welchen Wähleranteil die Union in einer marktkonformen Demokratie unter den gegebenen Umständen maximal erreichen konnte.

Dass ein Marktradikaler wie Friedrich Merz diesen Fatalismus nicht hinnehmen will, zeigt einerseits, dass er die gesellschaftlichen Realitäten nicht (aner)kennt, es zeigt aber auch, dass er der einzige Kandidat ist, der die Realität zugunsten der CDU-Milieus verändern will. Anders gesagt: Seine Wirtschaftspolitik soll die bürgerlich-konservativen Milieus vergrößern und nicht schrumpfen lassen. Deshalb gibt er in Sprache und Habitus den harten Konservativen als Gegenspieler zu den weichen Anpassern der Merkel-CDU. Er schlüpft in die Rolle jenes „konservativen Revolutionärs“, von dem die nationalliberalen Publizisten, die Springer-Presse und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt träumen. Mit Merz soll es ein „Weiter so“ nicht geben. Aus der Castingshow will er einen „Richtungsstreit“ machen.

Es ist aber keineswegs ausgemacht, dass er den versprochenen „Aufbruch“ tatsächlich schafft. Denn als rückwärtsgewandter Romantiker glaubt er allen Ernstes, er könne nicht nur die Globalisierung national steuern, er glaubt auch, er könne die rechts von der CDU entstandenen Parteien und Polit-Grüppchen so erfolgreich aufsaugen wie es die CDU in den fünfziger Jahren tat. Damals gelang es der noch jungen Sammlungsbewegung CDU, alles zu integrieren, was sich rechts neben ihr tummelte, von der in Norddeutschland stark vertretenen Deutschen Partei (DP) bis zum Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), von der Wirtschaftlichen Aufbauvereinigung (WAV) bis zur Deutsch-Konservativen Partei (DKP). Mit der Deutschen Partei, einem der geistigen Vorläufer der AfD, regierte Kanzler Konrad Adenauer übrigens von 1949 bis 1960. Es war geradezu die Leistung Adenauers, so der im vergangenen April verstorbene Hamburger Politikwissenschaftler Axel Schildt, „das im Regierungslager vorhandene Konglomerat von neoliberalen, liberaldemokratischen, christlich-sozialen, katholisch-abendländischen und nationalkonservativen Ideologien in eine Staatsdoktrin zu integrieren, deren äußere Klammer der Antitotalitarismus bildete.“ Friedrich Merz gibt nun vor, diese adenauersche Integrationsleistung (trotz des mittlerweile fehlenden Feindbildes Sowjetunion) wiederholen zu können. Er will den schleichenden Verfall der CDU aufhalten, indem er zu ihren Wurzeln zurückkehrt und dort nach bewährten Rezepten sucht. Die Frage ist nur, ob er mit seiner rückwärts gewandten Strategie den Zerfall der Volkspartei nicht sogar beschleunigt.

Ganz anders Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet. Laschet versucht nie, wie Merz, verbissen gegen den Strom zu schwimmen, er lässt sich lieber rheinisch im breiten Strom des Zeitgeists zur Mündung treiben. Laschet will den Merkel-Kurs des abgeklärten Nichtstuns und Gewährenlassens fortsetzen. Er weiß: Nicht die Parteien prägen die sozialen Milieus, sondern die sozialen Milieus prägen die Parteien. Und so läuft es quasi automatisch auf eine große Koalition mit den Grünen hinaus. Die Grünen nämlich sind heute in fast allen Milieus zu Hause und wissen auch die jüngeren Wählergruppen hinter sich.

