Anfang 2016 taucht er am Firmament der Bundespolitik auf wie der Halleysche Komet. Als wollte er seiner CDU den rechten Weg weisen, fordert er gleich mal die Aufnahme eines Gottesbezugs in die Landesverfassung und ermahnt das Kantinenpersonal, Schweinefleisch auf dem Speiseplan zu halten. Man muss den Muslimen doch zeigen, wer Herr im Haus ist. Das Motto für solche Vorschläge hat sich Daniel Günther bei Konrad Adenauer geliehen. Der hatte gesagt: „Man muss sich erst ein bisschen unbeliebt machen, um ernst genommen zu werden.“ Für Günther hieß das: Man muss sich erst mal unbeliebt machen, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Denn zuvor hatte man den schmächtigen Anzugträger mit der randlosen Brille noch als „Daniel wer?“ verspottet.
Seit zweieinhalb Jahren regiert Daniel Günther mit FDP und Grünen ziemlich geräuschlos in Kiel. Weil es so gut läuft, lässt er keine Gelegenheit aus, sich auch bundespolitisch nach vorn zu drängen. Die Medien lieben ihn, denn er redet gefällig zu allen Themen, wirkt dabei locker, ausgeglichen und integer. Wen in der CDU sollte man auch sonst fragen? Volker Bouffier hört bald auf, Tobias Hans ist noch in Ausbildung, Michael Kretschmer und Reiner Haseloff blicken nur selten über den östlichen Tellerrand hinaus. Der Rest der CDU-Führung will sich im „Machtkampf“ um den Vorsitz nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.
Für Günther eine ideale Situation. Als untadeliger Schwiegersohn-Typ wirft er sich für Angela Merkel in die Bresche, lobt die Team-player Armin Laschet und Jens Spahn, plädiert für eine handkantenscharfe Abgrenzung zur AfD, kann sich eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei vorstellen und grätscht der CSU bisweilen kräftig in die Kniekehlen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nennt ihn deshalb spöttisch „Genosse Günther“.
Das gefällt ihm. Auch in der Corona-Krise kann es sich Günther nicht verkneifen, dem stets etwas überehrgeizig wirkenden „Kollegen Söder“ eins überzubraten. Als dieser am Vorabend der Besprechung der Kanzlerin mit den Länderchefs „als erster Ministerpräsident“ eine Ausgangssperre anordnet, spottet Günther: „Dass der Kollege Söder entschieden hat, den gleichen konsequenten Weg zu gehen, den Schleswig-Holstein eingeschlagen hat, ist nicht zu kritisieren.“ In Bayern, so Günther, seien die Biergärten nämlich noch offen gewesen, als die Gaststätten in Schleswig-Holstein längst geschlossen hatten.
Im November 2019 verlangt er medienwirksam von der Bundesregierung mehr Tempo bei der Energiewende. Gemeinsam mit den norddeutschen SPD-Kollegen Schwesig, Weil, Tschentscher und Bovenschulte kritisiert er seinen Parteifreund, Wirtschaftsminister Peter Altmaier, als notorischen Bremser. Erst das Land, dann die Partei! Kein Zweifel: Günther ist der kommende Mann der CDU. Aber wo kommt er eigentlich her?
Seinen Aufstieg verdankt er dem Niedergang von Schleswig-Holsteins CDU. Die war nach dem Verzicht von Peter Harry Carstensen ein Intrigantenstadl. Vier Vorsitzende verschliss die Partei in fünf Jahren. Christian von Boetticher musste 2011 wegen der „Lolita-Affäre“ mit einer 16-Jährigen zurücktreten. Wirtschaftsminister Jost de Jager folgte 2013, Reimer Böge schmiss 2014 hin, Ingbert Liebing 2016. Welche Rolle der Landesgeschäftsführer und spätere Fraktionsvorsitzende Daniel Günther bei der „Absägerei“ spielte – man weiß es nicht.
Er kam erst als Notlösung ins Spiel. Wie Armin Laschet in NRW. Die Partei brauchte einen, dem sie die Verantwortung für die erwartete Niederlage in die Schuhe schieben konnte. Hätte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz im Frühjahr 2017 nicht so jämmerlich versagt – weder Laschet noch Günther wären heute Ministerpräsidenten. Ohne die Hilfe der SPD wäre der Aufsteiger mit dem Konfirmanden-Charme ziemlich unauffällig geblieben.
Aufgewachsen ist er im Hafenstädtchen Eckernförde an der Ostsee. Dort rätseln die Lokalhistoriker noch heute, ob sich der Name ihrer Stadt einer Eichhörnchenfurt oder einer Eichhörnchenburg verdankt. Die Bundeswehr, der größte Arbeitgeber, nutzt den Ort als Marinestützpunkt, alle deutschen U-Boote liegen im Kranzfelder Hafen. Auch die Kampfschwimmer sind hier stationiert, ebenso der Waffenfabrikant SIG Sauer (Polizeipistole P226) und die Schnapsbrennerei Behn („Kleiner Feigling“). Die Eckernförder veranstalten jedes Frühjahr „Sprottentage“ und eine Aalregatta. Als Spezialität wird „Kakabelle-Bier“ ausgeschenkt, das laut Kardinal Raimund Peraudi „das Kacken angenehm macht“.
In diesem beschaulichen Nest besuchte Günther die Jungmannschule, um sofort nach dem Abitur eine lokale Parteikarriere zu starten: 1994 wird er Kreisvorsitzender der Jungen Union, 1998 Ratsherr der Stadt, dazu stellvertretender Kreisvorsitzender der CDU und Aufsichtsrat der Stadtwerke, 2003 dann stellvertretender Bürgermeister und Mitglied im Verwaltungsrat der Sparkasse, 2005 Landesgeschäftsführer der CDU, 2009 Landtagsabgeordneter und kirchenpolitischer Sprecher, 2014 Fraktionsvorsitzender. 2016 ist er am Ziel: Die Partei macht ihn zum Landesvorsitzenden und Spitzenkandidaten. Dabei wollte er eigentlich nur Pressesprecher werden.
Ob Armin Laschet in Aachen oder Paul Ziemiak in Iserlohn, die Aufstiege von Christdemokraten gleichen einander. Doch ganz so leicht wie in NRW geht es in der protestantischen Bauern-CDU im hohen Norden dann doch nicht. Günther feilt deshalb liebevoll an seinem Image. Um die Aura des farblosen Sparkassen-Abteilungsleiters abstreifen zu können, fährt er schon mal nach Wacken und lässt sich beim Heavy-Metal-Konzert mit ein paar schwer tätowierten Kerlen ablichten. Perfekter Style ist ihm wichtig.
Er hat das Zeug dazu, der Kieler Kennedy zu werden. Verheiratet mit einer Kinderärztin, Vater zweier Töchter, die Erstgeborene vom Papst in Rom gesegnet. Das C im Parteinamen versteht er als Auftrag. Günther geht fleißig in die Kirche, treibt viel Sport (Dauerlauf), ist Frühaufsteher und spendet regelmäßig Blut. Er ist ein begehrter Spender, denn er hat die Blutgruppe Null. Sein Blut verträgt sich einfach mit jedem.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.