Olaf Scholz, Superheld

Gehirnwäsche Springer, Daimler, Heiko Maas: Wie das Establishment den Vizekanzler an die SPD-Spitze zu huldigen versucht
Ausgabe 47/2019
Wird sich der leidenschaftliche Sozi wieder zurück in den Scholzomaten verwandeln, sobald er gewählt wird?
Wird sich der leidenschaftliche Sozi wieder zurück in den Scholzomaten verwandeln, sobald er gewählt wird?

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

In diesen trüben Tagen erleben wir eine fast schon mystische Wandlung: die Verwandlung des kalten „Scholzomaten“ in den leidenschaftlichen, an beiden Enden brennenden „truly Sozialdemokraten“, der täglich drei neue Hammerideen in die Welt hinaushaut und den Eindruck erweckt, er sei ein Ausbund an zupackender und mutig vorausschauender Politik. Die Frauenquote zum Beispiel, das konnte man am vergangenen Montag beim TV-Duell der Kandidatenpaare für den SPD-Vorsitz staunend vernehmen, hat Olaf Scholz schon gefordert, da wussten die Frauen noch nicht mal, wie das Wort Feminismus buchstabiert wird. Den Mindestlohn forderte er in einer Zeit, als dieses Verlangen noch als Beleg für kommunistische Umtriebe galt. Und als linker Arbeiter-Anwalt schützte er seine Klassengenossen bereits im 20. Jahrhundert vor Hungerlöhnen und sachgrundlosen Befristungen.

Es ist eine wahre Freude, zu sehen, was der Wettstreit um den SPD-Vorsitz so alles auszulösen vermag. Die Kanzlerin hält extra eine Pressekonferenz mit ihrem Vize ab, damit Olaf Scholz die tolle, effektive Arbeit der GroKo und die „expansive Geldpolitik“ seines Ministeriums in höchsten Tönen loben kann. Die Unionsparteien gönnen ihm (mit geballter Faust in der Tasche) die Beibehaltung des Soli für die Reichen und den „riesigen großen Sieg“ (Scholz) namens Grundrente. Und jeden Tag gibt es neue gute Nachrichten: mehr Geld für den Mobilfunk und den Breitbandausbau, mehr Geld für Ladesäulen, E-Autos und S-Bahnen, mehr Geld für Rentner, Häuslebauer und Kinder, mehr Geld für Krankenhäuser, Schulen und Paketboten. Dazu die siebte schwarze Null in Folge. Einen neuen Rekord bei den Erwerbstätigen. Eine Haushaltsrücklage von über 40 Milliarden. Und die Abwendung einer Rezession.

Natürlich sprechen sich die Arbeitgeberverbände da für Scholz als neuen SPD-Chef aus, ebenso die SPD-Minister Maas, Giffey und Heil, viele Abgeordnete, die bei Neuwahlen um ihr Mandat fürchten müssten, die Ex-Parteivorsitzenden Schulz und Müntefering, ein „breites Unterstützer-Bündnis“ aus Daimler-Freunden um den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden, die Springer-Medien und was sonst noch bis zum 29. November an Sympathiebekundungen, Unterschriftenlisten, schmeichelhaften Porträts, devoten Interviews organisiert werden kann. Ein kleiner Ausschnitt aus den Huldigungen dieser Tage: „Scholz will Steuerbetrüger mit Sondereinheit jagen“, „Olaf Scholz teilt aus“, „Olaf Scholz baut das Finanzministerium um“, „Der Vizekanzler schaltet auf Attacke“, „Scholz will Entschuldungsprogramm für 2.500 Kommunen“, „Olaf Scholz kaum zu bremsen“.

Befasst man sich genauer mit den großen Plänen des Olaf Scholz, stellt sich freilich bald Ernüchterung ein. Vieles, was er fordert, hätte längst in Angriff genommen werden können, vieles entpuppt sich als Mogelpackung, vieles muss man gar nicht erst „kleinreden“, es ist bereits klein – wie die beschlossene Grundrente oder die Entlastung der Mini-Betriebsrenten um wenige Euro. Allein die von der GroKo geplante Absenkung der Körperschaftsteuer für Unternehmen wird ein Vielfaches davon kosten.

Die angekündigte Finanztransaktionssteuer? Wird nur Kleinanlegern abgezwackt, während die eigentlichen Zocker an den Finanzmärkten verschont bleiben. Die groß annoncierte „Taskforce“ gegen kriminelle Cum-Ex-Geschäfte? Könnte es längst geben, denn der Steuerdiebstahl ist seit 1992 bekannt. Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für Vereine, die Frauen „grundlos“ fernhalten? Eine Schaufensterforderung. Solche Vereine sind selten. Die Aufnahme neuer Rechte ins Grundgesetz? Purer Aktionismus. Wie so vieles, was die Regierung derzeit aus Selbsterhaltungstrieb „mutig anpackt“. Nach den Parteitagen von CDU und SPD wird der Elan schnell wieder verfliegen.

Ob Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans gegen die geballte Scholz-Unterstützung überhaupt eine Chance haben? Es käme jedenfalls einer Sensation gleich, könnten sich die SPD-Mitglieder der Gehirnwäsche, der sie in Sachen „Weiter so toll wie bisher“ unterzogen werden, entziehen. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, aber ausgeschlossen ist es auch nicht. Denn viele spüren, dass ein Neuanfang nur mit einer „unbelasteten“ Parteispitze möglich ist.

Es spricht also mehr für als gegen Norbert „Nowabo“ Walter-Borjans, dass er über keinerlei Erfahrung in hohen Parteiämtern verfügt. Auch Bernie Sanders gehörte nie zum inneren Zirkel der US-Demokraten. Er ist nicht mal deren Mitglied. Dass Saskia Esken aus der SPD-Diaspora kommt, wo sie bislang kein Direktmandat erobern konnte, spricht gleichfalls eher für als gegen sie. Denn Standhaftigkeit beweist man dort, wo Mehrheiten nicht von vornherein sicher sind. Die US-Politikerinnen Elizabeth Warren und Alexandria Ocasio-Cortez können ein Lied davon singen.

Natürlich hat Vizekanzler Olaf Scholz, wie der ehemalige US-Vizepräsident Joe Biden, die besseren Karten. Er hat die gesellschaftlichen Eliten, die eine Linkswende der SPD verhindern wollen, hinter sich. Doch sobald er gewählt ist, wird sich der leidenschaftliche Sozi Olaf Scholz wieder in den kühlen Scholzomaten verwandeln. Und die Eliten, die ihn jetzt noch stützen, werden sich auf Schwarz-Grün einrichten (nach österreichischem Vorbild). Als Bollwerk gegen „linke Spinner“ wird Scholz dann nicht mehr gebraucht.

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Geschrieben von

Wolfgang Michal

Journalist; Themen: Umbrüche & Entwicklungen

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