Sollte es dennoch für Schwarz-Grün nicht reichen, bleiben immer noch Kenia und Jamaika als Ausweg oder die Fortsetzung der guten alten GroKo. Irgendein übergeordneter „Notstand“ als Begründung für die vierte GroKo hintereinander ließe sich bestimmt finden. Und die SPD wäre sicher nicht abgeneigt. Ein „Weiter so“ heißt eben ganz pragmatisch: Niemand kann ohne die CDU regieren. Dieser „antiideologische Pragmatismus“, die „auf Sicht fahrende“ Regelung von Sachzwängen im technischen Zeitalter, war immer die maßgebende Partei-Ideologie des Kanzlerwahlvereins CDU. Christliches Menschenbild, christliches Abendland und der bisweilen schrullige Antimodernismus spielten nur eine Nebenrolle. Jens Spahn hätte in dieser Konstellation die Aufgabe, die grummelnden Konservativen durch markige Worte bei Laune zu halten. Als Flankenschutz gewissermaßen.

Auch programmatisch spricht alles für das Team Laschet. Die CDU hat ja, ohne dass es von der Öffentlichkeit groß bemerkt worden wäre, die ökologische Frage bereits Ende der achtziger Jahre thematisiert, noch zu Zeiten ihres legendären Generalsekretärs Heiner Geißler. Das Programm, das in den turbulenten Jahren der Wiedervereinigung so sang- und klanglos unterging wie das von Erhard Eppler und Oskar Lafontaine geschriebene SPD-Grundsatzprogramm, hieß Unsere Schöpfung bewahren. Seither geistert die Floskel „Schöpfung bewahren“ durch alle Schaufenster- und Sonntagsreden der CDU. Und bereits 1994 sprach sich die Partei in ihrem erneuerten Grundsatzprogramm für eine „ökologische und soziale Marktwirtschaft“ aus. Mit den heutigen Grünen wäre das alles extrem kompatibel. Selbst die Relativierung des „Leitbilds christliche Familie“ und die Anerkennung nicht-traditioneller Lebenspartnerschaften waren schon lange vor Angela Merkels Regentschaft in der CDU verankert.

Über das Außenseiterteam von Norbert Röttgen muss deshalb gar nicht groß spekuliert werden. Es wird ähnlich gut abschneiden wie das Überraschungsteam Roth/Kampmann bei der SPD. Genau wie dieses repräsentiert Röttgen den klugen, weltläufigen, in Maßen modernen Typus, doch ihm fehlt die Hausmacht. Bei Umfragen und in liberalen Medien wird Röttgen stets besser abschneiden als bei den Delegierten des Parteitags am 25. April in Berlin. Seine Kandidatur sollte deshalb vor allem als Rückmeldung für künftige Kabinettsaufgaben verstanden werden.

Wie Rote und Grüne reagieren

Interessanter ist schon, wie die potenziellen Gegner auf den erneuten „Wettbewerb“ in der „Chaos-CDU“ reagieren. Zu Laschet fällt den Grünen, den Linken und der SPD wenig ein. Man will ihn vielleicht nicht vergrätzen. Gegenwind erfährt vor allem Friedrich Merz. Der hatte der SPD nach ihrem Parteitag bescheinigt, sie befinde sich „in der letzten suizidalen Phase ihrer Existenz als Volkspartei“ und prognostizierte: „Die schaffen das wahrscheinlich nicht mehr“. Keine Frage: Für die gebeutelte SPD wäre Merz der ideale Gegner. Mit ihm als Gegenspieler könnte sie – im Sinne des Philosophen Jürgen Habermas – „durch demokratische Polarisierung ... Gegensätze wieder kenntlich machen“ und ihren Niedergang aufhalten. Die SPD würde von Merz profitieren. Denn die öffentliche Aufmerksamkeit würde sich ganz auf die Polarisierung richten.

Für Linke und Grüne aber wäre ein Kanzlerkandidat Merz ein nur schwer kalkulierbares Risiko. In einer für die Wähler „inszenierten“ Polarisierung könnten Grüne und Linke – zusammen mit der AfD – an den Rand gedrängt werden. Damit wäre den Rechtspopulisten zwar auf geschickte Weise der Nährboden entzogen, aber auch die demokratische Transformation des angestaubten Parteiensystems geriete ins Stocken. Und das kann die #zweitePerson angesichts des „Machtkampfs“ der CDU-Männer einfach nicht wollen.

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Wolfgang Michal

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